Donnerstag, Mai 22, 2025

Liebe statt Skandale

Die Pressestimmen zur Wien-Wahl zeigen ausschließlich, was die Presse will: Skandale und Sensationen. Die Wählerinnen und Wähler wollten etwas anderes.

Die Presse und die sogenannte Meinungsforschung haben klare politische Positionen. Die Meinungsforschung hat gestern bei der Wien-Wahl noch kurz vor Auszählungsbeginn kein gutes Bild abgegeben. Ihre sogenannten Prognosen und Trend-Prognosen waren nicht nur daneben, sie zeigten auch, dass SPÖ, Grüne und NEOS durchgehend unterschätzt, die FPÖ durchgehend überschätzt wird.

Und auch die Presse hätte – so scheint es mir heute beim Lesen der Zeitungen –mehrheitlich lieber eine Sensation und Skandalisierbares, als dass die zweitgrößte deutschsprachige Stadt der Welt weltoffen, demokratisch und kulturell herausragend bleibt und nicht bei der global grassierenden Zertrümmerung der Demokratie mitmacht. Angesichts des ausgebliebenen Skandals betet man aber nur rechte Positionen nach und tut so, als wären wir noch im Wahlkampf. Walter Hämmerle, Leiter der Innenpolitik der Kleinen Zeitung:

Mit welchem Partner auch immer, die kommende Stadtregierung steht so oder so vor erheblichen Herausforderungen. Das Budget, wo Ausgaben und Einnahmen derzeit auseinanderklaffen, muss saniert, die Bildungskrise in den zahlreichen Brennpunktschulen repariert und auch die sonstigen Probleme im Zusammenhang mit der ungesteuerten Migration Schritt für Schritt angegangen werden.

Die Mauen statt die Blauen

Die bloße Behauptung von der »ungesteuerten Migration«, die nicht nur falsch ist, sondern, die man wie üblich völlig ohne Beleg und Statistik verbreitet, spricht für die Lernunfähigkeit der betroffenen Polit-Kommentatoren. Die Sachlichkeit, die in Wien eben herrscht und auch von den Wählenden honoriert wird, kann man der SPÖ nicht absprechen. Also nimmt man sie in die Zange: Verliert sie Wahlen, ist sie nicht sozialdemokratisch genug, gewinnt sie Wahlen, ist sie zu »gemäßigt« und ihr Ergebnis »mau« wie Barbara Tóth im Falter schreibt:

So musste sich Ludwig auf einen gemäßigten Amtsinhaber-Wahlkampf zurückziehen. Das Ergebnis ist entsprechend mau.

Die Innovation der Wiener SPÖ käme ohnehin, so Barbara Tóth weiter, von ihren Koalitionspartnern:

Genau das ist das gar nicht so geheime Geheimnis der Wiener SPÖ, mit dem sie seit mehr als einem Jahrhundert die Vorherrschaft in der Bundeshauptstadt absichert: Schwindet ihre Innovationskraft – und das ist in den 1980er Jahren das erste Mal und seitdem immer wieder passiert – schnappt sie sich frische Ideen von ihrem kleinen Koalitionspartner, verkauft sie als ihre eigenen, macht sich in der politischen Mitte extra breit und lässt so niemanden neben sich hochkommen.

Was Kulturpolitik angeht, die mich als Schriftsteller direkt betrifft, kann ich das überhaupt nicht nachvollziehen. In der Kulturpolitik ist die SPÖ die einzige Partei Österreichs, die weitgehende Konzepte hat, die auch für eine Metropole taugen. Ein Kommentar dazu, was die FPÖ und die ÖVP in der Steiermark und Niederösterreich kulturpolitisch anrichten, erübrigt sich.

Liebe zur Kultur

Die Entscheidung Michael Ludwigs mit Veronica Kaup-Hasler eine Kulturmanagerin an Bord zu holen, die sich durch jahrelange Leitung eines renommierten, progressiven Festivals einen Namen gemacht hat, war alles andere als fad und mau. Und da Kaup-Hasler der SPÖ nicht angehört, war diese Entscheidung auch nicht parteipolitisch. Wien wird mit Liebe regiert. Auch mit Liebe zur Kultur.

Doch die sogenannte bürgerliche Presse kümmert sich wenig darum, dass achtzig Prozent der Wienerinnen und Wiener nicht von einer rechtsextremen Partei regiert werden wollen und dass die beiden bürgerlichen Parteien der Stadt zusammen gerade einmal auf die Hälfte der Stimmen des Wahlsiegers SPÖ kommen. Sie betet – wie Oliver Pink in Die Presse – sogar nach der Wahl noch die Wahlpropaganda der gescheiterten Wiener ÖVP nach:

Landtagswahlen sind in erster Linie Persönlichkeitswahlen. Teflonpolitiker nannte man solche vom Schlage Michael Ludwigs früher gern. Alles perlt an ihnen ab. Im Fall Ludwigs: das Integrationsversagen, die Kriminalitätsprobleme, eine Sozialpolitik, die falsche Anreize setzt.

Karl der Quirlige?

Laut auflachen musste ich, als ich den folgenden Absatz las. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, was Oliver Pink schreiben würde, wenn die SPÖ die Hälfte ihrer Stimmen in Wien verlöre. Aber angesichts des Desasters, dass die ÖVP in Wien den fünften Platz belegt und von den NEOS überholt wird, Realitätsverweigerung zu betreiben, ist kühn:

Für die ÖVP ist Wien wieder das harte Pflaster, das es immer war. An den Themen wird es nicht gelegen haben: Diese waren die richtigen. Und werbetechnisch auch entsprechend zugespitzt. Quirlig war zwar auch der Spitzenkandidat. Mehr als ein Zielgruppenprogramm für die dezimierte Zielgruppe war Karl Mahrer aber nicht.

Tja, Wien bleibt Wien, das hatte Karl Mahrer ja affichieren lassen. Die ÖVP-Wien hat einst mit den gemäßigten Konservativen Bernhard Görg und Peter Marboe in Wien mitregiert. Seit sie auf Parteichefs setzt, deren Parolen sich denen der FPÖ angleichen, steht sie daneben. Dass ein konservatives Blatt zu dieser Einsicht fähig ist, sagt auch etwas.

Der Rat, den Oliver Pink der ÖVP gibt, nämlich weiter nach rechts zu driften, ist genau der falsche. Ich unterlasse es, die analytische Frage nach dem politischen Willen solcher Kommentatoren zu stellen. Das heutige Österreich, dessen großen Medien alle konservativ und dessen Boulevardzeitungen alle stramm-rechts sind, leidet unter dieser Verzerrung. Dass die SPÖ hier nicht tätig wird und endlich eine Reform der Presseförderung in Österreich in Gang bringt, ist schade und unverständlich.

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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