Samstag, April 26, 2025

Wien verteidigen

Bei der Wienwahl in zwei Wochen kann der Hasspolitik die Rote Karte gezeigt werden. Denn die Wien-Hasser zeichnen eine Realität, die mit Wiener Wirklichkeit nichts zu tun hat.

Die „Süddeutsche Zeitung“ hatte in ihrer Wochenendausgabe eine grandiose Dossier-Reportage über die rechtsextreme Gewalt- und Terrorszene rund um die „Sächsischen Separatisten“, eine mutmaßliche kriminelle Vereinigung, die vor einigen Monaten aufgeflogen ist. Im Zentrum der Reportage steht die sattsam bekannte österreichische Neonazifamilie Schimanek. Im Zuge des Skandals hat der Büroleiter des Nationalratspräsidenten Walter Rosenkranz sogar seinen Job verloren. Der Opa der Familie ist unlängst verstorben, er war zeitweise sogar Niederösterreichs FPÖ-Chef und Landesrat. In der „Next Generation“ gibt es jetzt offenbar noch eine neue Welle der Radikalisierung.

Auch in Österreich selbst kommen immer neue Enthüllungen über die rechte Untergrund-Szene ans Tageslicht. Erst öffnete sich die FPÖ für die rechtsextremen Identitären, danach gab es ganz offenkundig so etwas wie „Rechtsabspaltungen“, oder nochmalige Radikalisierung am ohnehin schon radikalen Rand. Zeitweise nannten sich die Schlägertrupps „Defend Austria“ oder „Division Wien“, jetzt sollen sie sich anders nennen. Teile der Gruppen waren Berichten zufolge in die Terroraktionen gegen schwule Männer verstrickt, die unlängst aufgeflogen sind. Andere Bandenmitglieder sind bei FPÖ-Wahlkampfveranstaltungen häufig gesehene Gäste.

Aufmarsch der Gewaltszene

Der Wahlkampfauftakt der FPÖ zur Wiener Landtagswahl, ansonsten eher spärlich besucht, war ein nettes Treffen der Szene. Einige Personen aus diesem Netzwerk nahmen an der Veranstaltung teil, ein einschlägig bekannter Neonazi wurde gar für die Security engagiert. Die Trupps der Identitären gehören sowieso längst zum gewohnten Bild.

Kurzum: Während die Gesellschaft nach rechts rutscht, die Hass-Schürer immer unverschämter werden, bildet sich in der Folge auch noch ein besonders radikalisierter Flügel heraus, gewaltbereit, verstrickt in Gewaltnetzwerke. Und bei der FPÖ geht er ein und aus.

Und das wird auch noch als normal angesehen und ist in den Routinen unserer Berichterstattung kaum eine Notiz wert. Statt dass sich Wiens FPÖ-Chef Dominik Nepp täglich rechtfertigen muss, wird das nicht einmal thematisiert und er darf in Interviews seine blödsinnigen, meist völlig sinnbefreiten Parolen absondern. Täglich wird durch die FPÖ der Radikalisierung und Vergiftung von Hirnen und Seelen der Boden bereitet, und dann auch noch der harten Gewaltszene der rote Teppich ausgerollt – und wo bleiben die Sondersendungen im Fernsehen dazu?

Womöglich ist ein Grund ja, dass wir, durchaus verständlicherweise, die FPÖ systematisch verharmlosen. Wir kennen sie schließlich, und damit auch dieses Landestypische: Faschismus, aber gemildert durch Unfähigkeit, alsodie schulterklopfende Vertrotteltheit, für die Leute wie etwa Strache paradigmatisch waren. Deshalb übersieht man die Gewaltszene, die sich im Schatten dieser scheinbar harmlosen Kasperln entwickelt, denen man nicht einmal zutraut, sich die Schnürsenkel selbst binden zu können.

Nein, ein Nepp, das ist eben nicht normal

Man stelle sich nur vor, die SPÖ hätte sich in den 70er Jahren die RAF oder deren Ränder als Saalschutz organisiert oder als Fußtruppe für Veranstaltungen herangekarrt. Alleine die Vorstellung ist absurd. Und was dann los gewesen wäre, kann man sich ausmalen.

Oder man stelle sich vor, ein gewaltverherrlichendes Islamistennetzwerk fliegt auf. Die aufgeregten Live-Sendungen würden kein Ende nehmen.  

Andersdenkende werden von diesen Leuten seit Monaten systematisch terrorisiert und sie spazieren noch immer frei herum. Und solange niemand in seinem Blut liegt, schaut die Polizei zu. Offenbar muss es erst Tote geben, bis etwas unternommen wird.

Dass solche immer militanteren, immer gewalttätigeren Gruppen entstehen, ist noch nicht einmal sonderlich überraschend. Wenn das gesellschaftliche Klima kippt, wenn es im rechten und verschwörungstheoretischen Milieu immer mehr Selbstradikalisierung gibt, wenn die Rhetorik immer schriller und krasser wird, dann gibt es in den radikalen FPÖ-Szenen auch einen Aufschaukelungsprozess und an den Rändern einen Überbietungswettbewerb. Es wird dann immer welche geben, denen noch Leute wie Kickl, Nepp oder Höcke zu moderat sind. Sie fühlen sich auch noch ermutigt, weil ihnen nichts geschieht. Vor allem wenn sich das mit den Dynamiken einer radikalisierten Jugendkultur mischt. Die sagen: Hey, lasst uns noch einen Kick „entschlossener“ und „unbarmherziger“ sein. Es ist einfach immer so, da gibt es kein großes Mirakel. Das ist bei der islamistischen Terrorszene so, das ist bei den Maga-Irren von Donald Trump so, das ist bei den Sächsischen Separatisten so und das ist beim militanten Saum der FPÖ so. Wer gestern noch moderat war, wird heute radikaler und bildet damit den geistigen Nährboden für den gewalttätig-militanten Rand.

Nur bei der FPÖ wird es wie ein Kavaliersdelikt behandelt, wäre der Begriff „Kavalier“ beim Dampfplauderer Nepp mit seinen Hamsterbacken und seiner Gossen-Sprache nicht so deplatziert.

Wien, wehr dich gegen den Rechtsextremismus!

Nun sind wir im Wiener Wahlkampf und wir leben in einer offenen, progressiven, liberalen multikulturellen Stadt. Am 27. April hat Wien die Möglichkeit, sich gegen den zerstörerischen Hass zu wehren. Die Wiener Bevölkerung kann eine starke Botschaft senden: Wir wollen die Hasspolitik nicht in unserer Stadt, wir wollen diese Gewaltszene nicht. Aber der Wahlkampf ist noch ein wenig schlapp und lahm. Wohl deshalb, weil jeder die Erwartung hegt, dass die SPÖ ohnehin gewinnt. In den Umfragen liegt die Sozialdemokratie nur wenig unter ihrem letzten Ergebnis bei 39-40 Prozent. SPÖ, Grüne, Neos und die anderen Parteien der Mitte und Mitte-Links kommen gemeinsam auf mehr als 60 Prozent.

Fischen im rechten Teich

Klar, manches ist auch ein bisschen skurril: FPÖ und ÖVP führen eine Art Wahlkampf in der Parallelgesellschaft. Zusammen werden sie vielleicht etwas mehr als 30 Prozent erreichen, und sie konkurrieren einfach um diese Minderheit. Quasi: Wer kriegt die meisten von diesen 30 Prozent? Das führt zu der bizarren Tatsache, dass die ÖVP einen harten Rechtswahlkampf führt, weil sie gar nicht mehr glaubt, das Wählerpotential erweitern zu können. Sie hat die Mitte aufgegeben und versucht alleine, einen Teil vom rechten Kuchen zu ergattern.

Taktisch verständlich, strategisch aber blöd.

Der intellektuell etwas herausgeforderte Herr Nepp wiederum geht sowieso mit der absurdesten Botschaft in die Wahl, nämlich, dass seine Partei die einzige ist, die gar nicht regieren will. Kann man natürlich machen: Wählt uns, dann zählt eure Stimme nicht. „Mit uns werft ihr Eure Stimme in den Müll“ – lustige Botschaft. Dann kann man aber eigentlich die bequemere Lösung wählen und am sonnigen Wahlsonntag daheimbleiben.

Die Lust an der Zerstörung

Aber zurück zu den Klimavergiftern von der FPÖ. Der innere Zwang zur immer krasseren Rhetorik und zur Zerstörung der Gesellschaft, wie man ihn ja auch jetzt mit offenem Mund in den USA bei der Trump-Regierung erlebt, nötigt die FPÖ zu immer skurrilerer Rhetorik. Das Land – und auch die Stadt Wien – wird dargestellt, als wäre es ein Failed State, der am Zusammenbrechen ist. Welches Problem auch immer auftaucht, es wird als Indiz für den Kollaps von allem dargestellt. Noch das banalste Ärgernis und noch die kleinste Widrigkeit wird zum eklatanten, totalen Systemversagen aufgeblasen.

Natürlich gibt es Probleme, nicht einmal wenige. Zuwanderung, vor allem wenn sie in sehr schneller Zeit passiert, schafft Integrationsprobleme oder einfach nur Kapazitätsprobleme in den Schulen; eine wachsende Stadt muss mit dem Wohnungsbau erst nachkommen, und das fordert selbst die Welthauptstadt des engagierten sozialen Wohnbaus, Wien; die neoliberale Bodenspekulation ist auch in Wien nur mühsam einzudämmen, und das auch nur viel zu wenig. Eine alternde Gesellschaft hat Probleme bei der Finanzierung des Sozialstaats, nicht nur bei der Rente, sondern weil auch Gesundheits- und Pflegekosten einen relativ größeren Teil des Volksvermögens erfordern. Daher kommen nicht zuletzt auch die aktuellen Budgetprobleme. Und da und dort gibt es zu viel Routine, könnte ein bisschen Schwung und Innovation nicht schaden. Dazu die globalen Krisen, deren Wogen auch hier aufschlagen. Alles klar, alles nicht einfach, alles Probleme, die gelöst werden müssen. Aber von einem „Failed State“, in dem alles „kollabiert“, sind wir weit entfernt. Im Gegenteil: Wie großartig ist es eigentlich, im freien, pluralistischen, progressiven Europa zu leben!? Das fällt jetzt erst so richtig auf, wenn man ein wenig nach Osten schaut, wo die Autokraten Oberwasser haben, oder über den Atlantik, wo Herr Trump seine Diktatur errichtet, und die Freiheit erdrückt wird. Wir haben hier nicht nur etwas zu verteidigen, wir haben auch etwas, auf das wir stolz sein können.

Die freie, plurale und solidarische Lebensweise, sie ist das Vorbild für die Welt.

Bleiben wir bei der Realität: Man geht am ersten sonnigen Wochenende vor die Tür, wandert nach Stammersdorf den Bisamberg hoch, und das Gelände ist voller glücklicher Menschen. Beim Heurigen, überall aufgeräumte Leute in bester Stimmung. In Favoriten im Zilk-Park spielen die Familien in der Sonne und die Burschen und Mädchen Fußball. Später dann eine endlose Schlange vor dem Tichy, dem Schmelztiegel unserer Kulturen. Also ein Failed State und eine Gesellschaft, die zusammenbricht, schaut wahrlich anders aus. Gemessen an den emanzipatorischen Zielen, die man sich für ein „Rotes Wien“ zu setzen hat, gibt es genug, womit man unzufrieden sein kann. Aber gemessen an den Realitäten faktisch der gesamten Welt lebt man in Wien nahezu in einem vollendeten Paradies.

Die Wien-Hasser-Parteien aber zeichnen eine Realität, die mit der wirklichen Wirklichkeit überhaupt nichts mehr zu tun hat und wahrscheinlich schrauben sie sich in ihren Propaganda-Wahn so weit hinein, dass sie am Ende selbst an ihn glauben. Das ist in der Geschichte eine der eher närrischen Tatsachen, nämlich, dass die Propagandisten am Ende sogar selbst ihre Propaganda glauben.


Titelbild: Miriam Moné

Autor

  • Robert Misik

    Robert Misik ist einer der schärfsten Beobachter einer Politik, die nach links schimpft und nach rechts abrutscht.

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