Die Verkurzung Deutschlands durch die Merz-CDU wird den Aufstieg der AfD nur befördern – Autor Daniel Wisser über die deutsche Bundestagswahl und die Reaktionen in der Presse.
Kommt Ihnen das bekannt vor: Eine nach rechts gerückte populistische, aber ehemals bürgerliche Partei und eine rechtsextreme Partei gewinnen bei den Wahlen beide dazu und bilden eine Regierung? Die Welt ist plötzlich verkehrt: Was in Österreich 2017 stattgefunden hat, wiederholt sich acht Jahre später in Deutschland. Oder sagen wir: Es könnte sich wiederholen; denn noch gibt es keine Regierung.
Das Ergebnis der Bundestagswahl 2025 kurz zusammengefasst lautet: Die Wahlbeteiligung war mit 82,5 % hoch. CDU/CSU wird mit 28,5 % (+4,4 %) stärkste Fraktion, gefolgt von der AfD mit 20,8 % (+ 10,4 %). Die SPD erreicht mit einem Minus 16,4 Prozentpunkte (- 9,3 %), die Grünen 11,6 % (- 3,9 %). Die LINKE überrascht mit 8,8 % (+ 3,9 %).
BSW und FDP sind raus
Die Genugtuung, dass das BSW, der Spalter der linken Wählerschaft, den Einzug in den Bundestag nicht schafft, ist merklich. Ebenso, dass die FDP, die die Koalition, die sie selbst eingegangen ist, zertrümmert hat, nicht im Bundestag vertreten ist. Die Union kann also eine Koalition mit der AfD oder der SPD eingehen. Dazu Georg Ismar, Nicolas Richter und Robert Roßmann in der Süddeutschen Zeitung:
Eine Koalition zwischen Union und SPD ist jedenfalls erprobt. Die frühere Kanzlerin Angela Merkel hat in drei ihrer vier Legislaturperioden mit den Sozialdemokraten regiert. Im Winterwahlkampf 2025 nun haben sich beide Parteien stark voneinander abgegrenzt, etwa in der Wirtschaftspolitik und bei der Migration. So hat die Union einen Antrag für schärfere Migrationsregeln im Bundestag zusammen mit der AfD verabschiedet, was ihr die SPD sehr übel genommen hat. Insgesamt ist die SPD in einer schwierigen Lage: Wie im Jahr 2005 müsste sie jetzt von der Rolle der Kanzlerpartei in die des Juniorpartners der Union wechseln. Aber die äußeren Zwänge, besonders in der Sicherheitspolitik, erhöhen den Einigungsdruck.
Mark Schieritz in der ZEIT:
Im Vergleich mit den Zuständen in anderen Ländern des Westens ist das Ergebnis aber auch eine Chance. Die AfD liegt bei rund 21 Prozent, Union und SPD können sich mit Mühe in eine Koalition retten. Und das, obwohl sich die Wirtschaft in einer schweren Krise befindet, obwohl eine Anschlagsserie mit ausländischen Tätern die mediale Berichterstattung dominierte und obwohl der reichste Mann der Welt mit seinen Trollarmeen die Deutschen dazu bringen wollte, für eine zumindest in Teilen rechtsextreme Partei zu stimmen. Elon Musk hat diese Wahl verloren, und Donald Trump muss mit Widerstand gegen seine imperialen Pläne rechnen.
Tim Niendorf in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung:
Die Union, die nun versuchen wird, die nächste Regierung anzuführen, hatte im Wahlkampf vor allem auf zwei Themen gesetzt: die Wirtschafts- und die Asylpolitik. Vor allem bei Migrationsfragen konnten CDU und CSU neue Unionswähler überzeugen. Sie finden es gut, dass sich Friedrich Merz gegen irreguläre Migration ausspricht und dass die CDU nach der Ära Angela Merkel ihren Kurs geändert hat. Gleichwohl wird die Union beim Thema Migration weiter eng mit Merkel verknüpft. So sehen die meisten Wähler die Union verantwortlich für die hohe Zahl an Asylbewerbern, obwohl CDU und CSU zuletzt in der Opposition waren.
Kommt Anbiederung an Rechtsextreme?
Ich kann den Deutschen gleich eines vorhersagen: Gerade die Scharfmacher, die Migration als plakatives Thema auf ihre Fahnen schreiben, sind kapitalistische Parteien, die im Sinne der Unternehmer handeln. Und Unternehmen brauchen Zuwanderung. Die Regierung von Sebastian Kurz mit Innenminister Herbert Kickl war die letzte Regierung in Österreich, die im Jahr 2018 die Zuwanderungsquote sogar erhöht hat. So wird es auch bei der CDU-AfD-Regierung sein.
Die CDU sei wieder einmal davor gewarnt: Mit der Anbiederung an die Rechtsextremen und ihre Positionen, schwächt sie sich selbst und macht die AfD stärker. Claus Leggewie, Universitätsprofessor in Gießen, schreibt in der taz:
Hier kommt Österreich ins Spiel. Der vorgezeichnete Weg war, dass eine in der Mit-Regierung wie in der Fundamentalopposition immer stärker gewordene Ultrarechte die konservative Traditions- und Volkspartei übertrifft und ihr die Bedingungen diktiert – ein Menetekel für Deutschland 2029. Doch es regte sich Widerstand gegen die konservativ gestützte Machtübernahme des designierten „Volkskanzlers“ Herbert Kickl, die in formaler Betrachtung der Mehrheitsdemokratie unumgänglich schien.
Es gilt für die CDU zu beachten, was ihr blühen kann, wenn sie sich von der Koalition mit der AfD mehr Handlungsfreiheit verspricht. Wenn es Merz nur um eine Regierungsperiode geht, wird ihm dieses Szenario egal sein. Längerfristig gedacht, beschleunigt er damit aber den Untergang seiner Partei.
Verkurzung Deutschlands
Die Verkurzung Deutschlands durch die Merz-CDU wird den Aufstieg der AfD nur befördern. Friedrich Merz hat sich selbst die Krone der „Migrationskompetenz“ aufgesetzt und sich vor allem mit seinen Versprechen einer allein grundrechtlich fraglichen „Abweisungspolitk“ schon vorab in ein Dilemma manövriert. Maria Fiedler dazu im SPIEGEL:
Merz wichtigstes innenpolitisches Wahlversprechen, neben der wirtschaftlichen Erholung, ist die Eindämmung der illegalen Migration. Nach der Messerattacke in Aschaffenburg kündigte er an, er werde am ersten Tag seiner Kanzlerschaft die Grenzen schließen und Asylbewerber fortan abweisen lassen. Merz hat erklärt, hier keine Kompromisse mehr machen zu wollen. Damit hat sich der CDU-Chef eingemauert. Wenn er nicht sofort Enttäuschungen produzieren will, muss er sich in den Koalitionsverhandlungen weitgehend durchsetzen – und der SPD dafür an anderer Stelle womöglich eines zugestehen.
Die AfD lauert nur darauf, dass Merz nicht liefert. »Er wird von seinen Versprechungen doch gar nichts umsetzen können, das ist alles Augenwischerei«, sagte Weidel am Wahlabend.
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