Wer dem gewollten Verwirrspiel von Trump und dessen Verbündeten zu viel Aufmerksamkeit schenkt, merkt nicht, worum es wirklich geht. Um eine starke politische und wirtschaftliche Alternative zu den heutigen USA, deren Supermacht nur noch eine Legende ist.
Es war immer schon ein Stehsatz, fast ein Klischee, zu sagen: »Ich liebe Märchen.« Ich kann für mich sagen: Ich mochte Märchen nie. Weder die von den Gebrüdern Grimm aufgeschriebenen, noch tschechische, indische oder japanische. Sie haben mir immer Angst gemacht, später haben mich ihre stereotypen Rollenbilder angewidert. Die Tatsache, dass verschiedene Kulturen im Prinzip sehr ähnliche Sagen hervorgebracht haben, empfinde ich als Enttäuschung.
Die Märchen und Horrorgeschichten, die in der zweiten Amtszeit Donald Trumps durch das Netz gejagt werden, sind für mich eine ähnliche Enttäuschung. Sie offenbaren leider gar nichts Neues, sondern eher, wie langsam die Welt darin ist, das unterirdische Niveau dieser Sagenquelle festzustellen und wahrhaben zu wollen. Man merkt in Europa: Die Kommentatoren wollen einfach nicht wahrhaben, was sich längst offenbart hat: Ein dummer, politisch völlig inkompetenter und durch seine Unternehmenspleiten gefolgt von neuerlichen schwindelerregenden Krediten völlig rücksichtslos gewordener Mensch ist Präsident der USA und damit angeblich der mächtigste Mann der Welt.
Laut einem Artikel in der ZEIT soll der frühere deutsche Außenminister Joschka Fischer in der Fernsehsendung Caren Miosga gesagt haben: “Trump zerstört mutwillig die Welt, in die ich hineingeboren bin”. Der ewige Frieden nach dem Kalten Krieg unter Einschluss Russlands sei eine große Illusion gewesen. “Diese Welt geht jetzt zu Ende.”
Ich möchte Herrn Fischer seine Illusionen nicht nehmen, aber ich habe nach dem Kalten Krieg keinen Frieden gesehen, nicht im Irak, nicht in Afghanistan, nicht in vielen Ländern Afrikas und Südamerikas. Und in den 1990er-Jahren in Serbien war auch kein Frieden; dort wurde bombardiert und Fischer selbst hat die Bombardements unterstützt.
Seit Jahrzehnten stellen Kommentatoren und Wissenschafter fest, dass die Demokratie in den USA Reformen braucht, eine Wahlrechtsrechtsreform und vor allem ein Überdenken der Präsidentialrepublik. Letztere feiert heute fröhliche Urstände. Donald Trump kann mit jeder lancierten Nachricht die Welt für ein paar Stunden davon abhalten, sich mit wirklichen Nachrichten zu beschäftigen. Doch ist diese Informationspolitik ein Zeichen der Stärke? Nur, wenn man Trump auf den Leim geht. In Wahrheit offenbaren die USA gerade damit eklatante Schwächen – und je lauter Trump brüllt, desto größer sind diese Schwächen. Betrachten wir doch mal das jüngste Thema der Zölle. Valentin Dornis, Harald Freiberger, Mirjam Hauck, Oliver Klasen, Michael Kläsgen, Sonja Salzburger und Markus Zydra schreiben in der Süddeutschen Zeitung:
Beim iPhone rechnen manche Analysten mit Preissteigerungen von 30 bis 40 Prozent für US-Kunden, schreibt die Nachrichtenagentur Reuters. Denn die meisten iPhones werden, auch wenn Apple einen Teil der Produktion nach Vietnam und Indien verlagert hat, in China produziert. Dem Land, das Trump mit einem Zollsatz von 54 Prozent belegt hat. Die Rechnung, die die Analysten von Rosenblatt Securities aufmachen, geht so: Das billigste Modell des iPhone 16, das derzeit in den USA 799 Dollar kostet, könnte bald fast 1150 US-Dollar kosten. Für das teurere iPhone 16 Pro Max, das derzeit für 1599 Dollar zu haben ist, könnten bald fast 2300 US-Dollar fällig werden. Denn Apple müsste die Preise für ein aus China importiertes iPhone um 43 Prozent anheben, um die Zölle auszugleichen.
Wir sehen eine eklatante Schwäche der US-amerikanischen Wirtschaftspolitik, deren Folgen Trump nun den US-amerikanischen Konsumenten aufbürdet. Der propagierte Nationalismus, das Eigene zu bevorzugen und das Fremde auszugrenzen oder mit Zöllen zu sanktionieren, geht als Slogan vielleicht durch. Die Realität ist eine andere: Die Ökonomie der Vereinigten Staaten von Amerika lebt seit Jahrzehnten von Erdöl, dessen Preise nur durch Kriege, Gewalt und die Aufrechterhaltung von Unrechtsregimes in der ganzen Welt niedrig gehalten werden konnten.
Doch auch wenn man den Blick von jenen Technologien abwendet, die in hundert Jahren keine Rolle mehr spielen werden, ist das aufgeblasene Selbstbewusstsein der USA unter Trump nur Show. Die Macht der Tech-Konzerne der USA sinkt. Europa muss erst digitale Souveränität aufbauen. Hier hat man sich zu lange auf die USA verlassen und, wenn man die Zeitungen liest, hat man das Gefühl, dass die Kommentatoren die Illusion von den USA als Weltherrscher großteils nicht aufgeben wollen. In Asien ist das anders. Dort wo Alternativen zu fossilen Energien am stärksten erforscht und entwickelt werden, wo schon lange das Weltzentrum für Computerhardware liegt, tut sich auch digital etwas. Georg Brunner in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung:
Doch ein Blick auf die asiatischen Nachbarn Chinas zeigt, dass sich auch dort Apps gegen die amerikanische Konkurrenz durchgesetzt haben – ganz ohne Verbote. Sowohl in Südkorea als auch in Japan gibt es Whatsapp-Alternativen, die die App von Meta in ihren Nutzerzahlen übersteigen: Kakao Talk in Südkorea (rund 98 Prozent Marktanteil), Line in Japan (rund 78 Prozent Marktanteil).
Marc Steinberg ist Professor an der Concordia-Universität im kanadischen Montreal und forscht zu digitalen Kulturen und Plattformökonomien in Asien. Im Gespräch mit der F.A.Z. nennt er zunächst historische Gründe für die Erfolge von Kakao Talk und Line. Beide haben Verbindungen zu den beiden großen südkoreanischen Telekommunikationsunternehmen der Nullerjahre, Daum und Naver.
Speziell Naver setzte sich im südkoreanischen Markt mit seiner Suchmaschine von der Konkurrenz ab. „Der Erfolg von Naver rührt auch daher, dass Google dem südkoreanischen Markt nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt hat“, sagt Steinberg. Auch die großen Unterschiede zwischen Englisch und der koreanischen Sprache hätten den Erfolg von Google dort behindert.
Donald Trump wird das Medienspiel so lange treiben, solange er damit genug Aufmerksamkeit erzeugen kann. An einem Tag zieht Elon Musk sich zurück, am zweiten ist und bleibt er Trumps wichtigster Berater. Einmal sind sind sie einer Meinung. Am nächsten Tag gibt es einen Zollstreit zwischen ihnen. Die Journalisten und Kommentatoren werden irgendwann erkennen, dass es Unsinn ist, diesem völlig strategischen und geplanten Spiel auf den Leim zu gehen.
Elon Musk ist eine völlig unbedeutende Person ohne jegliches politisches Mandat. Die Demonstrationen in den USA dieser Tage zeigen, dass viele Menschen dort verstanden haben, worum es geht: Der Kampf gegen die Oligarchie und für die Volksherrschaft ist der politische Kampf unserer Zeit. Die Medien können sich mit Trump-Märchen und Musk-Legenden beschäftigen und sich in der Behandlung des eigentlichen Themas eine Zeit lang lähmen lassen. Sie können Horrorgeschichten kolportieren, weil sie sie für wahr halten oder weil sie glauben, damit viele Menschen zu erreichen.
In Westeuropa muss uns längst klargeworden sein: Wir brauchen mehr Unabhängigkeit von den sogenannten Großmächten – in jeder Hinsicht. Wir müssen uns wirtschaftlich, digital und politisch (als an die Demokratie Glaubende) auf eigene Beine stellen. Die Märchen von den Supermächten werden uns dabei nicht helfen.
Titelbild: ROBERT JAEGER / APA / picturedesk.com