Zu oft werden warnende Stimmen belächelt. Autokraten von Trump bis Putin freuen sich darüber – und schicken sich an, der gehassten Demokratie den Todesstoß zu versetzen.
Zu diesem Artikel angeregt hat mich ein Posting von Oliver Scheiber auf Bluesky. Es lautet: »Wenn man vor Gefahren für die Demokratie warnt ist schnell von Alarmismus die Rede. In Wahrheit wurden die Gefahren sträflich unterschätzt. Binnen weniger Wochen haben Trump/Musk eine der ältesten Demokratien der Welt abgeräumt. Europa muss sich in Acht nehmen und daraus lernen.«
Dieser Gedanke ist es, der mich in den letzten Jahren tief bewegt und den ich versuche, auf verschiedene Weise mitzuteilen. Als Sohn eines Vaters, der Austrofaschismus und den Anschluss als Kind miterlebt hat, bin ich mit stets eindringlichen Warnungen erzogen worden, das Märchen von Österreich als erstem Opfer des Nationalsozialismus nicht zu glauben; und auch nicht zu glauben, dass der Austrofaschismus, der die kommunistische und sozialdemokratische Partei verbot, ihre Anhänger verfolgte, inhaftierte und zum Teil auch hinrichtete, jemals Widerstand gegen den Nationalsozialismus geleistet hat. Keine einzige Kugel hat das österreichische Heer beim Einmarsch der Nazis abgefeuert.
Der verharmlosende Begriff »Rechtspopulismus«
Aus diesem Grund möchte ich Scheibers Statement nicht nur auf die USA angewendet wissen, sondern auch auf europäische Staaten. Auch hier wird verharmlost, während das politische Spektrum unter Befeuerung der Medien, die den Rechtsruck in Wahrheit als Sensation feiern, unablässig nach rechts rückt. Ein innenpolitischer Redakteur hat mir einmal geschrieben, nachdem ich Vergleiche der heutigen Situation mit den Dreißigerjahren angestellt habe, dieser Vergleich sei »lächerlich«. Das ist er nicht. Natürlich gibt es Unterschiede zwischen heute und den Dreißigerjahren. Darum stelle ich ja einen Vergleich an und keine Gleichsetzung. Aber bestimmte Mechanismen, die wir aus den Dreißigerjahren kennen, wirken auch heute.
Dazu gehört, dass auf der einen Seite progressive Bewegungen von der Presse mehrheitlich runtergeschrieben und lächerlich gemacht werden, während man über rechte und demokratiefeindliche Politiker im Übermaß und Überschwang berichtet – das muss nicht aus Überzeugung sein, sondern kann auch geschehen, weil es angeblich Clicks und gute Quoten bringt. Bei ihrer terminologischen Einordnung sitzt man auf den Händen und lässt äußerste Vorsicht walten. So kommt es zur schwammigen Phrase Rechtspopulismus. Wilhelm Heitmeyer schrieb dazu: »Jeder nachdenkliche Blick auf die politischen Landschaften von den USA über Brasilien bis in die vielfältigen europäischen Gesellschaften zeigt doch, dass der Einheitsbegriff des Rechtspopulismus als Catch-All-Term den sperrigen Realitäten in diesen Ländern mit ihren historischen und kulturellen Traditionen und neueren Entwicklungen im Zeitalter eines rabiaten Kapitalismus in keiner Weise gerecht wird.«
Demokratiefeindlichkeit benennen!
Seit dem umjubelten Jörg Haider ist das in Österreich der Fall. Weist jemand auf faschistische Inhalte in der Politik der FPÖ hin, wird er als Alarmist marginalisiert. Bezeichend ist die Scheu in Österreich, »faschistisch« und »neo-faschistisch« zu verwenden, wo es doch Bücher mit sehr klaren und hergeleiteten Definitionen gibt. Bezeichnend ist die Scheu derer, die angeblich gegen demokratie- und staatsfeindliche Politik sind, sie genau zu definieren. Johannes Voggenhuber (Grüne) sagte einmal über Jörg Haider: »Er ist ein Faschist. Die FPÖ ist eine neo-faschistische Partei«. Just Grünen-Parteichef Alexander Van der Bellen hat sich von dieser Aussage distanziert.
Wenn wir uns dieser Tage wieder einmal mit René Schimanek beschäftigen müssen, an dessen längjährigem Wohnsitz Munition und NS-Devotionalien gefunden wurden, dann bekommen wir zu spüren, wie das Wegschauen in Österreich funktioniert – das Wegschauen, das Österreich schon einmal nationalsozialistisch gemacht hat. Die Ausrede von Parlamentspräsident Rosenkranz im gestrigen Ö1-Morgenjournal, es handle sich im Fall Schimanek um ein »Meldevergehen«, ist provokant und lächerlich zugleich. Sie wird zumindest Drogendealern in Zukunft helfen; denn wenn an deren Wohnsitz Drogen gefunden werden, können sie einfach sagen, sie wohnten dort ja gar nicht und es handle sich allerhöchstens um ein Meldevergehen.
Neonazis in höchsten Ämtern
René Schimanek war Wahlkampfleiter von Norbert Hofer als Präsidentschaftskandidat, er war hoher Ministerialbeamter unter Hofer und ist heute Bürochef des Ersten Nationalratspräsidenten, des zweithöchsten Mannes im Staat. Colette Schmidt schreibt im Standard: »Renés Bruder Hans Jörg junior war bereits in den 1980er-Jahren in der neonazistischen Vapo (Volkstreue außerparlamentarische Opposition) von Gottfried Küssel aktiv, René hielt sich zumindest in deren Umfeld auf.«
Man kann es deutlicher sagen: Es gibt ein Foto von René Schimanek, wie er an einem VAPO-Aufmarsch teilnimmt. Als man Norbert Hofer dieses Bild im Jahr 2016 gezeigt hat, sagte er: »Ja, das ist der René!« Geoutete Staatsfeinde und Demokratiefeinde bekleiden heute im Staat Österreich, den sie hassen und den sie weg haben wollen, höchste Ämter und destabilisieren ihn von dort aus. Wir wissen, auf welche Daten sie Zugriff haben. Wer weiß, was sie damit tun und an wen sie sie weitergeben. Es findet sich leider kaum jemand, der das ausspricht, obwohl es jede und jeder weiß.
Der König des Oligarchen
Dass Schweigen und Vorsicht das Wegschauen der Gesellschaft ermöglichen, hat damit zu tun, dass es im Neo-Faschismus von heute, der in den USA die Macht übernommen hat und in Europa auf dem Sprung dazu ist, tatsächlich einen Unterschied zu den Dreißigerjahren gibt: Er baut nicht auf die Angst einer verarmten Masse, die sich gerne bilden und hochrappeln wollte, sondern auf eine im Wohlstand lebende Masse, der Bildung und Information zu anstrengend sind und die in ödem Konsumismus versinkt.
So ist es möglich, dass die USA heute von einem Straftäter beherrscht werden, der selbst nur die Marionette eines gar nicht gewählten Super-Reichen ist. Die Oligarchie hat alle ihre Träume strukturell umgesetzt. Nun gibt es kein Tabu mehr: Trump ist Präsident und handelt gleichzeitig mit seiner Krypto-Währung. Es gibt keine Kompetenz und keine Zuständigkeiten mehr. Trump sagt über sich selbst: »Long live the King!« Das ist sie, die Monarchie, die sich der Super-Reiche Peter Thiel wünscht. Und zwar beim Namen genannt.
Ein weltweites Netzwerk
Es können mir nun Heerscharen von Journalistinnen und Journalisten und von Politikerinnen und Politikern erklären, dass das alles Alarmismus ist. Dass das alles keine Auswirkungen auf die Welt und damit auch auf Europa, auf Österreich, auf mich hat. Es können Exkulpatoren auftreten, die das alles für Unsinn erklären. In Wahrheit haben die Demokratiefeinde bereits alle Macht in den Händen, da sie Medienlandschaft und Parteienlandschaft mit viel Geld manipulieren.
Wir sehen dieser Tage an der sogenannten »AfD«-Großspende, die über Österreich lief, wie das funktioniert. Selbst wenn es in diesem Fall Schuldsprüche gibt: Neunundneunzig Prozent dieser Finanzierungen werden nicht einmal Ermittlungen auslösen und völlig verdeckt bleiben. Das weltweite Netzwerk der Neo-Faschisten ist groß und mächtig. Die Ideologie des Wegschauens, die dieses Netzwerk groß werden ließ, heißt Kapitalismus.
Differenzierung statt Entdifferenzierung
Es ist, wie Wilhelm Heitmeyer sagt, der »rabiate Kapitalismus«, der all diese Auswüchse möglich, ja sogar erstrebenswert gemacht hat. Ihm stellt man sich nicht entgegen, wenn man verharmlosend von Rechtspopulisten spricht. Populismus ist ja ohnehin schon ein positiver Begriff geworden, der im Kapitalismus nur bedeutet, dass man sich gut verkauft. Heitmeyer sagt: »Mit dieser allseitigen Verwendung in Medien, Politik und selbst in der Wissenschaft lechzen die Akteure nach Kurzformeln – und bedienen eine Entdifferenzierung politischer und gesellschaftlicher Zustände, die nach Differenzierung schreien. Die Verwendung der Kurzformel ist kurzsichtig. Sie dient nicht der Aufklärung dessen, um was es inzwischen geht.«
Diese Differenzierung findet nicht statt. In Österreich ließ die Aufarbeitung des historischen Faschismus jahrzehntelang auf sich warten. Als sie halbwegs in die Gänge kam, tauchten die Neo-Faschisten bereits am Horizont auf. Haiders dem Nationalsozialsmus huldigende Aussprüche sind hinlänglich bekannt. Ich habe aber das Gefühl, dass sie auf sehr österreichische Art zu Folkloren und Volksweisen werden. Die Neo-Faschisten werden Legenden, ihre Aussagen Teile von Kabarettprogrammen. Der Neo-Faschismus selbst wird dabei verharmlost – statt bekämpft und beim Namen genannt.
Titelbild: Miriam Moné