Eine Prise Möglichkeitssinn: Es ist nicht ausgeschlossen, dass eine „Koalition der Vernünftigen“ dem Irrsinn und Irrwitz den Wind aus den Segeln nimmt.
Meinen deutschen Freunden habe ich vergangenes Wochenende geschrieben, dass sich auch düsterste Aussichten blitzschnell wieder ändern können. In Österreich haben wir das ja in den letzten Wochen miterlebt. Meine Botschaft: Dass sich um’s nächste Eck eine Aufhellung zeigt, kann man nie ausschließen.
Echt arg: Dass man als Österreicher einmal die Deutschen trösten wird, hätte man sich so auch nicht gedacht. Und das, obwohl die Warnung vor „österreichischen Verhältnissen“ ja der Schlager im Wahlkampf war.
Wenn nicht irgendwelchen Intriganten in den verschiedenen Parteien ein neuer Blödsinn einfällt, werden wir in den nächsten Tagen in Österreich eine neue Regierung haben. Christian Stocker wird es wohl noch immer nicht glauben können, dass er in wenigen Wochen vom Parteisekretär und Bad-Cop-Apparatschik zum Kanzler gestolpert ist. Man kann schon Zweifel hegen, ob er den Rollenwechsel hinbekommt. Aber man soll es auch nicht ausschließen. Die Position des Parteigenerals ist von der ganzen Aufgabenstellung prinzipiell eher mit dem Rollenverständnis des Pitbull-Terriers verbunden, also dem, der vornehmlich mit dem rhetorischen Baseballschläger agiert. Dass an einen Kanzler ganz andere Aufgaben gestellt sind, wird auch Stocker klar sein, wenn er nicht völlig vertrottelt ist. Und es spricht wenig dafür, dass er völlig vertrottelt ist.
Eine Koalition der Vernünftigen?
Drei Parteien werden miteinander regieren, nicht aus Zuneigung, sondern weil es die Umstände erzwingen. Sie werden das in einem populistischen Moment tun, in dem also rechtsextreme Parteien überall – und bei uns erst recht – einen Aufwind haben, und generell eine negative Grundstimmung über Europa hängt. Eine Stimmung, die Regierenden generell nicht unbedingt günstig ist.
Aber es gibt auch die Erwartungshaltung, dass jetzt endlich jemand regiert. Die Dreierkoalition wird schon von daher eine gewisse freundliche Aufnahme finden, weil die Leute froh sind, dass die peinliche Hängepartie der letzten Monate zu Ende ist. Man freut sich ja auch schon, wenn man einfach ordentlich regiert wird, von Leuten, die auch den Eindruck erwecken, dass sie ihren Job können. Besonders klasse wäre es, wenn die Leute sogar ausstrahlen, dass sie kompetent sind und besonnene Politik machen.
Eine „Koalition der Vernünftigen“, wäre ja nicht die schlechteste Sache.
Noch wissen wir nicht fix, wer in Ministerämter einziehen wird, ein paar Namen, die kursieren, lassen vorsichtigen Optimismus aufkommen. Wolfgang Hattmannsdorfer als Wirtschaftsminister kann durchaus ein Atout der ÖVP sein, für die SPÖ-Regierungsriege hört man großartige Namen, wie Markus Marterbauer, Helene Schuberth, Silvia Angelo (alle drei für das Finanzministerium), Oliver Scheiber und Selma Yildirim (Justiz). Eva-Maria Holzleitner, das größte Talent der jüngeren Generation ist sowieso gesetzt. Sogar die großartige Miriam Hufgard-Leitner ist als Gesundheitsministerin genannt worden. Andreas Babler wiederum hat die Möglichkeit zum linken, populären Staatsmann zu wachsen. Soll man ja auch nicht vergessen: In unserer Zeit hat man den Anspruch an Leute, dass sie heute aus dem Nichts aufsteigen und morgen triumphal Wahlen gewinnen und aus einem tiefen Erfahrungsschatz heraus agieren können – aber man gibt ihnen selten die Zeit dazu, diesen zu entwickeln. Nur als Beispiel: Bruno Kreisky trat 1951 als Kabinettsvizedirektor in das Bundespräsidialamt ein, und war auch nicht ein Jahr später das Polit-Genie – Kanzler wurde er 19 Jahre später.
Lasst mal paar Kompetente ran!
Amtsträgerinnen, die ausstrahlen, dass es ihnen um die Leute geht, die nicht auf die Butterseite des Lebens gefallen sind, die ausstrahlen, dass es ihnen um das Staatsganze geht (und nicht um kleinliche Parteivorteile), und die zudem ausstrahlen, dass sie fähig und kompetent sind, sie könnten dem verbreiteten Verdruss an den Parteien und dem unschönen Polit-Schauspiel etwas entgegensetzen. Hoffen wir, dass diesmal wirklich solche Leute zum Zug kommen. Seien wir einfach einmal vorsichtig optimistisch. Der ewige Pessimismus ist sowieso fad und das dauernde Lamento können wir nicht mehr hören. Wenn die Koalition fünf Jahre lang ihre Sache einigermaßen gut macht, kann die allgemeine Stimmung auch wieder eine andere sein. Allein schon deshalb, weil Stimmungen sich ohnehin verändern in so langen Zeiträumen.
Hoffen wir also, dass die neoliberalen Ayatollahs bei den Neos das Bündnis nicht doch noch krachen lassen, aber wenn, dann muss man eben ohne sie regieren, auch das wäre kein Beinbruch. Gefährlicher wäre noch, wenn sie in die Regierung eintreten, sie aber dann zu sabotieren beginnen. Es ist ja leider eine verbreitete und zugleich äußerst blödsinnige Versuchung, zu glauben, man könne sich innerhalb von Regierungen gegen die eigenen Koalitionspartner „profilieren“, indem man permanenten Streit inszeniert. Wie das ausgeht, da darf man gerne bei Christian Lindner nachfragen.
Der wollte ja mehr Musk und mehr Milei wagen. Jetzt würde man sich eher wünschen, wenn Musk und Milei mehr Lindner wagen würden. Der wenigstens hat sich gekonnt ins Aus katapultiert.
Ansonsten ist der Ausgang der deutschen Wahlen unschön, wenngleich er fast punktgenau wie erwartet ausfiel.
Deutschland: Die Katastrophe der SPD
Die Katastrophe der deutschen SPD – die das schlechteste Ergebnis seit 1887 erreichte –, war, trotz der polit-klimatischen Stimmungslage, letztendlich eine vermeidbare Niederlage. Man muss das so offen sagen. Rückblickend hat Olaf Scholz schon zu Beginn seiner Kanzlerschaft den entscheidenden Fehler gemacht, indem er eine Ampel mit der FDP zimmerte und deren Chef auch noch das Finanzministerium überließ. Man stelle sich vor, er hätte vor dreieinhalb Jahren eine Koalition mit der CDU unter Armin Laschet gebildet. Es wäre sicherlich besser gewesen, aber gut, hinterher ist man leicht klüger. Dann aber hat er die Konflikte in seiner Koalition laufen lassen, weil seine strategische Überzeugung war, man könne in einer Dreierkoalition nur als „Moderator“ führen. Quasi als Coach und täglicher Therapeut. Es war keine völlig gestörte Überlegung, aber was soll man sagen, der Plan ging nicht gigantisch gut auf. Spät warf er den Saboteur Christian Lindner aus dem Kabinett, hätte dann aber noch die Möglichkeit gehabt, mit einer eigenen Erzählung zu punkten. Der nämlich, dass er alles getan hat, gut zu regieren, aber von einem fiesen Zocker daran gehindert worden sei. Aber genau in diesem Moment, in den Tagen nach dem Regierungskollaps, wo die Sozialdemokraten diese Botschaft trommeln hätten müssen, brachen sie eine Debatte vom Zaun, ob man Scholz nicht wegen Unfähigkeit und Chancenlosigkeit auswechseln sollte. Man tat es dann nicht, ließ die Debatte aber eine Woche köcheln. Die Botschaft war: Wir trauen unserem Spitzenkandidaten nichts mehr zu, aber wir behalten ihn dennoch. Wenn man so in den Wahlkampf startet, ist es vorbei, bevor er begonnen hat. Angesichts dessen sind die 16,5 Prozent sogar noch ein gutes Ergebnis.
Wie Scholz die „Marke Scholz“ schrottete
Selbst hartgesottene SPD-Stammwähler haben die Sozialdemokraten nicht mehr gewählt, und oft nicht einmal aus akzentuiert „politischen“ Gründen, sondern einfach, weil sie fanden, Scholz kann es nicht. Weil die Ampel einfach beim Regierungshandwerk geschlampt hat. Die Leute haben nicht gesagt: SPD geht gar nicht. Sie haben gesagt: Scholz geht gar nicht mehr.
Scholz hatte ja die Wahlen 2021 einerseits gewonnen, weil er mit seinem „Respekt“-Wahlkampf jene angesprochen hat, die sich von der Politik vergessen fühlen, aber vor allem, weil er sich als der präsentierte, der regieren kann, der das Geschäft versteht. Mit dem Fiasko der Ampel hat er aber gerade das zerstört, was seine größte Stärke war. Er hat damit Quasi die „Marke Scholz“ irreparabel geschrottet.
„Die Linke“ führte einen perfekten Wahlkampf
Siehe oben, wie gesagt: Die Menschen wollen einfach ordentlich regiert werden. Klar, die einen würden es sich ein bisschen linker wünschen, die anderen ein bisschen rechter, aber wir sollten nicht ignorieren, dass viele fürs erste schon mal zufrieden wären, wenn sie einfach normal regiert werden, von Leuten, die keine Schreihälse sind und ihren Job verstehen und vertrauenserweckend sind, sodass man das Land bei ihnen in guten Händen glaubt.
Das Fiasko der Ampel machte es für die SPD schwer und für die Grünen ebenso. Die Chance, die sich dadurch auftat, nützten die Linken. Es war die spektakulärste Auferstehung seit Lazarus. Mit Heidi Reichinnek hatten sie eine Frontfrau, die sich im Wahlkampf in wenigen Wochen zu einem Politik-Star mit Strahlkraft verwandelte, was vielfach schon mit Erstaunen kommentiert wurde, aber man soll auch nicht vergessen, dass sie in eine neue Generation toller Leute eingebettet ist, wie etwa Ines Schwerdtner, die neue Parteivorsitzende und Gründerin des deutschen Ablegers des „Jacobin“-Magazins. Diese Leute sind einfach frisch, sprechen gerade Sätze, sind Aktivisten im besten Sinne, haben tausende Leute mobilisiert, mit ihnen Haustürwahlkampf zu machen und haben einen genialen Internet-Wahlkampf geführt, mit dem sie zur stärksten Partei unter den Jung- und Erstwählern wurden. Sie haben einfach einen perfekten Wahlkampf gemacht. Und der wird belohnt. Ist ja irgendwie auch verdient.
Man kann davon schon etwas lernen, etwa, wie man den Kampf um die gesellschaftliche Hegemonie wenigstens aufnimmt. Zugleich soll man auch nicht in den Selbstbetrug verfallen, dass man an dem Beispiel sieht, wie man als linke Partei Wahlen gewinnt. Wenn man realistisch ist, dann muss man so formulieren: Die Linke hat gezeigt, wie man von drei Prozent auf 8,5 Prozent kommt, wenn die anderen Mitte-Links-Parteien straucheln und es zudem keinen echten Anreiz mehr für strategisches Wählen gibt, weil eh klar, wer die Nummer eins sein wird. Das haben die Linken perfekt vorgemacht. Man kann sie deshalb aber noch lange nicht als Vorbild dafür nehmen, wie man linke Volksparteien wieder von zwanzig auf dreißig Prozent hoch bringt. Für das eine muss man die akzentuierten Linken gewinnen, für das andere die breite, gemäßigte Mitte.
Das ist allerdings ein ganz anderes Spiel. Die Strategien, die beim Fußball funktionieren, helfen ja auch nicht automatisch beim Schach.
Titelbild: Miriam Moné