Freitag, Februar 7, 2025

Rechtsextremismus: Was bringen Proteste und Demos?

In Deutschland gibt es Massenbewegungen gegen die AfD, in Österreich eher Schockstarre angesichts des drohenden Kickl-Regimes.

Als Anfang Jänner die Volkspartei ihren spektakulären Schwenk vornahm, sich von Herbert Kickls Fahndungslisten auf seine Ministerlisten zu flüchten versuchte und der FPÖ-Chef mit der Regierungsbildung betraut wurde, gab es erst einmal Schockstarre. Und dann eine Demonstration am Ballhausplatz, der mit einigen zehntausend Protestierenden überfüllt war. Vergangenen Dienstag gab es auch eine große Demonstration. Aber sowohl unsere deutschen als auch unsere slowakischen Nachbarn fragen gelegentlich, warum in Österreich die drohende Regierungsübernahme der FPÖ so stoisch hingenommen wird. Warum gibt es nicht längst Massenmobilisierungen?

In Deutschland wiederum fanden nach dem Tabubruch von Friedrich Merz, dessen CDU/CSU erstmals eine Mehrheit gemeinsam mit der rechtsextremen AfD gesucht – und gefunden – hat, in jeder großen und kleinen Stadt Demonstrationen statt. Frankfurt, Köln, Duisburg, Darmstadt, Leipzig, sogar in kleinen Kommunen wie Aurich gingen die Leute auf die Straße. In Berlin waren es mindestens 160.000 am vergangenen Wochenende. Für kommenden Samstag werden in München ähnlich viele Menschen erwartet.

Aber was bringen solchen Demonstrationen und Proteste?

Nun gibt es zwischen Deutschland und Österreich eine ganze Reihe an Unterschieden. Wir haben uns in Österreich seit 35 Jahren nicht nur an den Aufstieg und die Normalisierung der FPÖ gewöhnt, sondern auch an deren Regierungsbeteiligungen. Das ist in Deutschland anders. Aber es gibt natürlich noch einen anderen, ganz simplen Unterschied: Deutschland steht vor der Wahl, Österreich hat sie hinter sich. In Deutschland können Demonstrationen noch ein Meinungsklima und womöglich sogar den Wahlausgang beeinflussen. In Österreich würde man schon gegen einen Wahlausgang demonstrieren. Insofern sind wir hier in einer Art polit-psychologischen Dazwischen. Die Wahl ist schon vorbei. Die Regierungsbildung und die Maßnahmen der Regierung, deren grausliche Pläne, sie liegen noch vor uns und sind noch nicht einmal bekannt.

Diese Unterschiede sind für sich genommen nicht trivial. Abgesehen davon stellt sich grundsätzlich die Frage, was Proteste dieser Art bringen, welche Wirkung sie entfalten können.

Masse ist Macht

Massendemonstrationen können in Demokratien auf unterschiedliche Weise wirken, sie können Forderungen untermauern, etwa wenn hunderttausende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für ein besseres Pensionssystem demonstrieren. Da kann dann die schiere Masse eine bedrohende Wirkung auf die Regierenden haben und die Forderungen untermauern. Regierende können dann empfinden: Wenn wir nicht nachgeben, dann haben wir ein großes Problem. In solchen Fällen hat die Demonstration tatsächlich einen „Kampf-Charakter“, sie ist ein Hebel mit Macht. Nicht unähnlich war es früher mit Jugendbewegungen, wenn die Herrschenden die Ahnung beschlich, dass sie der jungen Generation entgegenkommen müssen. Das trifft für die Bewegungen „gegen Rechts“ aber in aller Regel ja nicht zu oder höchstens auf sehr viel kompliziertere Weise.

Manifestieren ist Kommunikation

Demonstrationen sind immer auch Kommunikation, oft sind sie sogar primär Kommunikation. Sie beeinflussen mediale Wahrnehmungen. Überspitzt gesagt: Sie werden veranstaltet, damit über sie berichtet wird. Beschreiben wir es an einem lebensnahen Beispiel: Wenn die AfD mit Provokationen die Schlagzeilen beherrscht, sie in den Umfragen zulegt, im Bundestag darüber diskutiert wird, ob man mit ihr zusammenarbeiten soll oder nicht, dann dreht sich alles nur um die AfD. Eine Partei mit 20 Prozent der Wähler hat 100 Prozent der Aufmerksamkeit. Die schweigende Mehrheit derer, die die AfD leidenschaftlich ablehnen, kommt aber faktisch überhaupt nicht vor. Wenn dann aber in verschiedenen Städten in Summe mehrere hunderttausend oder sogar eine Million Menschen demonstrieren, dann verschiebt das die Diskussionen wieder um einige Zentimeter in die andere Richtung. Es kommen dann die Themen der Protestbewegung in den Medien vor. Manifestationen sind also ein Instrument in der Debattenordnung.

Proteste stiften Wir-Gefühl

Oft wird freilich nicht ganz zu Unrecht angemerkt, dass Demonstrationen gegen Rechts ja „nichts bringen“, da sie niemanden überzeugen, der nicht schon überzeugt ist. Die FPÖ wird von den Leuten gewählt, die von der FPÖ überzeugt sind, zu den Demonstrationen gegen die FPÖ kommen die Leute, die fest davon überzeugt sind, dass die FPÖ eine niederträchtige Partei ist. Dass Demonstrationen beispielsweise unentschiedene Personen beeinflussen würden, ist eher unwahrscheinlich. Simpel gesagt: Dass jemand eine noch unentschiedene Haltung zur FPÖ hat, abends die Berichte von Demonstrationen gegen Kickl sieht und dann plötzlich eine entschiedenere Anti-FPÖ-Meinung hat, wird eher selten vorkommen, so der Einwand. Das ist natürlich nicht unplausibel. Aber Demonstrationen haben noch einen anderen Effekt, vor allem dann, wenn sie groß sind.

Wenn sich die FPÖ stark fühlt und vor Kraft kaum gehen kann, sind diejenigen, die die Rechtsextremen ablehnen oft frustriert, sie fühlen sich schwach, manchmal haben Leute das Gefühl, sie stünden alleine und sind deprimiert. Demonstrationen können hier auch Elan geben, Schwung und Kraft. Man sieht: Oh, ich bin nicht alleine. Es gibt zig-tausende, die die Sache genauso sehen wie ich, mit denen ziehe ich an einen Strang. Demonstrationen können also die eigene Gruppe stärken, auch dann, wenn sie die andere Gruppe nicht automatisch schwächen. Und sie können sogar eine demobilisierende Wirkung für die „Gegenseite“ haben. Demonstrationen bekämpfen die eigene Ohnmacht und stärken ein „Wir-Gefühl“, wie es etwa das deutsche Rheingold-Forschungsinstitut auf Basis qualitativer Umfragen belegte.

Teilnehmer an Massenkundgebungen „fühlen sich quasi bestätigt und ermutigt. Sie ziehen Energie und Kraft aus den Demos, um sich in alltäglichen Auseinandersetzungen oder Diskussionen in der Familie, am Arbeitsplatz oder anderswo, einzusetzen und einzubringen“, formuliert der deutsche Protestforscher Daniel Mullis.

Proteste errichten einen Damm gegen Dammbrüche

Proteste stärken also die Moral der eigenen Leute, was aber zugleich auch heißt, dass sie schon auch Menschen für eine bestimmte Haltung gewinnen können, wenngleich natürlich nicht Menschen, die eine diametral andere Überzeugung haben. Sondern diejenigen, die die Überzeugung der Protestierenden „so halb“ teilen. Etwa Leute, die vielleicht zynisch und lahm geworden sind, sich zurückziehen, weil sie empfinden, dass eh alles seinen negativen Gang geht und man dagegen nichts tun kann. Große Protestbewegungen können ein Thema auch am Leben erhalten. In unserem Nachbarland, der Slowakei, hat die nationalistisch-autoritäre Regierung einen Prozess einer schnellen Orbanisierung in Gang gesetzt, aber es gibt seit einem Jahr immer wieder Massenproteste, die, je nach Anlass, immer wieder aufflammen. Vor wenigen Tagen gab es in Bratislava wieder eine Demonstration mit 60.000 Menschen. Mittlerweile steht die Regierung tatsächlich auf wackeligen Beinen.

Möglichst breite Allianzen bilden

Proteste „gegen den Rechtsextremismus“ sind meist, das ergibt sich aus der Logik der Sache, eher von linken Gruppen organisiert. Linke Gruppen haben üblicherweise akzentuierte politische Positionen, manchmal sogar radikale, und häufig zumindest ihre jeweiligen Lieblingsthemen, die ihnen sehr wichtig sind. Auch ein Hang zum Sektierertum ist linken Milieus bekanntlich nicht total fremd, also der Reflex, alle, die die Dinge in einer einzelnen Frage eine Nuance anders sehen als man selbst, zu Gegnern zu erklären. Das kann es gelegentlich schwierig machen, mit Demonstrationen dieser Art auf weniger ideologische Milieus einzuwirken. Ganz nüchtern gesprochen gibt es zwei sehr unterschiedliche Grundhaltungen. Die einen meinen, Demonstrationen gegen Rechts dürfen sich nicht in humanistischer Gutmenschlichkeit erschöpfen, es brauche vielmehr „mehr Sichtbarkeit und Hörbarkeit für linke Position“ (so die linke Berliner Künstlerin und Autorin Bini Adamczak), andere wiederum sind der völlig gegenteiligen Ansicht, dass eine möglichst große Breite angestrebt werden muss und insbesondere Repräsentanten der Mitte die Bühne gegeben werden sollte, schlussendlich müsse man ja etwa gemäßigte Christdemokraten zum Kampf gegen Faschismus und Hass motivieren. Bei überzeugten Linken ist das ja nicht so notwendig. Entgegen vorschneller Intuitionen haben natürlich beide Positionen etwas für sich.

Wenn die Linke zu defensiv bleibt, kann sie keine Botschaften entwickeln außer „das Schlimmste verhindern“, wenn sie aber zu sehr auf ihren Lieblingsspleens beharrt, wird sie unter sich und bedeutungslos bleiben. Dennoch ist klar: Wenn man gesellschaftlich und damit auch mehrheitsbildend wirksam sein will, muss man die Mehrheit adressieren, nicht kleine linke Minderheiten, in denen zudem das Gesetz der Gruppenpolarisierung wirkt, in denen sich also oft die radikalste Position durchsetzt, wie das in Sektendynamiken nicht selten der Fall ist. Grundsätzlich kann man formulieren: Wenn man möglichst breite Allianzen hinbekommen will, dann ist es nicht sinnvoll, die Hürde für Zustimmung so hoch zu schrauben, dass selbst potentielle Verbündete vertrieben werden.

Die Ambivalenz des Dagegenseins

Proteste sind, wie der Name schon sagt, meist gegen etwas gerichtet, haben also insofern eine negative Agenda, keine positive. Das ist an sich nichts Schlimmes. Menschen sind generell eher gegen Dinge mobilisierbar, die sie empören. Und aus Protesten gegen beklagenswerte Zustände sind in aller Regel auch Bewegungen für Verbesserung entstanden, was soviel heißt, wie: die „negative“ und die „positive“ Agenda ist in der Realität nicht klar geschieden, sie treten immer in Mischformen auf. Bewegungen gegen Unfreiheit sind praktisch immer auch Bewegungen für mehr Freiheit geworden, Bewegungen gegen Autokratien sind Bewegungen für mehr Demokratie geworden. Problematisch ist es allenfalls dann, wenn man das Gefühl hat, nur mehr die Abwehr von Verschlechterungen zu betreiben. Besser ist es, beim Dagegensein nicht stehen zu bleiben, sondern auch das Dafürsein zu formulieren.

Es ist, was es ist

Gelegentlich wird genörgelt, dass Protestbewegungen wenig bringen, da anderes doch so viel wichtiger wäre. Etwa, sich in Parteien zu engagieren, damit es langfristig lebendigere und besser Alternativen im politischen System gibt, oder Stadtteilzentren aufzubauen, die sich auf lokaler Ebene für die Verbesserung von Lebensbindungen einsetzen, oder in Talk-Shows den Meinungsstreit gegen die radikale Rechte aufzunehmen, oder oder oder… Es ist sowieso so eine Art Gesetz: Wenn irgend etwas getan wird, kommt sicher irgendjemand daher, der sagt, dass irgend etwas Anderes noch viel wichtiger getan werden sollte. Dabei ist natürlich all das wichtig. Es ist, was es ist, soll heißen: Es hat seine Wirksamkeit, aber auch seine Begrenztheiten, aber das gilt so ziemlich für alles, was getan werden könnte, sollte, müsste.

Autor

  • Robert Misik

    Robert Misik ist einer der schärfsten Beobachter einer Politik, die nach links schimpft und nach rechts abrutscht.

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