Freitag, April 18, 2025

Mehlwurm-Mehl & Grillen-Snack: Des einen Hoffnung, des andern Schreck

Heuschrecken, Würmer & Co. werden seit einigen Jahren in immer neuen Produktideen angeboten. Was die einen als nachhaltige Proteinquelle feiern, sorgt bei anderen für Sorgenfalten. Was steckt hinter der Angst, Würmer würden bald in unserem Brot sein?

Ab 10. Februar 2025 nutzten zahlreiche Parteien in Europa, vor allem aus dem rechtspopulistischen Lager, ein auf EU-Ebene neu zugelassenes Lebensmittel, um Stimmung gegen Brüssel zu machen. Es ging um Insekten in Lebensmitteln. Genaugenommen die mit UV-Licht bestrahlten Larven des Mehlkäfers in getrocknetem Zustand. Sie wurden als „neuartiges Lebensmittel“ in der Nahrungsmittelproduktion zugelassen.

Die Aufregung war vorprogrammiert. Quer durch Europa polterten Politiker von FPÖ, AfD und Rassemblement National gegen ein Europa, das uns heimlich Insekten ins Essen mischt. Konsumenten waren verunsichert. Zu Recht? Und wird es in Zukunft mehr Insekten am europäischen Speiseplan geben?

Zugelassene Insekten in der EU

Die UV-bestrahlten Larven des gelben Mehlkäfers sind nicht das erste Insekt, das von der EU-Lebensmittelbehörde EFSA geprüft und zum Verkauf zugelassen wurde. Bereits seit 2021 kann man in der Europäischen Union Produkte aus oder mit Insekten kaufen. Der gelbe Mehlwurm, also die Larve des gelben Mehlkäfers ist bereits seit Frühling 2021 zugelassen.

mehlwurm
Bildcredits: insektenwirtschaft.de

Einen namhaften Erzeuger von Bio-Mehlwurmprodukten trifft man im Kärtner Bad St. Leonhard. Dort produziert Andreas Koitz mit seiner Wurmfarm “Prime Insects” unter anderem eine Backmischung für 4,90€ pro 250 Gramm. Das beliebteste Produkt sind derzeit jedoch die in Zotterschokolade ummantelten Mehlwürmer, dicht gefolgt von Proteinriegeln.

Das Geschäft mit essbaren Insekten sei ein „Auf und Ab – Tendenz steigend. Derzeit gibt es wieder einen Boom”, so Koitz im Telefongespräch mit ZackZack, der überzeugt ist, einer der am strengsten kontrollierten Lebensmittelproduzenten in Österreich zu sein. Die Angst vor Insektenprodukten in herkömmlichen Produkten wie Brot kann Koitz nicht nachvollziehen. Denn seine Mehlwurm-Backmischung „wird nie ein Ersatz für Mehl sein, sondern ein hochwertiger Proteinzusatz”, der derzeit in der Herstellung circa 25-mal so viel kostet wie Mehl. Der Vergleich mit Getreideprodukten sei unangebracht – vielmehr müsse man die Insektenzucht mit der Fleischproduktion vergleichen.

incrust brotbackmischung
Bildcredits: https://shop.primeinsects.com/products/incrust-brotbackmischung

Im Herbst 2021 folgte die Europäische Wanderheuschrecke, die gefroren, getrocknet oder als Pulver die Zulassung erhielt

heuschrecke
Bildcredits: insektenwirtschaft.de

Nicht anders ist es bei der Hausgrille – auch Heimchen genannt – die ebenfalls seit 2021 in europäischen Marktregalen gefroren, getrocknet oder als Pulver verkauft werden darf.

hausgrille
Bildcredits: insektenwirtschaft.de

Das Bremer Unternehmen “EntoSus” bietet eine Vielzahl an Produkten aus oder mit Insekten an, auch mit Grillen. Der “Grillen Protein Snack” beispielsweise kostet in der 100-Gramm Packung 4,99€ und soll als Cornflakes-Ersatz oder Snack für Zwischendurch zum Einsatz kommen.

grillen protein snack entosus
Bildcredits: https://www.entosus.de/collections/proteinsnacks/products/grillen-protein-snack-zimt-zucker

Im Jahr 2023 komplettierte der sogenannte „Buffalowurm“ – die Larve des Getreideschimmelkäfers die Liste der zugelassenen Insekten. Er sieht dem Mehlwurm ähnlich und darf gefroren und getrocknet, sowie als Paste oder Pulver in Umlauf gebracht werden.

buffalowurm
Bildcredits: Gregor Teggatz, insektenwirtschaft.de

Der Vorteil von Insekten? Sie gelten als reichhaltige Proteinquelle und verbrauchen weit weniger Nahrung und Wasser als die konventionelle Massentierhaltung. Die Züchter und Anbieter von Insektenprodukten sind deswegen überzeugt von der Zukunft der Insektenahrung und überraschen immer wieder mit innovativen Porduktideen. Auch am Einsatz in der Tierzucht – etwa bei Geflügel oder Fischen – wird weiterhin geforscht. Als besonders nachhaltig könnten sich Insekten erweisen, wenn sie Abfallprodukte aus anderen Branchen wiederverwerten würden. Derzeit sind nur anerkannte Futtermittel für die Fütterung von Insekten zugelassen.

Einige Bestandteile von Insekten sind schon seit geraumer Zeit zugelassen und weitgehend akzeptiert:

Echtes Karmin, in Europa unter dem Kürzel E120 in Umlauf ist ein roter Farbstoff, der schon seit Jahrzehnten in der Nahrungsmittelindustrie verwendet wird. Er findet etwa Anwendung in Erdbeerjoghurt und wird von den Weibchen der Scharlachschildlaus gewonnen.

Schellack – E904 – ist eine harzige Ausscheidung der Lackschildlaus und ist in der EU wie Bienenwachs – Kürzel E901 – als Trenn- und Überzugsmittel seit 2019 zugelassen. Beide Stoffe können beispielsweise über frisches Obst oder Süßigkeiten gezogen werden, um deren Verkleben zu verhindern.

Kennzeichnung und Anwendung

Die Insekten dürfen nicht nur als Ganzes, sondern auch verarbeitet angeboten werden. Das kann Beimischungen in Brotteig, Nudelteig, Kuchen, Käseprodukten, Erdäpfelprodukten, Cerealien, Wurstprodukten und Porridge umfassen. Der Aufschrei war deswegen groß. Anlässlich der im Februar 2025 erfolgten Zulassung von UV-bestrahlten Mehlwürmern schürten vor allem Rechtsparteien und rechte Bewegungen in ganz Europa die Angst, das Brot beim Bäcker könnte ab jetzt heimlich mit Würmern versetzt sein.

Richtig ist: Grundsätzlich können die zugelassenen Insekten in Pulver- oder Pastenform in Brot, Kuchen oder Nudeln vorkommen. Unbemerkt oder heimlich gelangen sie allerdings nicht in das Produkt. Die Verordnungen der EU sehen vor, dass Produkte, die Insekten enthalten, klar gekennzeichnet sein müssen, weil allergische Reaktionen auftreten können – insbesondere bei Hausstaubmilben- und Krebstierallergikern. Das umfasst bei verpackten Produkten die hervorgehobene Kennzeichnung des verwendeten Insektes in der Landessprache und der lateinischen Bezeichnung auf der Zutatenliste. Das gilt auch dann, wenn Insekten in bereits verarbeiteten Zutaten als Zutat eines Produktes verwendet werden.

Bei unverpackten Produkten wie beispielsweise Brot beim Bäcker, muss die Ware auffällig gekennzeichnet sein. Kunden dürfen bei unverpackten Produkten, in denen sie keine Insekten erwarten, nicht in die Irre geführt werden.

Das stärkste Argument gegen die heimliche Beimischung von Insekten in Teig-, Käse- und anderen Produkten ist allerdings der Preis. Derzeit kostet Mehl aus Mehlwürmern das 25-fache von herkömmlichem Mehl. Alleine aus wirtschaftlichen Gründen würde daher niemand seinen Produkten unbemerkt Insektenmehl hinzufügen. Wer Insektenmehl verwendet, wird extra darauf hinweisen wollen, weil er dafür erhebliche Zusatzkosten aufbringen musste.

Heimische Supermärkte insektenscheu

Auf ZackZack-Anfrage geben die größten heimischen Supermarktketten an, keine Insektenprodukte anzubieten.

Eine Sprecherin von SPAR sagte auf die Frage, ob SPAR Produkte aus oder mit Insekten anbietet etwa: „Nein. Bei unseren Eigenmarken haben wir es verboten. Da dürfen keine Insekten-Bestandteile verarbeitet werden. Bei den Markenartikel-Herstellern können wir nur darauf hinweisen, dass das keine gute Idee wäre, weil die österreichischen Konsumenten das vehement ablehnen.”

Hofer antwortete ZackZack: „Aktuell verkaufen wir keine Lebensmittel mit Insekten bzw. mit aus Insekten gewonnenen Proteinen. Routinemäßig beobachten und sondieren wir den Markt. Sollten wir uns zu einem entsprechenden Verkauf entscheiden, so würden diese Produkte entsprechend, der rechtlichen Vorgaben, gekennzeichnet werden.”

REWE – der Konzern betreibt in Österreich etwa Penny Markt und Billa ließ ZackZack wissen: „Wir bitten um Verständnis, dass wir nur zu unseren Eigenmarkenprodukten Stellung nehmen können – bei diesen wird kein aus Insekten gewonnenes Pulver eingesetzt. Es gibt also aktuell in der REWE Group keine Eigenmarkenprodukte, bei denen Pulver aus Insekten eingesetzt wird und es bestehen auch keine Überlegungen dies zu tun.” Im Jahr 2021 gab es bei Billa den Insektenburger “ZIRP” zu kaufen. Dass er derzeit nicht mehr im Sortiment zu finden ist, zeigt, dass es der Insektenbranche schon besser gegangen ist.

Die Zukunft der Insektennahrung

Werden in Europa in absehbarer Zeit öfter Insekten am Teller liegen? Oliver Meixner von der Universität für Bodenkultur glaubt das nicht. Er führte eine Studie zum Konsumverhalten im deutschsprachigen Raum durch, die auch als Buch vorliegt. Dort zeigte sich klar, dass Insekten in Österreich ein Nischenprodukt bleiben werden. Die Akzeptanz für Insekten als Nahrung liege hierzulande unter zehn Prozent.  

Marlies Wallner, Ernährungswissenschaftlerin am Joanneum Graz nennt gegenüber dem ORF den Hintergrund: Lebensmittel-Neophobie, also die Angst vor neuen Lebensmitteln. Dieses weitverbreitete Phänomen sorge dafür, dass Menschen keine neuen Lebensmittel in ihren Speiseplan integrieren.

Wilhelm Fiege, der das Informationsportal Insektenwirtschaft.de betreibt, sieht die Branche auf ZackZack-Anfrage in Schwierigkeiten: „Speiseinsekten und Insekten-Lebensmittel sind derzeit hochpreisige Lebensmittel. Mit der aktuellen wirtschaftlichen Lage müssen viele wieder deutlich mehr auf ihr Budget achten, da fallen diese Produkte raus. Diverse Startups haben inzwischen auch schon aufgegeben”. Heute gebe es nur noch eine kleine Anzahl an Anbietern. Das größte Potenzial sieht Fiege bei „gemahlenen Insekten und Insektenfett beziehungsweise -öl, die als Zutat in Produkten oder Gerichten zu Hause verarbeitet werden.” Die Hersteller sind jedenfalls innovativ. Auf Insektenwirtschaft.de werden neuartige Produkte präsentiert und Rezeptvorschläge mit Insekten veröffentlicht. Die “Pizza mit 4 Sorten Insekten” wird aber wohl auch in absehbarer Zeit etwas für Insektenfans bleiben.

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Bildcredits: insektenwirtschaft.de

Andreas Koitz zeigt sich im Gespräch jedoch optimistisch. Derzeit ziehe die Nachfrage bei seinen Bio-Mehlwurmprodukten wieder an. Es sei jedoch „ein Marathon – kein Sprint”.


Titelbild: Insektenwirtschaft.de, Gregor Teggatz

Autor

  • Daniel Pilz

    Redakteur bei ZackZack. Studierte Philosophie an der Uni Wien und schreckt auch vor komplexen Themen nicht zurück.

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