Donnerstag, Mai 22, 2025

Schluss mit Lustig

Die Papiergrotte in der Taborstraße in Wien schließt für immer. Und manchmal kommt mir auch die Demokratie in Österreich wie die Papiergrotte vor.

Gestern, 30. April 2025, war der letzte Tag, an dem meine Papierhandlung, die Papiergrotte in der Taborstraße, geöffnet hatte. Heute ist ein Feiertag. Und ab morgen muss ich ohne Papiergrotte leben. Es ist ein herber Verlust, nachdem Papier Lustig am Hohen Markt letztes Jahr für immer geschlossen hat. Nächstes Jahr hätte das Geschäft seinen hundertsten Geburtstag gefeiert. Schluss mit Lustig! Schluss mit Papiergrotte!

So geht es Jahr für Jahr. Immer mehr Teile meiner früheren Welt fehlen. Von den Buchhandlungen in Wien möchte ich gar nicht sprechen. Unlängst stand ich mit einem Freund am Schottentor und wir sind im Geist alle Buchhandlungen in Gehnähe der Universität durchgegangen, die es Anfang der Neunzigerjahre gab. Etwa die berühmte Buchhandlung Kolisch. Herr Kolisch mit dem legendären Spruch: »Soll ich es einpacken oder lesen Sie es gleich?«

Logische Folge

Was einmal wegbricht, kommt nicht wieder. Das wissen wir aus der Politik. Ob man den Menschen, die etwas nachweinen, nun Kulturpessimismus unterstellt oder sie zu Raunzern und Schlechtmachern erklärt; was demoliert wird und verschwindet, ist danach nicht mehr da. Die Verursacher der Zerstörung haben ihr Werk getan und werden dafür nicht zur Rechenschaft gezogen.

So ist es etwa mit Sebastian Kurz, der Österreich in das größte Budgetdefizit der Nachkriegsgeschichte geführt hat. Er könne jetzt »Geld scheißen«, schrieb Thomas Schmid. Kurz hat unser Geld den Reichen hingeschissen, seine Nachfolger Schallenberg und Nehammer haben sein Werk fortgeführt. Die Finanzminister Blümel und Brunner haben das Volk über die katastrophale budgetäre Lage nicht informiert. Darauf folgt ganz logisch: Nehammer ist heute Bankdirektor, Brunner ist heute EU-Kommissar in einem anderen Feld, wo er sich auch nicht auskennt.

Sanktionsfreie Zerstörung

Und unser frühere Held Kurz ist Unternehmer. Er feierte unlängst, so las ich, mit Elisabeth Köstinger und Gernot Blümel in Wien. Dabei soll auch Hans Bürger gewesen sein, jener Mann, der immer noch als Politik-Experte des ORF tituliert wird, und in Wahrheit nichts anderes als ein türkiser PR-Mann ist und war. Die Demolierer Österreichs feiern sich selbst; da kann man sofort umblättern.

Denn auch als Kulturpessimist, der jetzt ohne Papiergrotte dasteht, muss ich mich mit der Gegenwart beschäftigen. Zum Glück regieren in dieser Gegenwart Menschen, die das Budgetdefizit ernst nehmen und der Bevölkerung die wahren Umstände der finanziellen Lage Österreichs nicht verheimlichen wie ihre Vorgänger. Genau diese Menschen müssen jetzt viel Kritik einstecken, als hätten sie die missliche Lange zu verantworten. In den Zeitungen, die früher Sebastian Kurz abgefeiert und zum Genie erklärt haben, werden der jetzigen Regierung nun viele Ratschläge gegeben und ihr Vorgehen kritisiert. Das ist die Dankbarkeit der Welt: Sanktionsfreie Zerstörung, vielkritisiertes Krisenmanagement.

Undemokratische Umtriebe

In einer solchen Welt, in einem solchen Österreich kann von Gerechtigkeit nicht die Rede sein. Und in einer ungerechten Welt ist auch das erste Mal der 1. Mai gefeiert worden. Es erübrigt sich jedes Jahr die Geschichte dieses Feiertags nachzuerzählen. Auch der 1. Mai hat sich verändert und muss sich verändern. Was aber bleibt und bleiben muss, ist das Bewusstsein, dass all das, was demokratisch errungen und geschaffen wurde, fragil ist. Dass alle Errungenschaften, alle Rechte, die erkämpft wurden, auch gepflegt und erhalten werden müssen. Und das Erhalten ist längst zu einem Kampf geworden.

Die undemokratischen Umtriebe in den westlichen Staaten der Welt müssen uns klar machen, wie prekär die Lage ist. Die Tatsache, dass die Oppositionsbewegungen in vielen autokratisch regierten Ländern wie Ungarn, der Türkei, Serbien oder Russland zwar existieren, dass sich der Westen aber aus Angst und Kalkül nicht mit ihnen solidarisiert und sie unterstützt und die Medien viel zu wenig von ihnen berichten, sollte uns zu denken geben. Wir müssen den Kampf um die Demokratie in diese Ländern zur Sprache bringen und uns gegen die Autokraten stellen. Das ist nicht angenehm, aber notwendig.

Auf zum Kampf

In genau derselben Lage war die Arbeiterbewegung vor mehr als 130 Jahren. Der Erhalt der Demokratie heute ist aber etwas, das nicht nur die Arbeitenden angeht. Es geht alle an. Die Abwärtsspirale, in der wir uns befinden, reißt auch die Wirtschaft, den sozialen Zusammenhalt, die Kultur und alles mit, was das demokratische Dasein ausmacht.

Mir fehlt die Papiergrotte schon heute. Ich möchte aber nicht in wenigen Jahren dasitzen und darüber nachdenken müssen, ob ich ein Kulturpessimist bin, nur weil ich mich wehmütig daran erinnere, einmal in einer Demokratie gelebt zu haben. Also: Schluss mit Lustig! Auf zum Kampf!

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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