Donnerstag, April 24, 2025

Ängste eines Mannes, Ängste einer Frau

In der ersten Instanz des Verfahrens Kellermayr erhielt der Mann, der Angst hatte und deswegen einer Frau Angst machen wollte, einen Freispruch.

Der Fall Kellermayr ist eine absolut beispiellose Illustration dessen, was Frauen, die ihre Frau in der Öffentlichkeit stehen wollen, passieren kann, wenn sie sich nicht zum Schweigen bringen lassen. Wenn sie an das, was sie tun, glauben. Wenn sie davon überzeugt sind, sich nichts zu Schulden kommen zu lassen. Wenn sie für die Sache brennen, die sie antreibt. Lisa-Maria Kellermayr wollte eine erfolgreiche Ärztin sein, sie wollte eine verantwortungsvolle Ärztin sein, sie wollte Gerechtigkeit. Sie hat das mit ihrem Leben bezahlt. Und sogar nach ihrem Tod ergoss sich Häme über sie, gefolgt von Spekulationen über ihren Geisteszustand, über ihre Finanzlage.

Ein einziger Mann unter den vielen, die sie mit bösartigen, bedrohlichen Nachrichten fluteten, bis sie sich umbrachte, ein einziger Mann wurde ausgeforscht. Ein Prozess fand statt.

Schuldumkehr

In diesem Prozess war viel Rede von Frau Kellermayrs Problemen, als hätte sie damit Schuld auf sich geladen. Es drängte sich der Eindruck auf, nicht der Nachrichtenverfasser säße auf der Anklagebank, sondern sein Opfer. Und natürlich durfte auch die leicht weinerliche Erklärung nicht fehlen, warum er das alles getan habe. Er hätte Angst gehabt. Während der Pandemie. Damit war er nicht allein, sehr viele andere Menschen haben diese Angst aber nicht als Ausrede dafür verwendet, warum man einen anderen Menschen deswegen bedrohen hatte können.

Es ging in diesem Prozess um die Ängste eines Mannes, nicht die aus der Überflutung mit Hassnachrichten entstandenen Ängste einer Frau. Die Frau hat sich umgebracht. Der Mann hat ihr Nachrichten geschrieben.

Die Frau hat sich in der Öffentlichkeit geäußert, immer wieder. Sie hat sich quasi selbst verschuldet, nicht finanziell (das auch, weil die Sicherheitsmaßnahmen ihrer Praxis von ihr selbst bezahlt werden mussten und sie um die Sicherheit ihrer Patienten und Mitarbeiterinnen besorgt war, nicht nur um die eigene) sondern durch ihren Widerspruch, durch ihre Lautstärke, die Standfestigkeit. In der ersten Instanz des Verfahrens erhielt der Mann, der Angst hatte und deswegen einer Frau Angst machen wollte, einen Freispruch. Der Freispruch wurde nun beeinsprucht. Es geht in die nächste Instanz. Das ist gut. Das Signal wäre fatal gewesen: Frauen, seid still, unterwürfig und normschön. Dann passiert euch schon nichts.


Titelbild: Miriam Moné

Autor

  • Julya Rabinowich

    Julya Rabinowich ist eine der bedeutendsten österreichischen Autorinnen. Bei uns blickt sie in die Abgründe der Republik.

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