Montag, März 17, 2025

Lüge und Fiktion in der Politik

Westliche Parteien und Regierungen greifen heute Presse-, Meinungs- und Redefreiheit an, um ihre Lügen und Fiktionen ungehindert propagieren zu können. Die Demokratien scheinen diese Lügen sanktionslos hinzunehmen.

Es ist eine unsägliche Mode geworden, jeder Feststellung den Satz »Aber das darf man heute ja nicht mehr sagen« hinzuzufügen. Eine Floskel. Vielleicht. Aber sie behauptet, dass eine diffuse Macht den Menschen das Wort verbietet.

Genau dieselben, die das sagen, haben nun damit begonnen, genau dieses Verbot zu fordern. Ob in den USA oder in Deutschland, Österreich und Ungarn – die neo-faschistischen Bewegungen fordern heute ganz offen das »Gängeln von Medien«. Der Begriff ist eine Untertreibung, denn er bedingt in Wahrheit die Abschaffung der Rede- und Meinungsfreiheit und damit eine entscheidende Schädigung der Demokratie.

Lüge und Vertuschung

Das tun sie ganz bewusst, doch seit 2015 und spätestens 2016 mit größerer Bestimmtheit und Dreistigkeit. Es wurde zurecht immer wieder davor gewarnt, eine solche Politik zuzulassen. Doch schon als Sebastian Kurz Kanzler war, war sie Realität. So wurden ganze Medienhäuser mit Chefinnen und Chefs besetzt, die ihm und seiner Partei gefügig waren.

Und sieht man anlässlich der Regierungsbildung in Österreich, wie sie instinktiv mit jedem bei den Haaren herbeigezogenen Argument gehässig auf die SPÖ losgehen, die nun eine Regierung ohne die FPÖ von Herbert Kickl, welche der Wunsch großer Teile der Volkspartei war, erst ermöglicht hat, dann sehen wir, dass die parteipolitische Gehirnwäsche der Kurzzeit bis heute wirkt. Und es ist noch nicht vorbei. Es ist nie vorbei. Die Ideen von Unterwerfung und Zensur sind überall und dauernd vorhanden.

Der Zweck der Zensur ist klar. Die Propaganda einer Regierung basiert auf Lügen und Fiktionen. Diese zu enttarnen soll unterbunden werden. Zweitens sollen durch gegängelte Medien Straftaten vertuscht werden, die Regierungen, ihren Mitgliedern oder deren Handlangern zur Last gelegt werden. Auch hier ist die Bigotterie des Neo-Faschismus deutlich erkennbar, vor allem durch seine Unverhältnismäßigkeit. Verteidigt man in den USA das Recht, jemanden, der sein Grundstück betritt, sofort erschießen zu können, sind die Strafen für einen Mob, der ein Regierungsgebäude stürmt und gewaltsam eindringt, milde.

Demokratie als Mittel zum Zweck

Die hier gemeinten Regierungen arbeiten also mit Lügen. Sie arbeiten bewusst mit falschen Darstellungen, lehnen aber den Diskurs über ihre Richtigkeit grundsätzlich ab. Damit ist eine wesentliche Bedingung für die Demokratie nicht mehr gegeben. Man kann sich nun mit seltsamen Wortbildungen behelfen wie »illiberale Demokratie«, so als könnte es Demokratie ohne Rede- und Meinungsfreiheit geben; so als würde nicht das Recht, die Meinung zu sagen, sich zu organisieren, Gruppen und Parteien zu bilden und am politischen Leben teilzunehmen, ganz gleich, welche Ansichten man vertritt, erst die Demokratie ausmachen.

Die Demokratie ist für den Faschisten kein Ideal. Sie ist für ihn ein Übel. Da sie aber die Ausgangsposition der faschistischen Bewegungen ist – denn diese Entstehen in der Demokratie – wird sie als notwendiges Übel gesehen. Und als ein Mittel zum Zweck. Denn von den Möglichkeiten und Freiheiten der Demokratie machen gerade die faschistischen Parteien intensiven Gebrauch. Sie streben danach in der Demokratie, in dem Staat, gegen den sie sind, wichtige Ämter zu bekleiden. Von dort aus verbreiten sie Lügen. Lügen und Fiktionen.

Große und kleine Fiktionen

Es gibt große und kleine Fiktionen. Kleine Fiktionen etwa sind der »Hackerangriff auf die ÖVP« oder jüngst die angebliche Attacke auf den Bürgermeister von Vösendorf, oder der von Sebastian Kurz ohne Fakten und Abwarten von Ermittlungsergebnissen verkündete angebliche »Selbstmord« von Christian Pilnacek. Wie wir aus Peter Pilz’ Buch erfahren, liegt die Tragik vor allem darin, dass gleich danach eine Menge von Polizisten, Juristen, Sachverständigen und Journalisten unter Vernachlässigung ihrer Pflicht daran gearbeitet hat, Kurz’ Fiktion als Wahrheit hinzustellen.

Eine große Fiktion ist etwa die Bedrohung westlicher Staaten durch Zuwanderung. Diese Fiktion ist selbst zu einer Bedrohung geworden. Die sachliche Diskussion darüber wird im Keim erstickt. Aber die Methode, damit billige Propaganda zu machen, springt von einer Partei auf die nächste über. Die Behauptungen, Mittel und politischen Versprechungen, die man an diese Fiktion knüpft, sind zum Teil wahrheitswidrig. Doch werden sie sanktionsfrei artikuliert.

Einander widersprechende Forderungen

Hier kommt die Lüge wieder ins Spiel. Claus Offe schrieb in einem vielbeachteten Aufsatz: »Wenn wir die begrifflichen Meßinstrumente für politische Unehrlichkeit noch etwas feiner einstellen, dann kommt auch jene Lüge in den Blick, die darin besteht, daß ich mich zu dem Ziel A und zugleich zu dem Ziel B bekenne, obwohl ich weiß, daß beide sich gegenseitig ausschließen.«

Diese Lüge hat heute bürgerliche Parteien erfasst, in denen angeblich Christen ganz ungeniert das Achte Gebot brechen. Man kann nicht einen Eid auf die Österreichische Bundesverfassung ablegen und gleichzeitig eine »Sicherungshaft für Flüchtlinge« fordern. Das wissen auch jene, die diese Forderung aufstellen. Auch Friedrich Merz’ generelle Abweisung asylsuchender Flüchtlinge ist nicht mit der Verfassung vereinbar. Nun stellt sich die Frage, ob das Unwissen des jeweiligen Politikers eine solche Forderung ermöglicht – das würde ihn als inkompetent ausweisen –, oder ob er bewusst öffentlich fordert, was einer anderen Forderung widerspricht – dann wäre es eine Lüge.

Ausbleibende Sanktionierung

Wir erleben gerade, wie ein solches Propagieren und Lügen in den westlichen Staaten um sich greift. Erstaunlicher als das ist, dass es völlig sanktionslos möglich ist. Man bekommt in den letzten Jahren das Gefühl, Politiker und ihre Berater überlegen Tag für Tag, welche noch dreisteren, brutaleren, irrsinnigeren Lügen sie erzählen, welche noch haarsträubende Forderungen sie erheben könnten, um von den Medien, denen sie die Kritik an ihrer Person verbieten wollen, groß aufgemacht zu werden. Und man hat in Österreich heute, angesichts der Bildung einer soliden Regierung, die so vernünftig ist, wie schon lange nicht, das Gefühl, dass es viele gibt, denen das zu langweilig und zu wenig Sensation ist.

Als die Stichwahl zwischen Hofer und Van der Bellen im Präsidentschaftswahlkampf 2016 stattfand, waren fast 300 Medienvertreter aus anderen Ländern in Österreich, um zu berichten. Fast die Häfte davon hat nach der Wahlentscheidung für Van der Bellen gar nicht berichtet. Warum? Der Skandal ist ausgeblieben. Die politische Entscheidung kam ihnen langweilig und nicht kolportierenswert vor. Das zeigt die Bedrohlichkeit dieser Sensationslust für Sachpolitik.

Die Lüge ist heute nur eine Ware. Sie ist ein Muss im zynischen politischen Geschäft, das nicht auf Inhalte aus ist, sondern auf Aufregung, um Unterhaltung in die Fadesse der konsumbetäubten Gesellschaft zu verkaufen. Doch warum bleibt die Lüge politisch sanktionslos? Claus Offe hat dazu eine These: »Insofern könnte es sein, daß wir uns als Bürger täuschen, wenn wir glauben, daß unser Institutionensystem hinreichend Abwehrmittel enthält, um Unehrlichkeiten, Betrug und Lügen seitens der politischen Eliten aufzudecken, zu sanktionieren und für die Zukunft abzuschrecken.«

Wahlen machen noch keine Demokratie

Wenn also die demokratischen Institutionen hier eine Schwäche haben, wie kann dann innerhalb der Demokratie überhaupt ein ethischer Konsens herrschen und wer kann handeln und einschreiten? Offe kommt zum Punkt: »In letzter Instanz hängt es von den Bürgern selbst ab, daß die Institutionen funktionieren.«

Dieser Satz scheint mir entscheidend. Die Tatsache, dass Wahlen durchgeführt werden, heißt nicht, dass ein Staat eine Demokratie ist. Denn wie sollten Wahlen demokratisch sein, wenn es keine unabhängige und vielfältige Information über die Wahlwerbenden in der Öffentlichkeit gibt (wie es z.B. in Ungarn der Fall ist). Wie sollten Wahlen demokratisch sein, wenn die Regierung bestimmt, wer zur Wahl zugelassen wird und wer nicht (wie in Russland und Aserbaidschan). Wie sollten Wahlen demokratisch sein, wenn eine Mehrheit eine bestimmte Partei oder eine bestimmte Kandidatin oder einen bestimmen Kandidaten wählt, das Wahlergebnis aber durch ein bestimmtes Prozedere jemand anderen zum Sieger erklärt (wie es in den USA bereits der Fall war).

Wir als Bürger müssen sanktionieren und müssen vor allem auf unsere Kontrollinstanzen pochen und nicht auf deren Zerschlagung. Unser tatenloses Zusehen wird die Abwärtsspirale nur beschleunigen. Offe kommt zum Schluß: »Denn zu jeder Lüge gehören zwei: einer, der lügt und einer, der sich entweder aus Naivität oder Mangel an demokratischem Argwohn belügen läßt oder aus Zynismus und Indifferenz selbst erwiesene Lügen für Bagatellangelegenheiten hält.«

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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