Montag, März 17, 2025

Opposition der Zukunft

Der Geist der Demokratie heißt Diskussion, Streit und Opposition. Wer das als sinnloses Gequatsche abtut, ist in seinem Kern bereits autoritär. Die Größe, Widerspruch zu ertragen, wird immer seltener – besonders in Zeiten der massiven Aufrüstung.

Wenn Westeuropa, eingekeilt zwischen autokratischen Systemen, als eine Menge zukunftsorientierter Demokratien weiterexistieren und Vorbild für andere sein will, braucht es auch Opposition.

Opposition mag Regierende verstören, ärgern, provozieren. Dazu ist sie unter anderem da. Aber sie tut vielmehr: Sie übt Kontrolle aus. Und sie hält das pluralistische System, das wir für selbstverständlich halten oder zumindest lange für selbstverständlich gehalten haben und heute in Gefahr sehen, aufrecht.

Innerparteiliche Opposition

Aus diesem Grund wehre ich mich so verbissen gegen den Ausdruck liberale Demokratie. Weil er tautologisch ist. Die Akzeptanz verschiedenster Strömungen ist Grundbedingung für Demokratie. Wo keine Versammlung und Organisation bestimmter Gruppen mehr erlaubt ist, wo das Verbreiten bestimmter Inhalte nicht mehr erlaubt ist, gibt es auch keine Demokratie.

Und vergessen wir auch nicht, dass der Begriff der Opposition weiter zu fassen ist: Es gibt auch innerhalb der Parteien Flügel, die in bestimmten Fragen nicht im Einklang mit der jeweiligen Parteiführung sind. Das ist gut so, weil es Diskurs lebendig hält und für die stetige Überprüfung der eigenen Position Diskussionspunkte liefert. Wir haben in den letzten Jahre erlebt, wie machtlos Parteichefs waren, die dem Anschein nach mächtig wirkten. Da hatte sich einer mit einem Durchgriffsrecht in seiner Partei ausstatten lassen. Und weg war er. Da hatte sich einer am Parteitag mit 100 Prozent zum Obmann wählen lassen, was sonst nur in Nordkorea vorkommt. Und weg war er.

Legale Korruption

Die Menschen und die Parteien sind gut beraten, Subkulturen zu akzeptieren, ja ihre Notwendigkeit anzuerkennen. Es ist wichtig, dass jede Bewegung Korrektive hat, denen sie nicht mit Ausgrenzung begegnet, sondern mit Diskussion. Wenn wir im Spektrum nach rechts gehen, haben wir Korrektive genug. So mächtig sind die rechten Bewegungen geworden, dass sie den Parteien der Mitte den Angstschweiß auf die Stirn treiben und viele dazu bringen, sie zu kopieren.

Auf der linken Seite und in den Bereichen Ökologie, Gleichheit der Geschlechter, Friede und Abrüstung fehlen diese Korrektive leider völlig. Das hat zum einen damit zu tun, dass die Presse zu einem Großteil in konservativer bis reaktionärer Hand ist. Und zum zweiten wird durch sogenannten Lobbyismus – einer Form legaler Korruption, die den Kauf von politischem Einfluss und Mandat bedeutet – politische Realität erzeugt, die nicht den Gegebenheiten entspricht, sondern der Kaufkraft des Auftraggebers. Wir erleben eine beispiellose Renaissance jener konsequenten Anfeindung von Linken und Aktivistinnen und Aktivisten für Gleichheit, Umweltschutz und Frieden, die schon einmal vom Bashing zur Hetze, vom Verbot bis zur Vertreibung, Inhaftierung und auch Ermordung führten.

False balance

Wir erleben unverhältnismäßige Darstellungen und Diskussionen, die direkt politischen Einfluss nehmen. Etwa die Reaktionen auf das Messerattentat von Villach: Es gab einen Trauermarsch, schwarze Fahnen, verstärkte Polizeipräsenz, ORF-Live-Übertragungen. Zur selben Zeit brachte das Ö1-Morgenjournal die aktuelle Geisterfahrer-Statistik. Geisterfahrten sind in allen Bundesländern zurückgegangen, außer in Kärnten. Und dort – und zwar besonders im Bezirk Villach – gab es im letzten Jahr mehr Verletzte und auch mehr Verkehrstote durch Geisterfahrten. Das Autofahren verursacht insgesamt in Österreich mehr Verletzungen und Todesfälle als Amokläufe und Attentate. Wo wird dieses Faktum in den Medien transportiert? Wo wird es diskutiert? Welche Politikerin, welcher Politiker bringt es zur Sprache?

Es ist eine false balance der Tatsachen, die von Menschenhand gelenkt wird. Wir können sie natürlich durch Sammeln von Berichten und Fakten selbst korrigieren, aber selten sind die Medien geworden, die das für uns tun. Und sie sollten es tun. Meiner Meinung nach müssen sie es tun. Politischer Diskurs braucht wahrhaftige Grundlagen und nicht anlassbezogene, unproportionale Skandalisierung.

Scheinindividualisierte Information

So ist es natürlich auch mit der Ökologie, die in der Konkurrenz mit der Skandalisierung vereinzelter Ereignisse, sofort hintangestellt wird. Es gibt auch einen Kapitalismus der Information. Seine Währung heißt Aufmerksamkeit. Und wie der westliche Kapitalismus investitionsfrei und schnell zu Gewinnen kommen will, ohne sich darum zu kümmern, was morgen passiert, so sind auch die heutigen Medien und die ihnen hechelnd hinterherlaufenden Politikerinnen und Politiker beständig um diese Aufmerksamkeit bemüht, egal wie nichtig und singulär der Anlass auch sein mag.

Die Scheinindividualisierung, die der Informationskonsum auf dem Smartphone heute bedeutet, ist nichts anderes als völlige Deregulierung: Redaktionelle Information und Propaganda stehen gleichwertig nebeneinander und können von vielen nicht mehr unterschieden werden. Die diskursive Behandlung von Themen wird abgelehnt; das ist ein Merkmal der neuen Rechten, mit dem sie auch den Parlamentarimus dikreditiert, wie es in autoritären Systemen wie im Nationalsozialismus genauso passiert ist: Im Parlament werde demnach nur gequatscht oder nur gestritten. Widerspruch und Diskussion bleiben auf der Strecke. Opposition ist per se etwas Abzulehnendes, Stänkerei, Gemecker, nicht anhörens- oder berichtenswert.

Chaos der Loyalitäten

So hat der jüngste diplomatische Eklat, die Benutzung des ukrainischen Präsidenten durch das US-amerikanische Regime für einen inszenierten Videoclip, der die Welt beschäftigt, eine sofortige, bizarre Reaktion ausgelöst: Die EU-Kommissionspräsidentin Von der Leyen will 800 Milliarden Euro aufwenden, um aufzurüsten, Waffen zu kaufen und damit die Verteidigungsfähigkeit Europas zu stärken.

Wie nun? Ist nicht das Heimatland Von der Leyens mit den USA Mitglied in der NATO? Möchte Deutschland nun neben NATO-Stützpunkten auch Europäische Militärstützpunkte aufbauen, die im Kriegsfall im eigenen Land gegen die NATO-Stützpunkte kämpfen? Hier scheint ein heilloses Chaos an Loyalitäten auszubrechen. Ganz gleich! Die logische Reaktion scheint den Konservativen zu sein: Aufrüstung, i.e. Waffenkauf. Die meisten dieser Waffen werden bestimmt von US-amerkanischen Firmen gekauft.

Der „bewaffnete Friede“

Ich habe in den Achtzigerjahren so viele Gedichte und Bücher gelesen und Diskussionen gehört, die sich um das Oxymoron des bewaffneten Friedens drehten. Wie auch immer man dazu steht; die Diskussion darüber war damals lebendig. Sie war getrieben von der Ansicht, dass wir in einer Zeit leben, in der niemand mehr einen Krieg gewinnen und nur alle ihn verlieren können. Wohin haben die USA mit Waffen Frieden gebracht? In den Irak? Nach Afghanistan oder Libyen?

Man kann mich zurechtweisen, bekämpfen, ignorieren, hassen, auslachen, für dumm, verblendet, naiv oder ewig-gestrig erklären – ich gehöre jener Opposition an, die davon überzeugt ist, dass nur Abrüstung, Gewaltverzicht und eine Entflechtung internationaler Politik von Wirtschaftsinteressen und dem übermächtigen Einfluss der Waffenlobbys Frieden bringen kann. In der Ukraine. Und überall auf der Welt. Und ich behaupte, diese Oppositon ist die Opposition der Zukunft.

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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