Freitag, Mai 16, 2025

Schuld und Schulden

Solange Bruno Kreisky und Werner Faymann immer an den Problemen der Gegenwart Schuld sind, wird es keine ehrliche Debatte über Finanz- und Medienpolitik geben. Ein Rückblick auf Jahrzehnte des Whataboutism und das allgemeine österreichische Schuldbekenntnis: Die anderen sind schuld.

Jüngste Entwicklungen wie die Rückkehr von Rainer Nowak zur Tageszeitung Die Presse und das unelegante Absetzen der Kolumne von Barbara Blaha im profil haben wieder Anlass zu Diskussionen über Medienpolitik in Österreich gegeben. Manche sagen, das Thema sei entbehrlich. Andere finden das nicht. Ich bin heute Abend wieder zu einer Diskussion junger Menschen darüber eingeladen.

Wie auch in meiner Kolumne sehe ich meine Rolle nicht als Experte, sondern als jemand, der die Darstellungen der Sachlage in den Medien auf ihre Sprache und Argumente abklopft und Kontexte in der Geschichte der österreichischen Innenpolitik, die ich doch recht gut zu kennen glaube, ausfindig zu machen versucht. Und da fällt mir auf, dass es in Österreich gang und gäbe ist, gefasste Urteile als populäre Phrasen zu verbreiten und zu Gassenhauern zu machen. Diese Phrasen haben ein Eigenleben bekommen und sind nun abgedroschene Sprüche geworden, die – so populär sie sein mögen – falsch sind.

Und wenn mich einer fragt …

Auch manche Qualitätsmedien und die dort tätigen Journalistinnen und Journalisten müssen sich die Kritik gefallen lassen, dass ihr Umgang mit Fakten nicht anders ist als in den Boulevardmedien. Denn tatsächlich krankt es hier vielerorts daran, dass unwissentlich, mehrheitlich aber wohl willentlich, Desinformation betrieben wird. Es ist nicht immer Desinformation durch falsche Aussagen. Man kann Desinformation auch mit richtigen Aussagen betreiben, etwa mit jener Methode, die man heute Whataboutism nennt.

Ein berühmter Whataboutism etwa ist, wenn zum Thema der Staatsverschuldung immer wieder derselbe Ausschnitt aus einer Rede Bruno Kreiskys aus dem Jahr 1979 gezeigt wird, die mit dem Satz »Und wenn mich einer fragt …« beginnt. Nun muss man sich nur die Verschuldung zur Zeit anderer Regierungen ansehen (und gleichzeitig Konjunktur und Beschäftigung zu diesem Zeitpunkt heranziehen), um herauszufinden, dass Kreiskys Regierungen gerade in dieser Hinsicht zu den besten der Nachkriegszeit gehörten. Weitaus schlechter bei Wirtschafts- und Arbeitsmarktdaten und der Staatsverschuldung steht das Kabinett Schüssel II nach seinem Ende da. Und am schlechtesten die Kabinette Kurz I, Schallenberg I, Nehammer und Schallenberg II (die kurze Unterbrechung durch das Kabinett Bierlein ausgenommen).

Das Confiteor von Sebastian Kurz

Nun gibt es einen ähnlichen Whataboutism in der Medienpolitik, ganz besonders in Debatten, in denen es um die staatliche Förderung und Inseratenvergabe geht. Hier wird vor allem von konservativen und rechten Journalisten beständig ein Whataboutism bemüht, der keinen anderen Zweck hat, als die beiden Regierungen von Sebastian Kurz außer Obligo zu halten, die 2018, besonders aber im Jahr 2020, nachweisbar drastische Erhöhungen der Inseraten- und Förderausgaben vorgenommen haben. Wie Kreisky die Schuld an der Verschuldung anderer Regierungen gegeben wird, so ist laut diesem Whataboutism Werner Faymann, der im Mai 2016 alle politischen Ämter zurückgelegt hat, für die Medienpolitik späterer ÖVP-Regierungen verantwortlich.

Es geht es nicht darum, Faymanns Politik zu entschuldigen. Sie soll und muss kritisiert werden. Es kann aber nicht sein, dass just jener Sebastian Kurz und seine Gefolgschaft, die so deutlich eine Abkehr von der Politik der vor ihnen von SPÖ-Kanzlern geführten Regierungen ankündigten, von der Verantwortung für ihre Tätigkeit ausgenommen werden. Gerade Sebastian Kurz hat das Wort »Schuld« in seinen öffentlichen Äußerungen hochfrequent benutzt. In einem katholischen Land kein Wunder. Nur: Wie Herbert Kickl das Vater-Unser auf Wahlplakaten persifliert hat, so macht es Kurz mit dem Confiteor aus der katholischen Liturgie: Nicht durch meine Schuld, sondern durch die Schuld der anderen ist alles so gekommen.

Aus dem Ruder gelaufen

Es ist eine radikale und klare Medienanfütterungspolitik, die Kurz von Anfang an betreibt und besonders im ersten Jahr der Corona-Pandemie noch weiter hochschraubt. Schon im Jahr 2021 belegt Andy Kaltenbrunner in seinem Buch Scheinbar transparent mit vielen Statistiken die Entwicklungen im Inseratenwesen und der Presseförderung der österreichischen Bundesregierung und kommt zu dem Schluss: »2020 wurden ebenso wie die Inseratenausgaben auch die gesetzlich geregelte staatliche Presse- und Privatfunkförderung wesentlich erhöht, auf mehr als 32 Millionen Euro. […] Erstmals wurden 2020 aus staatlichen Medienfördermitteln der Zeitungsmarktführer und die beiden Gratisblätter Österreichs höher mit staatlicher Förderung unterstützt als die nationale Qualitäts- und die Regionalpresse.«

Anstatt eine Reform der Medienförderung anzugehen, wie Kanzler Christian Kern sie 2016 und 2017 noch andachte und zu entwickeln begann, wurde sie unter Kanzler Kurz und seinen beiden Nachfolgern stärker denn je zu politischer Einflussnahme benutzt und hat die Schere der Ungleichheit bei den Förderungsempfänger zugunsten der großen Medien (Österreichs Boulevardmedien) weiter aufgehen lassen. Kaltenbrunner dazu: »Die Inseraten- und Förderpolitik von Österreichs Bundesregierung im Tageszeitungsmarkt ist in den vergangenen Jahren ideell und konzeptuell aus dem Ruder gelaufen. […] Im Pandemiejahr 2020 wurde auch die offizielle staatliche Presse- und Privatrundfunkförderung so verändert, dass sie zeitgemäßen Prinzipien der Förderung von Meinungspluralismus, Medienvielfalt, Innovation und der Unterstützung von unabhängigem Journalismus widerspricht.«

Konzentration auf Kanzleramt und Finanzministerium

Die Boulevardmedien reagieren mit der positiven, in vielen Fällen werbungsähnlichen Darstellung von Kurz und vor allem – worin ihre größere Stärke liegt – der negativen und hämischen Berichterstattung über seine politischen Konkurrenz, die auch manipulative Verwendung und Manipulation von Bildmaterial nicht scheut. Dabei wird die Kolportage sehr stark personenbezogen, was ebenfalls in Einklang mit der Statistik der Ausgaben steht. Denn in den Kabinetten Kurz kommen – ganz anders als in den Kabinetten Faymann – die Ausgaben zu großer Mehrheit nur aus zwei Ressorts: »Das Bundeskanzleramt von Sebastian Kurz und das ebenfalls mit steigenden Werbebudgets aktive Finanzministerium von Gernot Blümel, dem früheren Medienminister, waren 2020 schließlich gemeinsam für rund 62 % aller Inseratenbuchungen der Regierung verantwortlich.«

Ich hoffe sehr, dass zur Halbzeit der jetzigen Regierung eine aktuelle Analyse mit Statistiken und der Offenlegung ihrer Methodik erscheint; genauso vorbildhaft wie die Kaltenbrunners. Und ich möchte dem amtierenden Medienminister nahelegen, damit zu beginnen, gesetzliche Rahmenbedingungen und Obergrenzen für die Medienförderung und vorallem Regierungsinserate anzudenken und eine breite parlamentarische Mehrheit für die Verabschiedung neuer Gesetze zu suchen.

Früher oder später

Es muss der gegenwärtigen Bundesregierung klar sein, dass die budgetären Probleme, mit denen sie zu kämpfen hat, vor allem durch die Geldverschleuderungspolitik der damaligen Regierungen verursacht wurden. Denn in Österreich grassiert ein weiterer Whataboutism: »Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt.«

Nein, nein und nochmals nein. 97 % der Menschen in Österreich haben in den vergangenen Jahren nicht über ihre Verhältnisse gelebt. Im Gegenteil: Sie sind von höheren Ausgaben bei gleichbleibenden oder geringeren Einnahmen betroffen und damit in einer kritischen Situation, die früher oder später existenzbedrohlich wird.


Titelbild: Miriam Moné

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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