Donnerstag, Mai 15, 2025

Die Freiheit, die wer meint?

Wer für wirkliche Pressefreiheit eintritt, muss zugleich akzeptieren, in der Presse kritisiert zu werden. Autoritäre und rechtsextreme Politiker und Parteien sanktionieren aber immer mehr Kritik, anstatt sie zu akzeptieren. Ihr Freiheitsbegriff ist Farce und Propaganda zugleich.

In seiner Preisschrift über die Freiheit des Willens legt Arthur Schopenhauer zu Beginn Begriffsdefinitionen vor, in denen die Frage Was ist Freiheit? folgendermaßen beantwortet wird: »Der Begriff ist, genau betrachtet, ein negativer. Wir denken ihn nur durch die Abwesenheit alles Hindernden und Hemmenden: dieses hingegen muss, als Kraft äußernd, ein Positives sein.«

Das Hindernde und Hemmende, von dem Schopenhauer spricht, sind in autoritären Systemen zunächst Verbote von Medien und ihre Zensur. Etwa fünfzig Prozent aller Menschen sind davon betroffen. Bascha Mika schreibt in der Frankfurter Rundschau:

Alljährlich dokumentiert Reporter ohne Grenzen (Reporters sans frontières, RSF) Verstöße gegen die Presse- und Informationsfreiheit weltweit. Zum 3. Mai, dem Tag der Pressefreiheit, legt die internationale Nichtregierungsorganisation regelmäßig ihr Ranking vor. Und von Jahr zu Jahr ist das Ergebnis schockierender. „Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt nun in Staaten, in denen wir die Lage der Pressefreiheit als sehr ernst einstufen“, so Anja Osterhaus, die Geschäftsführerin der deutschen Sektion von RSF.

Wohlstand allein ist kein Schutz

Doch erleben wir zurzeit die große Falsifikation der These, an die viele seit den Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts geglaubt haben: dass Wohlstand die Gesellschaft automatisch vor Manipulation, Propaganda und autoritären Gedanken schützen wird. Bascha Mika weiter:

Die Freiheit der Presse ist auf einem historischen Tiefstand, es sind dramatische Verhältnisse. Dabei ist die katastrophale Entwicklung in den USA im Ranking kaum eingepreist; Donald Trump konnte mit seinem pressefeindlichen Feldzug ja erst bei Amtsantritt zu Beginn dieses Jahres so richtig loslegen (s. nebenstehenden Artikel). Auswirkungen der Trumpschen Kahlschlagpolitik zeigen sich aber bereits deutlich – auch außerhalb der Vereinigten Staaten. Durch die drastische Kürzung der Gelder für die Entwicklungsbehörde USAID sind unabhängige Medien in Osteuropa und Zentralasien in ihrer Existenz betroffen. In autoritär regierten Ländern sind sie häufig auf ausländische Finanzhilfen angewiesen.

Kapitalkumulation als Gefahr

Wir stehen heute deshalb so wehrlos da, weil die meisten Menschen auch in Staaten, in denen eine Mehrheit im Wohlstand lebt, erste Alarmzeichen konsequent ignoriert haben, den Warnenden Übertreibung vorgeworfen haben oder sich schlichtweg gar nicht mit der Frage auseinandergesetzt haben. In der kapitalistischen Welt hat man den Freiheitsbegriff auch in der Frage des Besitzes stets gepflegt. Nun muss man erkennen, dass Kapitalkumulation natürlich in dieser Frage eine wesentliche Gefahr darstellt. Dazu die TAZ:

In 46 Staaten konzentriere sich Medienbesitz in den Händen weniger Eigentümer. In manchen Ländern, etwa in Russland (Platz 171; 2024: 162), werde die Medienlandschaft vom Kreml oder von Kreml-nahen Oligarchen kontrolliert. In Ländern wie Ungarn (68; 2024: 67) mische sich der Staat durch die Zuteilung oder den Entzug von Anzeigen aktiv in die journalistische Arbeit ein.

Die jüngste Meldung von Reporter ohne Grenzen ging durch alle Medien, bei den meisten aber als Agenturmeldung. Wirkliche Autorenkommentare und Analysen sind die Ausnahme. Vielleicht sagt das ja auch etwas?

Machtergreifung über Sprache

Die oligarchische Kontrolle über Medien hat jedenfalls auch in Österreich längst begonnen. Diese Machtergreifung spielt sich aber nicht allein im Geldbereich ab; sie hat längst die Sprache erreicht. In unseren Medien werden tagtäglich Begriffe der rechten und autoritären Propaganda zunächst zitiert, dann übernommen und machen so propagandistische Begriffe zur Alltagssprache.

Das Wort »Ausländerfrage« steht ohne Anführungszeichen in Qualitätszeitungen. Alle reden von der »liberalen Demokratie« – ein Begriff, den der Rechtspopulismus geprägt hat. Wohlwissend, dass eine illiberale Demokratie keine Demokratie ist und die Begriffsbildung damit Nonsens, reden und schreiben so viele davon. Die Abwertung von Politikern als »linkslink« oder »Linkslinke« – ein Schimpfwort, das der Rechtspopulismus erst in den Neunzigerjahren bei seinen Bierzeltreden groß gemacht hat – ist heute gang und gäbe.

Im Rückstand

Natürlich kann der Wohlstand helfen, allerdings bereits ein sehr bescheidener. Um Pressefreiheit zu erhalten braucht man Geld. Dieses Geld kommt aber am besten aus so vielen Einnahmequellen wie möglich; am besten also von der Leserinnen und Lesern. Ich bin bereit, für den Online-Zugang einer Zeitungen zu zahlen, wenn es für mich leistbar ist. Nur hätte ich dafür auch gerne, dass die österreichischen Zeitungen endlich ihre Archive digitalisieren, wo sie – mit einigen sehr rühmlichen Ausnahmen – sehr weit im Rückstand sind oder die Sache überhaupt nicht angehen.

Und sie müssen sich von den Parteizentralen emanzipieren, die ihre Schreiber bei ihnen sitzen haben, wenn sie nicht ohnehin Artikel und Interviewfragen aus einer Parteizentrale bekommen. Regierungsinserate gehören abgeschafft – alle Regierungsstellen haben vom Steuerzahler bezahlte Pressesprecher – und die staatliche Förderung (direkt oder durch verdeckte Zahlungen) für Boulevardmedien darf folgenden Betrag nicht überschreiten: 0 (in Worten: Null) Euro.

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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