Donnerstag, April 24, 2025

Faschismus in Amerika? „Ja, natürlich“

Umstrittenes F-Wort: Warum noch immer manche Leute das Trump-Regime verniedlichen.

Jason Stanley, Professor an der Yale-University, Philosoph und einer der profiliertesten Faschismusforscher der USA, hat beschlossen, das Land zu verlassen, genauso wie der große liberale Denker Timothy Snyder. Snyder, ebenso Yale-Historiker und Analytiker jedweder Spielart des Autoritarismus, wird auch nach Kanada übersiedeln.

Die Zerstörung der amerikanischen Demokratie hat begonnen. Und folglich auch der große Exodus.

Die US-Heimatschutzministerin Kristi Noem posierte vergangene Woche vor einem Internierungslager in El Salvador, wohin die US-Regierung vorgeblich „illegale“ Migranten deportiert. Die Gefangenen werden allgemein als lateinamerikanische „Bandenmitglieder“ abgestempelt. Um ins Netz von Trumps Menschenjäger zu geraten, reicht dabei schon eine etwas auffälligere Tätowierung. Faires Verfahren oder auch nur eine oberflächliche Untersuchung gibt es keine. Es herrscht die reinste Willkür. Jeder kann in einem dieser brutalen Lager verschwinden.

Viele Einwanderer in den USA schleichen nur mehr vorsichtig von ihrer Wohnung zu ihrer Arbeitsstelle, halten sich darüber hinaus so wenig wie möglich außerhalb ihrer vier Wände auf. Die Leute verstecken sich, aus Angst vor den Menschenjägern.

Die Deportationen werden grausam inszeniert, um Angst unter allen Einwanderern zu verbreiten, aber auch die Lust an der Gemeinheit unter den Trump-Anhängern zu befriedigen. Die Bilder, die Kristi Neom inszenierte, sollten genau die Botschaft senden. Willkürherrschaft und Regierungsverbrechen werden nicht verheimlicht, sie werden möglichst öffentlich ausgestellt.

Diese Bilder mit den gedemütigten Gefangenen, mit nacktem Oberkörper und hinter einem Gitterzaun wie im Zoo kennt man aus den finstersten Inszenierungen der Geschichte.

Und dennoch gibt es noch immer eine gewisse Verwirrung, ob das Trumpregime mit dem Begriff „Faschismus“ richtig beschrieben ist. Das hat auch damit zu tun, dass bisweilen ganz falsche Vorstellungen darüber verbreitet sind, was Faschismus ist.

Irrtum Eins: Gegen den Willen des “Volkes“

Einer der verbreitetsten Irrtümer ist, dass manche Leute glauben, Faschismus sei eine autoritäre Herrschaft, die primär durch Repression und gewaltsame Unterdrückung errichtet wird. Aber faschistische Herrschaftsformen sind etwas anderes als bloße autokratische Militärdiktaturen. Faschistische Herrschaft unterdrückt ihre Gegner, sie unterdrückt Minderheiten, sie unterdrückt Dissidenten, die freie Meinungsäußerung, sie unterdrückt die freie Presse und die politische Opposition. Zugleich aber mobilisiert sie dafür die Unterstützung von Teilen der Bevölkerung, und setzt zugleich darauf, dass eine ausreichend große unpolitische Mitte wenigstens indifferent bleibt. Der faschistische Agitator inszeniert sich als Mann und Stimme des Volkes, schürt das Ressentiment, nützt die Verbitterung und diffamiert seine Gegner als „Volksfeinde“. Die faschistische Herrschaft errichtet also mit Zustimmung von Teilen der Bevölkerung ihr Terrorregime.

Irrtum Zwei: Staatsstreich gegen die Gewählten

Ein weiterer großer Irrtum ist der Fehlglaube, dass ein Putsch oder Staatsstreich üblicherweise ein Sturz einer demokratisch gewählten Regierung durch autoritäre Kräfte bedeutet, sei das ein Militärputsch, bei dem eine Generals-Junta die Regierung hinwegfegt oder so etwas wie Lenins Revolution von 1917, wo eine kleine, entschlossene Minderheit einfach die Macht ergreift. Umstürze dieser Art gibt es, aber sie sind nicht extrem häufig. Die allermeisten Staatsstreiche sind Staatsstreiche von Oben, was man auch einen Regierungsputsch nennen könnte. Also: Gewählte und demokratisch zustande gekommene Regierungen setzen die Demokratie außer Kraft. Eines der berühmtesten, weil erstes Beispiel aus der Geschichte ist der Coup von Louis Bonaparte. Der Neffe des großen Napoleon Bonaparte gewann 1848 die Volkswahlen, amtierte vier Jahre als Staatspräsident, bis er die ganze Macht an sich riss. Er war so eine Art Trump der frühen Moderne und ließ sich schlussendlich zum Kaiser Napoleon III krönen. Hitlers Nazipartei wiederum, die NSdAP, erreichte 1932 bei den Reichstagswahlen 33,1 Prozent. Hitler wurde daraufhin bekanntlich am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler einer Koalitionsregierung ernannt. All das ging nach Recht und Gesetz und den Spielregeln der parlamentarischen Demokratie vonstatten. Danach erst entfaltete er seine Diktatur. Auch Leute wie Putin oder Erdogan haben Wahlen gewonnen und dann aus dem Amt heraus ihre Gesellschaften einem autoritären Umbau ausgesetzt. Kurzum: Geputscht wird meist von gewählten Präsidenten und Premierministern.

Irrtum Drei: Faschismus als klarer Endzustand

Faschismus ist nur für die jeweiligen Nachgeborenen ein fixer, endgültiger Zustand, also, simpel gesagt: Erst in der Retrospektive, erst in den Geschichtsbüchern. Wir wissen, was im Hitler-Regime herausgekommen ist. Wer in den dreißiger Jahren aber mittendrin steckte, wusste das nicht. Unser Geschichtswissen macht es uns womöglich sogar schwer, allmähliche Prozesse zu verstehen. Wahrscheinlich sind wir Menschen generell nicht so gut darin, in Prozessen zu denken, denn das Prozesshafte bedeutet, dass Dinge in Bewegung sind, dass sie auch unübersichtlich sind, dass sich Machtbalancen verschieben, es noch Konflikte gibt und Gegenwehr. Wenn wir von der nationalsozialistischen Terrorherrschaft sprechen, dann haben wir meist das totalitäre Nazi-Regime von 1941 oder 1943 vor unserem Auge – aber dieser „Endausbau“ war das Ergebnis eines Prozesses. Doch natürlich war das Nazi-Regime von 1934 oder von 1936 ebenfalls ein „faschistisches“ Regime.

Der deutsche Autor Uwe Wittstock versteht es auf einzigartige Weise, historische Phasen so darzustellen, wie sie sich denen präsentierten, die sie durchlebten: verwirrend, erschreckend. Er beschreibt die Panik, die herrscht, aber ebenso die falschen Hoffnungen und Illusionen, die die Leute haben, den Selbstbetrug, das Kopf-in-den-Sand-stecken. Neben anderen famosen Büchern hat Wittstock einen Report über den „Februar 1933“ geschrieben. Hitler war zum Reichskanzler ernannt worden und seine Regierung entfaltete sofort ihren Terror, unterwarf das Land, unterhöhlte den Rechtsstaat, überwältigte mit einer Fülle von Beschlüssen und erschreckenden Maßnahmen die Bürgerinnen und Bürger, er verbreitete Schrecken und Verwirrung. Die Gerichte kamen nicht mehr nach, die Koalitionspartner der Nazis versagten, das Land geriet auf die schiefe Bahn. Viele hielten sich lange im Glauben, es werde nicht so schlimm kommen. Thomas Mann wollte noch nach Deutschland zurückreisen. Seine Familie machte ihm klar, dass das keine so gute Idee ist. Während die einen im Land blieben, bis es zu spät war, erkannten andere, dass es an der Zeit ist, sich schleunigst in Sicherheit zu bringen. Die Diktatur wurde nicht über Nacht etabliert, aber dennoch unglaublich schnell. Es dauerte gerade einmal zwei Monate. Am 31. März wurde schließlich das Ermächtigungsgesetz verabschiedet, mit dem Demokratie und Rechtsstaat endgültig erledigt waren.

Und dennoch war es auch dann noch ein weiter Weg bis zur totalen Einparteienherrschaft, völligen Rechtlosigkeit und bis nach Auschwitz.

Manchmal hat man den Eindruck, Donald Trump und seine Kamarilla hat diese Monate als Drehbuch und Vorlage genommen.

Viele haben heute dennoch das Gefühl, das F-Wort wäre übertrieben oder irgendwie nicht akkurat für die Herrschaft von Trump, seiner Radikalinskis, Tech-Bros und Fascho-Boys und -Girls, aber es liegt an den drei Irrtümern, nämlich dem Unverständnis, dass Faschismus mit der Zustimmung der Bevölkerung etabliert wird, dass ein Staatsstreich häufig von gewählten Amtsträgern durchgeführt wird und dass die Faschisierung natürlich nicht mit einem Schlag geschieht, sondern ein Prozess ist.

Hinzu kommt: Es gibt einen großen Anreiz zur Verleugnung. Wir Menschen reden uns gerne ein, es werde nicht so schlimm kommen, unsere Normalität werde schon nicht auf den Kopf gestellt. Man wünscht sich das ja, und deshalb ist man kognitiv nicht dafür gerüstet, sich die unbequemen Wahrheiten einzugestehen. „Vielleicht liegt die Abwehrhaltung einiger Menschen gegen den Faschismusbegriff darin begründet, dass damit vieles einhergeht, was schlichtweg unbequem ist“, meint die deutsche Autorin Katharina Nocun. Etwa: „Die Einsicht, dass die normalen Spielregeln außer Kraft gesetzt werden. Angst vor der Zukunft. Und vor allem die Notwendigkeit zu handeln.“

Faschismus in Amerika? „Ja, natürlich“, sagt Noch-Yale-Professor Jason Stanley, der jetzt seine Koffer packt. „Welche Begriffe sollen wir denn sonst verwenden? Faschismus ist nicht einfach ein Schimpfwort, sondern ein Konzept, das uns hilft, die Realität zu verstehen. (…) Die Übergriffe der Regierung werden zunehmen, und zwar mit System.“ Einerseits, um unbequeme Leute ins Gefängnis zu stecken, sie aus ihren Jobs und Ämtern zu vertreiben, um die Universitäten von dissidentem Denken zu säubern, andererseits um Angst unter allen anderen zu verbreiten.

Die Bioinformatikerin Ksenija Petrova von der Harvard Medical School wurde etwa bei ihrer jüngsten Einreise in die USA verhaftet und in Schubhaft genommen. Ihr droht die Auslieferung an Russland, wo sie als Putin-Gegnerin wohl sofort festgenommen würde. Herrscher von der Art Trumps wissen, dass es manchmal reicht, nur hundert Leute in Knast und Lager zu stecken, um hundert Millionen andere so einzuschüchtern, dass sie die Klappe halten.

Übrigens: Jason Stanley hat seine Kinder, um ihnen die Angst vor einem Leben auf Wanderschaft und permanent wechselnder Struktur zu nehmen, auf eigenwillige Weise beruhigt. Das ist Eure Struktur, das ist Eure Tradition, erklärte er ihnen.

Jasons deutsch-jüdische Eltern und Großeltern waren schließlich kurze Zeit nach dem Novemberpogrom 1938 im letzten Moment in die USA ausgereist.


Titelbild: Miriam Moné

Autor

  • Robert Misik

    Robert Misik ist einer der schärfsten Beobachter einer Politik, die nach links schimpft und nach rechts abrutscht.

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