Donnerstag, Mai 22, 2025

Papst Franziskus – ein Relikt einer besseren Zeit

Die Wienwahl und die Papstwahl verbindet mehr, als beim ersten Blick deutlich wird.

Stell dir vor, du hast im Großen und Ganzen dein Leben der Menschlichkeit gewidmet und dann ist der letzte Mensch, den du siehst, J. D. Vance. Das ist Papst Franziskus widerfahren und dafür kann man ihn schon bemitleiden. Gut, andere wurden gekreuzigt, das war noch unbequemer. Irgendwann wird er bestimmt mit Seligsprechung entschädigt, aber so wirklich hat er davon auch nichts mehr. Wir Österreicher sind bei der Papstwahl diesmal wohl nur Zaungäste, das Land steht seit dem Rücktritt von Christoph Schönborn ohne Kardinal und Erzbischof da. Jetzt gibt es keinen Papst, der einen Nachfolger ernennen kann, und keinen Ösi-Kardinal, der bei der Papstwahl mittun könnte. Unfair! Spätestens in zwanzig Tagen dann tritt das Konklave zusammen, das die Papstwahl vornimmt.  

Vorher gibt’s noch die Wienwahl.  

Die ist ja schon am kommenden Sonntag. Jetzt wird wieder viel vom „taktischen Wählen“ die Rede, gelegentlich verschämt, als wäre eine solche ein wenig etwas Obszönes, oft aber auch einfach mit negativem Beiklang, dass es blöd sei, taktisch zu wählen. Dass es blöd sei, die Stimme nicht jener Partei zu geben, mit der man hundertprozentig übereinstimmt, sondern aus taktischen Gründen einer anderen.  

Jeder wählt taktisch! 

Meine Vermutung ist freilich, dass kaum jemand hundertprozentig mit einer Partei übereinstimmt, sodass am Ende letztlich jeder irgendwie „taktische“ Abwägungen vornimmt, in die dann eine Reihe von Gesichtspunkten eingehen. Etwa: Mit welcher Partei stimme ich weitgehend überein? Was sind die Aussichten für die beiden großen Lager, also die eher progressive Seite und die eher reaktionäre Seite? Oder: Welche Partei verabscheue ich am meisten, und wie kann ich dazu beitragen, dass das Ergebnis für diese möglichst ungünstig ausfällt? Oder auch: Welche Koalitionen sind realistisch, welche davon würde ich bevorzugen und wie kann ich dazu beitragen, dass meine relative Wunschkonstellation eintritt?  

Das Problem ist also nicht, dass man solche taktischen – oder realpolitischen – Überlegungen anstellt, das Problem ist freilich, dass angesichts einer Vielzahl an Variablen nie ganz klar ist, was jetzt eigentlich die richtige Stimmabgabe ist?  

Die Leute, deren Ansichten ich weitgehend teile und die weitgehend die meinen teilen, denken ja häufig so:  

Warum die SPÖ stark bleiben sollte

Die SPÖ soll schon stärkste Partei sein, denn sie repräsentiert nicht nur die große Geschichte des Roten Wien, sondern sie ist als die noch immer größte Volkspartei der linken Mitte das Gegengewicht gegen den aufsteigenden Rechtsextremismus. Auch wenn sie nicht immer so perfekt performt, wie man sich das wünscht, ist das einfach so. Und in Wien sowieso. Zugleich wünschen sich die Leute, die ungefähr so denken wie ich, dass die im weitesten Sinne liberalen oder progressiven Parteien – SPÖ, Grüne, Neos, vielleicht auch KPÖ (deren Aussichten werden unterschiedlich eingeschätzt) – nicht einfach eine Mehrheit erreichen, sondern eine entscheidende Mehrheit, von 65 bis 70 Prozent. Manche würden sich eine Fortsetzung der SPÖ-Neos-Koalition wünschen, manche hätten lieber Rot-Grün.  

Ich vermute stark, eine SPÖ-ÖVP-Allianz wünschen sich nicht gar viele, außer aus Meta-Überlegungen, wie etwa jener, dass ein Geist der Kooperation von Sozialdemokraten und Volkspartei ganz gute Folgen hätte angesichts einer polarisierten Welt und dass alles, was dazu beiträgt, gar nicht so schlecht ist.  

Beim „taktisch“ wählen kann man sich leicht vertun

Wenn Du also beispielsweise meinst, eine deutliche Mehrheit von 40 Prozent der SPÖ – als Gegengewicht gegen den Rechtsradikalismus – wäre schon gut, aber eine rot-grüne Zusammenarbeit würdest Du präferieren, was legt dann die taktische Überlegung nahe? Schwer zu sagen: Du kannst SPÖ wählen, und wenn die dann dennoch nur 36 Prozent erreicht, die Grünen aber bei neun landen, dann geht sich womöglich keine Koalition aus. Willst Du dass die Grünen möglichst sicher in eine Regierung kommen, und sie dann am Ende 14 oder 15 Prozent erreichen, perfekt. Aber wenn das viele Leute machen, kommt die SPÖ vielleicht nur auf 35 Prozent und ist dann geschwächt als Gegengewicht gegen die Rechtsextremen. Was Du auch wieder nicht wolltest.  

Man sieht. Nicht die taktischen Erwägungen sind das Problem. Sondern dass es nie ganz klar ist, was aus den taktischen Erwägungen folgt.  

Mir persönlich ist ja bei allem taktischen hin und her am wichtigsten, dass die SPÖ möglichst stark wird, aber wenn sich das alle denken, dann werden die Grünen und auch die Neos eher nicht so stark. Auch nichts, was ich gerne möchte.  

Die Kardinäle, die dann demnächst den Papst wählen, haben es da eine Spur leichter. Die stimmen so lange ab, bis einer die Mehrheit hat. Dabei können sie also mehrmals „taktisch“ wählen, bis dann ihr taktisches Kalkül endlich aufgeht (oder eben nicht, was nichts anderes heißt, als dass das taktische Kalkül der anderen Kardinäle aufgeht, also jener, die dann die Mehrheit bilden).  

Das können Sie, liebe Wiener Wählerinnen und Wähler natürlich nicht, oder nur beschränkt. Gut, sie haben mehrere Stimmen und sehr oft werden die für eine taktische Stimmabgabe benützt. Besonders augenfällig ist das in Bezirken wie Neubau, da hatten die Grünen bei den Bezirksvertretungswahlen 2020 knapp 45 Prozent, bei den gleichzeitig stattfindenden Gemeinderatswahlen nur 29 Prozent. Ein erheblicher Teil jener, die bei der Bezirksvertretungs-Wahl Grün wählten, hat für Gemeinde- und Landtag SPÖ gewählt. Ein „Swing“ von 16 Prozent zwischen zwei Kreuzerln ist ja keine Kleinigkeit. (Kleine Einschränkung: Einen Teil trägt natürlich die Wahlberechtigung von EU-Bürgern auf Bezirksebene bei.) 

Sie haben das aus durchaus nachvollziehbaren Motiven getan: Die Leute wollen dann doch, dass die SPÖ in Wien weiter dominiert, auch wenn sie eine – aus ihrer Sicht – etwas weniger verschlafene und ökologischere Partei auch stärken wollen. Nachvollziehbar, kann man durchaus machen.  

Wird die FPÖ Bezirksvorsteher holen?  

Freilich kann sich sogar bei der Wahl für den Bezirksrat die Frage nach dem taktischen Wählen stellen. Denn jene Partei, die die relative Mehrheit hat, stellt automatisch den Bezirksvorsteher. Also, wenn die FPÖ in einem fiktiven Bezirk 33,9 Prozent, die SPÖ aber 33,2 Prozent erreicht, dann stellt die FPÖ den Bezirksvorsteher. Gemessen an allen Wahrscheinlichkeiten hat die FPÖ nur in drei Bezirken die Chance, die Mehrheit zu erobern: Simmering, Donaustadt und Floridsdorf. Favoriten ist auch nicht ganz undenkbar, aber fast. Wenn man in einem solchen Bezirk als rot-grüner Wechselwähler grün wählt, wacht man womöglich mit einem blauen Vorsteher auf. Auch nicht schön. Andererseits führen solche Überlegungen stets zu einer Art „Herdentrieb“ zur jeweils aussichtsreichsten Partei eines „Lagers“ und dezimiert die kleineren Parteien auf unfaire Weise. Man kann finden, dass auch das unschön ist.  

Das Blöde am taktischen Wählen ist nicht das taktische Wählen an sich, sondern dass man verschiedene Präferenzen hat, und welche man gerade durch taktisches Wählen am ehesten befördert, weiß man nie ganz genau. Insofern kann man am Ende oft einfach auch würfeln. 

Papst Franziskus – Gesicht einer besseren Ära  

All das ist natürlich eingebettet in einen Zeitgeist, ein allgemeinpolitisches und sogar weltpolitisches Klima, es verschränken sich das Globale und das Lokale. Das weltpolitische Klima ist gekennzeichnet durch den Aufstieg des Autoritarismus von Trump bis Orban bis Putin und durch den Auftrieb, den die Agenten der Autoritären auch bei uns verspüren. Es ist dieser Zeitgeist, der dazu führt, dass für viele Wähler heute einfach wichtig ist, dass Wien ein Leuchtturm der Freiheit ist und bleibt. Ein Gegenmodell.  

Und da sind auf gewisse Weise auch Wienwahl und Papstwahl miteinander verbunden. Papst Franziskus wurde 2013 gewählt, und nach dem rigide-verhärmten Dogmatiker Papst Benedikt war er ein Kontrastprogramm. Als „Bischof der Armen“ hatte er sich zu Hause inszeniert, und er achtete auch sehr auf sympathische Public-Relations: Er fuhr seinerzeit mit der U-Bahn durch Buenos Aires, wie jeder kleine Arbeiter, und sorgte dafür, dass davon dann auch Fotos in der Zeitung erscheinen. Nachdem er zum Papst gewählt wurde, ließ er die Limousine stehen und fuhr mit den anderen Kardinälen im Bus zurück ins Hotel. Als Kardinal hat er in einer kleinen Wohnung gewohnt und selbst gekocht. Wenn es etwa um Hilfe für Flüchtlinge ging, hatte man als Linker mit ihm mehr Gemeinsamkeit als mit sozialdemokratischen Innenministern.

Wie jeder progressive Kirchenfürst war er nicht nur progressiv, sondern ein Mix aus progressiv, liberal und sehr konservativ. Die Homoehe hat er einmal eine „Intrige des Teufels“ genannt, er ließ auch homophobe Äußerungen vom Stapel, segnete aber zugleich homosexuelle Paare und erklärte die Kirche sei offen für „alle, alle, alle“. Im Kampf gegen Armut, der Kritik an Rassismus, Rechtsextremisten, in der Kritik an Exzessen des Kapitalismus und in der klaren moralischen Position zum Gaza-Krieg war Franziskus eine Feuermauer der Humanität. Er prangerte den Geist der Menschenverachtung an und das Gift der Sprache, das sich immer mehr ausbreitet. 

Womöglich war auch er ein Produkt eines Zeitgeistes, einer Ära, in der Barack Obama US-Präsident wurde, man einen Werner Faymann als Kanzler dafür kritisierte, nicht akzentuiert genug linke, sozialdemokratische Politik durchzusetzen und in der ein liberaler Menschenfreund wie eben Jorge Mario Bergoglio zum Papst werden konnte. Kurzum, er war das Gesicht einer Ära, von der wir heute Lichtjahre entfernt scheinen.  

Autor

  • Robert Misik

    Robert Misik ist einer der schärfsten Beobachter einer Politik, die nach links schimpft und nach rechts abrutscht.

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