In Wien geht es heute um das Beiwagerl für die SPÖ. Die großen politischen Entscheidungen sind auch in Wien aufgeschoben. Für alle Parteien rechts von der SPÖ gilt die Unschuldsvermutung.
Michael Ludwig sucht ein Beiwagerl. So lautet eine ausreichende Beschreibung dessen, was man in Wien derzeit irreführend als „Wahlkampf“ bezeichnet. Grüne und Neos sind dabei auf denselben ehrlichen Slogan gekommen: „Du wählst nicht nur für dich!“ Wer sie ankreuzt, wählt die SPÖ gleich mit.
Die Kampagne der ÖVP ist anders, so wie ihr Spitzenkandidat. Mit Karl Mahrer kämpft ein wegen Untreue angeklagter Polizeigeneral nur noch darum, zwischen Gerichtssaal und Gemeinderatssaal pendeln zu dürfen. Doch Mahrer ist ab heute politische Geschichte, weil die SPÖ längst entschieden hat, die Spitze der Wiener ÖVP mit Walter Ruck, dem Chef der lokalen Wirtschaftskammer, zu besetzen.
Ruck ist Ludwigs Idealpartner. Als Vizebürgermeister wird er zu seinen Firmenaufträgen die politischen Aufträge der SPÖ bekommen und von Anfang an wissen, dass er bei deren Preisen nichts mitzureden hat. Als Ludwig und Ruck im Jänner 2025 gefragt wurden, ob sie an der Stelle von Nehammer, Babler und Meinl-Reisinger die Regierungsverhandlungen erfolgreich abgeschlossen hätten, antwortete Ruck für beide: “Ich glaube, wir wären fertig.”
Wenn Ruck als fünftes Rad dem Wagen der SPÖ Pannensicherheit gibt, ist ein langer Prozess abgeschlossen. Die Wiener SPÖ ist politisch wieder dort, wo in der 2. Republik alles begonnen hat. Als einer der letzten Dinosaurier der Politik hat sie auch 2025 überlebt.
Wiener Erfolg
Ihr Erfolgsrezept ist kein Geheimnis. Ludwigs Parteifreunde schützen und verwalten eine Stadt, die ihre Vorvorgänger zu einer der besten und lebenswertesten der Welt gemacht haben. Vor hundert Jahren waren die Schulen und Spitäler der Wiener SPÖ revolutionär. Heute sind sie gemeinsam mit U-Bahnen, Radwegen und Fernwärme immer noch so gut, dass knapp vierzig Prozent der Menschen die Wahl leichtfällt.
Das hat auch damit zu tun, dass in Wien etwas früher Normales weitgehend normal geblieben ist: Steuergelder werden für die Stadt verwendet. Nach wie vor gilt die Regel, dass in zehn Jahren Wiener Stadtverwaltung von U-Bahn und Fernwärme bis Spitäler und Gemeindebau weniger gestohlen wird als bei einer einzigen Flugzeugbeschaffung der österreichischen Landesverteidigung.
Inserate und Erdoğan
Der zweite Blick auf Spitäler und Schulen zeigt, dass das Erbe baufällig ist. Aus einer Partei der Erneuerer ist eine Partei der Konservierer geworden. Von Gesundheit bis Bildung hat sie die großen Reformen von einem Jahr aufs andere geschoben, auch, weil ihre Spitzen neue Ideen des Machterhalts ausgebrütet hatten.
Als Werner Faymann 1994 als Wohnbaustadtrat geholt wurde, hatte er einen folgenreichen Einfall: Der Kurier legte der Zeitung einen Wohnbaukurier bei, Faymann legte Regierungsinserate dazu und ließ sich dafür huldigen. Niemand in der Wiener SPÖ kam damals auf die Idee, dass der erfolgreichste Schüler ihrer Inseratenkorruption Sebastian Kurz heißen würde.
Michael Ludwig ist jetzt einen Schritt weiter gegangen. Zehntausende Türkinnen und Türken haben die doppelte Staatsbürgerschaft. Ein Netzwerk aus Erdoğan-Moscheen und Kulturvereinen sorgt gemeinsam mit Erdoğans Geheimdienst MIT dafür, dass auch in Wien gewählt wird, was der türkische Diktator will. Michael Ludwig ist mit Erdoğan ins Geschäft gekommen. Der Diktator liefert Stimmen, und die Wiener SPÖ schweigt zur Verhaftung des demokratisch gewählten Bürgermeisters von Istanbul.
Auch Ludwig weiß, dass Erdoğan ein islamistischer Faschist ist. Aber das absolute Nein zu Faschisten scheint in der Wiener SPÖ nur noch für die FPÖ zu gelten.
Stocker, Ludwig und wohin?
Eigentlich hätte Michael Ludwig die heutige Wahl gegen Bundeskanzler Kickl gewinnen wollen. Die Bedrohung von außen hätte noch einmal von den Bauschäden im eigenen Haus abgelenkt. Mit Christian Stocker auf Kickls Kanzlersessel ist alles anders. In Bund und Wien stehen die Zeichen auf Vergangenheit. SPÖ und ÖVP sitzen plötzlich wieder im selben Boot. Doch das Boot ist zu klein, und den gemeinsamen Kurs kennt noch niemand.
So rudern SPÖ und ÖVP im Kreis. Dass sie dabei nicht laut schimpfen, wird nicht lange helfen. Schon beim Budget kommen im Mai die großen Karten auf den Tisch. Dann wird entschieden, wer diesmal die Rechnung für verschwendete Milliarden zahlt.
Wien steuern
In Wien steht der Bürgermeister mit seinem fünften Rad vor Spitälern und Schulen, die immer öfter in den Notbetrieb umschalten. Vielleicht erinnert sich Hobbyhistoriker Ludwig an die Wiener Sozialdemokraten, die vor genau hundert Jahren mit Reichensteuern das soziale Wien aufbauten.
Damals holte die „Wohnbausteuer“ allein aus dem Luxuskonsum so viel Geld, dass die Stadt bis 1927 ihr Budget um 36 Prozent steigern und damit das soziale Wien bauen konnte. Bis 2027 geht es um Widmungs-, Aufzonungs- und Spekulationsgewinne, um die Besteuerung leerstehender Wohnungen und von Wohnungs-Missbrauchs-Plattformen wie AirBnB. Momentum Institut schätzt die möglichen Einnahmen allein durch eine moderne Grundsteuer auf 2,7 Milliarden Euro pro Jahr.
Das geht, aber nicht mit der ÖVP. Ob es mit der SPÖ geht, wird zur Gretchenfrage der Wiener Zukunft. Michael Ludwig wird sich endlich einmal entscheiden müssen, ob er auf Inserate, Erdoğan oder einen roten Neustart setzt.
Unschuldsvermutung
Die drei Parteien rechts von der SPÖ haben eines gemeinsam: Ihre Spitzenkandidaten sind längst Fälle für die Strafjustiz. Dabei hat Karl Mahrer als Angeklagter gegenüber Nepp und Strache als bloße Beschuldigte die Nase vorne.
Für alle drei gilt die Unschuldsvermutung. Was sonst?