Montag, März 17, 2025

Privatisierte Gewalt

Mit seinem Ruf nach sogenannten Freedom Cities hat Peter Thiel ausgedrückt, was der nächste und letzte Schritt in der Zerstörung des demokratischen Staates sein soll: die Privatisierung von Gewalt. Wird das in den USA realisiert, wird man es bald nach Europa zu exportieren versuchen.

In meinem Roman SMART CITY, der im August 2025 erscheinen wird, erzähle ich von einer künstlichen Stadt, in der die Forderungen des Kapitalismus heutiger Prägung ohne demokratische Entscheidung, sondern von einem Konzern, dem die Stadt gehört, umgesetzt werden: Kein Zuzug, konsequenzlose Gewalt durch private Wachdienste, »Sicherheit« durch Totalüberwachung, freie Produktionsbedingungen auch im Energie- und damit auch im Nuklearsektor.

Der Traum der einen ist der Alptraum der anderen. Im Kapitalismus funktionieren viele Wirtschaftsbranchen nur, weil es Migranten gibt, die sich sehr niedrige Löhne gefallen lassen müssen. Überwachung führt zu Unzufriedenheit und Gegenwehr. Die Freiheit, die hier gemeint ist, ist die Freiheit einer besitzenden und herrschenden Klasse und bedingt die Unfreiheit der Arbeitenden und der Konsumenten.

Privatisierte Gewalt

Ich glaube nicht, dass Peter Thiel meinen Roman lesen wird. Ich glaube nicht, dass er Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny gelesen hat. Und selbst, wenn er es gelesen hat, hat die Lektüre vermutlich nichts bewirkt. Mit der Forderung, die US-amerikanische Regierung solle sogenannte Freedom Cities schaffen, also rechtsfreie Kommunen oder Bezirke, in denen Arbeitskraft und Umwelt ohne gesetzliche Kontrolle ausgebeutet werden können, hat Thiel unlängst bekräftigt, was er schon lange fordert: Die Abschaffung der Demokratie.

Natürlich wäre das kein rein lokales Phänomen. Denn wenn, wie Thiel fordert, Kernspaltungsstartups ohne Umweltkontrollen nukleare Versuche durchführen können, wird die verursachte Strahlung wohl nicht an den Grenzen der Freedom Cities aufgehalten werden können. Das ist auch nicht der Plan. Der Plan ist, Demokratie und Recht draußen zu halten. Solche Räume werden von privaten Wachdiensten kontrolliert, die Firmen unterstehen und beliebig Gewalt anwenden können. Es wird kein Recht geben, da eine Rechtssprechung, wenn es sie pro forma überhaupt gibt, natürlich auch Konzernen oder überhaupt nur einem Konzern untersteht.

Kategorischer Imperativ

Peter Thiel ist ein zurückgebliebener Mensch. Er mag diese oder jene Fähigkeit besitzen; aber die wesentlichste Fähigkeit für menschliche Interaktion ist bei ihm nicht schlecht ausgebildet, sondern unvorhanden: Dinge aus der Perspektive einer anderen Person zu betrachten.

Es ist nicht schwer, die Konzepte der Ethik zu verstehen. Kants Erklärung des kategorischen Imperativ ist dabei in der Aufklärung zentral und er kann uns bis heute leiten: Wir sollen nach Grundsätzen handeln, wie wir sie uns auch als allgemeine Gesetze vorstellen können. Das heißt, wir müssen uns vorstellen, dass wir von anderen so behandelt werden, wie wir sie behandeln. So leicht das gesagt und geschrieben ist, so schwer ist es, dem Kapitalisten dieses Prinzip nahezubringen.

Gleichheit ist ein künstlicher Grundsatz

Hierin liegt nun die Stärke Brechts und seines Librettos zu Mahagonny: Es macht klar, dass die Begriffe Freiheit und die Forderung, »dass man hier alles dürfen darf«, als reine Slogans menschenfreundlich klingen mögen; doch wenn die Freiheit des einen Individuums zur Unfreiheit des anderen Individuums führt, ist es keine Freiheit mehr. Freiheit ist nur dann Freiheit, wenn sie gleich verteilt ist. Die Demokratie legt Macht und Gewalt in die Hände aller. Sie geht vom Gleichheitsgrundsatz aus, der künstlich durch Gesetze geschaffen wird. Gelebt muss die Gleichheit aber erst werden. Das versucht die Demokratie, wie wir sie kennen, indem sie verschiedene Instanzen ersonnen hat, die einander kontrollieren, um Machtkumulation und Machtmissbrauch zu verhindern. Es sind das die Gewalten der Gesetzgebung, der Regierung und der Rechtssprechung.

Der Kapitalismus als parteipolitischer Bewerber in der Demokratie, hat den Gleichheitsgrundsatz immer schon in Frage gestellt und bekämpft. Der Kapitalismus hat ständig damit geworben, dass Menschen, die mehr »leisten«, auch mehr »haben« sollen. Er versucht eine natürliche Hierarchie zu postulieren, die er für gerecht und gerechtfertigt hält. Doch wenn wir sehen, dass Menschen alleine aufgrund ihrer Herkunft, aufgrund von Erbschaft, aufgrund gekaufter politischer Vormachtstellung mehr besitzen und mehr Macht haben als andere; wenn wir sehen, dass jemand das Tausend- oder Millionenfache von jemand anderem besitzt, dann wird uns klar, dass dieses Missverhältnis nicht durch Fleiß, Intelligenz, Geschicklichkeit zustandegekommen ist, sondern durch Gewalt und Ausbeutung.

Sklaverei

Die kapitalistischen Parteien des Westens haben nach dem Zweiten Weltkrieg lange behauptet, der Kapitalismus würde Demokratie garantieren. Viele Menschen im Westen haben daran geglaubt und sich auf sie verlassen. Seit fünfunddreißig Jahren müssen sie nun aber – die einen früher, die anderen später – zur Kenntnis nehmen, dass diese Parteien sich radikalisieren.

Das kapitalistische Wirtschaften hat sich längst davon verabschiedet, seine Gewinne im Wettbewerb mit anderen zu erwirtschaften. Thiel lehnt den Wettbewerbsgedanken ganz offen ab. Heute wollen die Unternehmen Milliarden vom Staat und kaufen dafür Einfluß in der Politik. Ihre Unternehmen sollen einen Monopolstatus erhalten. Wo das nicht schnell genug geht, dort gibt es eine letzte Hürde zu überwinden: Die Demokratie. Sie schützt (noch) die Arbeitenden und die Konsumenten. Diese zu entmachten, zu versklaven und wenn nötig zu töten, ist das Ansinnen Peter Thiels. Er glaubt wirklich an Sklaverei und er will sie einführen und legalisieren. In den sogenannten Freedom Cities sieht er nun die Möglichkeit, diese Versklavung durchzuführen und diese Morde zu begehen.

Goldene Zeiten

Lange hat man sich gewundert, auf welche Zeit Donald Trump sich bezog, als er mit dem Slogan Make America Great again! durch sein Land gezogen ist. Meinte er die Ära Reagans oder Eisenhowers oder McKinleys? Nein! Er meinte die Zeit der Siedler, die immer weiter nach Westen zogen. Und mit ihnen die Blutspur von Gewalt und Selbstjustiz.

Als erstes bekämpften und unterdrückten sie die Urbevölkerung des Kontinents und rotteten sie in einem Genozid fast aus. Sodann schufen sie kleine Kommunen nach ihrem Recht, welches auch immer das war. Als viele Goldgräber 1848 noch durch ihre sensationellen Funde reich werden konnten und eine riesige Einwanderungwelle auslösten, war klar, dass dieses Paradies nicht für alle ein Paradies sein kann. Die, die ein Jahr später ankamen, die sogennnten Fourty-Niner, von denen auch im Song Oh, my Darling Celementine die Rede ist, fanden kaum Gold mehr. Sie mussten sich mühsame und karge Existenzen aufbauen. Die Outlaws aber lebten in goldenen Zeiten.

Regierung der Outlaws

Wer dem Kapitalismus ins Auge sieht, muss auch seine Menschenfeindlichkeit sehen. Diese ist nicht ein Zeichen seiner Entgleisung, sondern ein ihm wesenseigenes Merkmal. In den USA greift er jetzt nach der Privatisierung all dessen, was gewinnbringend und ihm nützlich ist. Der letzte Schritt: das Gewaltmonopol des Staats zu beenden und Gewalt zu privatisieren.

Donald Trump ist der Mann, der das durchführen soll. Wir werden einmal sehen, ob es bei dieser Amtszeit bleibt und ob – wie bei Putin – nicht doch Verfassungsänderungen kommen, die Trump eine lebenslange Herrschaft ermöglichen. Trump ist die Demokratie egal. Wird er in ihr nicht gewählt, ruft er zum Sturm und zur Zerstörung der höchsten staatlichen Institutionen auf.

Beendigung der Kapitalkumulation

Um sich vor Trump zu schützen, wird man sich etwas überlegen müssen. Um sich aber vor den Outlaws Musk und Thiel, Bezos, Zuckerberg und vielen anderen zu schützen, muss den Menschen endlich klar werden, dass die immer weiter fortschreitende Kumulation von Kapital beendet werden muss und zwar auf gesetzlicher Basis, also durch die staatliche Gewalt der Mehrheit: Die Oligarchen müssen enteignet werden. Sie selbst sollen ein Leben in Wohlstand zu Ende leben können. Nach ihrem Tod aber muss ihr gesamtes Kapital dem Staat zufallen. Lässt man sie weiter reicher und einflußreicher werden, sich als Nicht-Gewählte im Weißen Haus aufplustern, Umstürze mit rechten Parteien in anderen Ländern planen und finanzieren, dann sind nicht nur die USA, dann ist die ganze Welt bedroht. Wie es ja jetzt schon der Fall ist.


Titelbild: Miriam Moné

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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