Während manche Medien grundlos über die neue Regierung schimpfen, findet ein Thema zu wenig Beachtung: Die Spionageprozesse rund um den russischen Informanten Jan Marsalek und dessen Vertraute, die in Österreich lange Zeit ungehindert agieren konnten.
Es ist schon ein seltsames Land dieses Österreich. Jetzt, wo jene regieren, die sich in Kompromissen zusammengefunden haben und man sie einmal arbeiten lassen könnte, hat die Presse nichts anderes zu tun, als mit Vorschusshohn und sinnloser Häme auf sie einzudreschen. Die Boulevardzeitungen tun es, weil ihnen jener Geldgeber, der die Preise für ihre Werbeflächen künstlich hochhält (nämlich die Regierung und ihre Ministerien), trotz Millionensubventionen zuwider ist. Die Qualitätspresse tut es, weil sie die FPÖ künstlich als Sensation hochhält, um Quoten zu erzielen.
»Was überraschend wäre: Wenn diese „großartige“ Harmonie innerhalb der Regierung nicht bald tiefe Risse bekäme», ätzt Klaus Herrmann, Rechtsaußen-Kommentator der Kronen Zeitung.
»Teuerste Regierung empört Land«, tobt heute. Mich empört eher die Gratiszeitung heute selbst, die gar nicht gratis ist, sondern die Steuerzahlenden Millionen kostet.
Faktum ist, dass die FPÖ in Österreichs Medien seit Jahrzehnten notorisch überrepräsentiert wird. Es wäre begrüßenswert, wenn es hiezu einmal eine Frequenzanalyse gäbe, die die Berichte seit 1986 umfassend und systematisch auswertet. Es vergeht kein Tag, an dem man uns nicht mitteilt, dass die FPÖ »auf Platz eins« rangiere oder »bei Umfragen deutlich vorne« läge. Ich weiß nicht, was man uns damit sagen will, denn es stehen keine Wahlen bevor und nach den vergangenen Wahlen konnte die FPÖ als stärkste Partei keine Regierung bilden. Man könnte stattdessen über andere Dinge berichten, die ebenfalls die FPÖ tangieren und wesentlich mehr Novitätscharakter haben.
ZackZack-Journalist Thomas Hoisl berichtete live über den Prozess gegen Ex-BVT-Mann Egisto Ott und den ehemaligen FPÖ-Politiker Hans-Jörg Jenewein, in dem es nun zwei weitere Angeklagte gibt:
»Durch die Anklage-Erweiterung werden auch die frühere Kickl-Kabinettsmitarbeiterin N. und ein ehemaliger Informant des österreichischen Staatsschutzes, der Deutsche H., vor Gericht Platz nehmen. Den vier Angeklagten ist eines gemein: Sie sollen sich laut Staatsanwaltschaft zwischen 2018 und 2021 gegenseitig geheime Informationen geschickt- oder zu Verletzung des Amtsgeheimnisses angestiftet haben. Im Fall von Jenewein und der Kickl-Mitarbeiterin N. geht es sogar um Amtsmissbrauch, wo ein Strafrahmen bis zu fünf Jahren möglich wäre. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.«
Hoisl weiter zu den Hintergründen:
»Der flüchtige Wirecard-Manager Jan Marsalek soll schon ab 2013 für den russischen Geheimdienst FSB tätig gewesen sein, hatte sowohl gute Kontakte zu ÖVP und FPÖ und ging im Innenministerium öfters ein und aus. Marsaleks engster Mann war der bis 2017 tätige BVT-Abteilungsleiter Martin Weiss, der seit 2021 ebenfalls flüchtig ist und sich wohl in Dubai aufhält.«
Journalisten verfolgt
Brisant wird die Sache dort, wo es um die Verfolgung der beiden Investigativjournalisten Christo Grozev und Roman Dobrokhotov geht. Wie die Times berichtet, steht der Verdacht im Raum, dass in Österreich für Russland spioniert wurde. Auftraggeber dafür soll Jan Marsalek gewesen sein. Am 7. März 2025 schreibt die Times:
»Im Jahr 2015 stellte er [d. h. Marsalek] Martin Weiss – damals Leiter der Abteilung Operationen [eigentlich „Informationsbeschaffung und Ermittlung“] im BVT, Österreichs Inlandsnachrichtendienst – als Berater ein. Alle von der Behörde gesammelten nachrichtendienstlichen Informationen, einschließlich jener, die von der CIA, dem MI6, dem Mossad und dem deutschen Bundesnachrichtendienst weitergegeben wurden, liefen über Weiss’ Abteilung.«
»Weiss und ein weiterer hoher BVT-Beamter, Egisto Ott, werden von österreichischen Staatsanwälten beschuldigt, Marsalek Informationen geliefert zu haben, die an Moskau weitergeleitet wurden. Die Ermittler behaupten, dass einige der Informationen für Attentate durch russische Killerkommandos verwendet wurden.«
Dass Ott den Wohnort Christo Grozevs ermittelt hat, gibt er laut SPIEGEL-Berichten vom April 2024 zu. Dort heißt es aber auch:
»Auch bei der Vorbereitung des Einbruchs hatte Ott, der mittlerweile in Untersuchungshaft sitzt, wohl seine Finger im Spiel. Er fragte zuvor die Meldeadresse von Grozev ab, fotografierte offenbar dessen Haus und gab diese Informationen mutmaßlich an den früheren Wirecard-Manager Jan Marsalek weiter, der mittlerweile in Moskau für russische Geheimdienste arbeiten soll. Ott hatte das gegenüber dem SPIEGEL eingeräumt.«
Bei einem Prozess in London gegen der Spionage Verdächtigte ging es auch um einen Einbruch in Grozevs Wiener Wohnung. Dazu der SPIEGEL 2024:
»Der Einbruch bei Grozev wird nun öffentlich, weil österreichische und britische Ermittler verräterische Chats auf beschlagnahmten Telefonen entdeckt haben: Einerseits bei Ott selbst, andererseits bei sechs russischen Spionen, die in Großbritannien geschnappt wurden und dort in Untersuchungshaft sitzen. Der Prozess gegen sie soll in diesem Jahr beginnen.«
Dass es hier vermutlich um Auftragsmorde geht, bringt ein vor wenigen Stunden erschienener Beitrag von Hollie Cole auf BBC News ans Licht. Dort heißt es:
»Ein Journalist, der zur Zielscheibe eines russischen Spionagerings wurde, sagte, die Gruppe habe eine Liste von „Attentatsmethoden“ zu seiner Ermordung, die „jede Vorstellungskraft übersteigt“. Christo Grozev sagte der BBC, die Gruppe habe über seinen Tod „phantasiert“ und darüber gesprochen, einen Vorschlaghammer und sogar einen „Selbstmordattentäter“ zu benutzen, um ihn zu töten.«
»Der Bulgare, der zusammen mit seinem Kollegen Roman Dobrochotow mehrere Enthüllungsberichte über Russland veröffentlicht hat, sagte, mehrere Vorfälle zeigten, dass die beiden in ganz Europa verfolgt wurden und Agenten „uns im Nacken saßen“.«
Was in Wien 2022 passiert ist, wirft nun gar kein gutes Licht auf Österreich. BBC News weiter:
»Jan Marsalek, der den Spionagering im Auftrag des russischen Geheimdienstes instruierte, schrieb im Dezember 2020 in einer Nachricht, Herr Grozev sei der „führende Investigativjournalist im Fall Navalny“. Nach 2020 verfolgte die Spionagezelle die beiden Journalisten durch ganz Europa und bespitzelte sie in Flugzeugen, Hotels und Privatwohnungen.«
»Am Freitag wurden drei Spione für schuldig befunden, im Rahmen einer der größten ausländischen Geheimdienstoperationen im Vereinigten Königreich für Russland spioniert zu haben. Vor Gericht wurde bekannt, dass Agenten des Spionagerings im Jahr 2022 in Grozevs Wohnung in Wien eingedrungen waren, „als mein Sohn in seinem Zimmer ein Computerspiel spielte“, so der Journalist. Er fügte hinzu: „Ich will gar nicht daran denken, was passiert wäre, wenn mein Sohn sich entschlossen hätte, während des Einbruchs aus seinem Zimmer zu gehen.«
Vergangenen Freitag wurden drei wegen Spionage angeklagte Personen – Vanya Gaberova, Katrin Ivanova und Tihomir Ivanchev – in London schuldig gesprochen. Der Prozess in Wien geht heute Montag mit Zeugenbefragungen weiter.
Titelbild: ROBERT JAEGER / APA / picturedesk.com