Freitag, Juni 20, 2025

Das Interesse verloren

Es ist eine menschliche Katastrophe, die sich Tag für Tag im Gaza-Streifen abspielt. Das Kairoer Abkommen über die palästinensische Teilautonomie, das 1994 unterzeichnet wurde, scheint heute wertlos zu sein. Auf allen Seite fehlen die demokratischen Kräfte.

Im SPIEGEL schreibt Juliane von Mittelstaedt:

Seit über zwei Monaten lässt Israel keine Lebensmittel, keine Medikamente und keinen Treibstoff in den Gazastreifen. Kinder sterben an Unterernährung. Währenddessen bombardiert Israel so erbarmungslos wie selten zuvor in diesem Krieg. Schutzlose Menschen werden in ihren Zelten zerfetzt. Allein in der vergangenen Woche starben Dutzende durch Bomben auf eine Schule und ein Restaurant, das auch als Suppenküche diente. Auch Kinder waren unter den Toten.

In der Tat stehen wir längst an einem Punkt, an dem dem Westen eines fehlt: Die Tat. Es kann nur drei klare Ziele geben: Zu allererst, den Krieg gegen unschuldige Zivilisten sofort zu beenden und die Versorgungslage im Gazastreifen zu normalisieren. Zum zweiten: die Rückkehr beider Seiten zur Demokratie. Und schließlich muss die Umsetzung des Kairoer Abkommens von 1994 wieder angestrebt werden.

Weit über das Maß des Erträglichen hinaus

Doch die westeuropäischen Staaten bleiben nur Mahner. Christian Meier in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über die Position Deutschlands:

Israel steht fest im westlichen Lager; und gerade Deutschland definiert seine Verantwortung aus dem Holocaust als Verpflichtung, Israel zu unterstützen. Diese Unterstützung darf allerdings nicht blind sein. Das Verhalten Israels unter seiner aktuellen, rechtsnationalistisch-rechtsreligiösen Regierung geht weit über das Maß des Erträglichen hinaus – selbst wenn man in Betracht zieht, wie brutal und traumatisierend der Terrorangriff vom 7. Oktober 2023 war.

Dabei ist klar, dass Israel nicht nur vom Kairoer Abkommen weit abgerückt ist, sondern auch von demokratischen Verhältnissen. Christian Meier weiter:

Netanjahus radikale Minister verhehlen nicht, dass die Versorgungsblockade des Gazastreifens und die rücksichtslosen Angriffe dazu dienen sollen, das Gebiet wieder zu besetzen und zu besiedeln, während die Bevölkerung vertrieben werden soll. Im Westjordanland zerstört die Armee Stadtviertel und ganze Dörfer planmäßig, während die Siedler frei walten können. Und im Innern baut die israelische Regierung eine rechtsstaatliche Leitplanke nach der anderen ab. Bis zur nächsten Knesset-Wahl könnte Netanjahus Koalition dafür sorgen, dass palästinensisch-israelische Parteien nicht antreten dürfen.

Alle blicken in die USA

Wieder einmal blicken alle abwartend auf die USA, von deren Waffenlieferungen Israel abhängig ist. Doch ist von der jetzigen amerikanischen Regierung wirklich ein Standpunkt zu erwarten, dem sie nicht am nächsten Tag selbst widerspricht wie in so vielen Fragen?

Die Tageszeitung Die Presse hat den israelischen Ex-Diplomaten und Historiker Itamar Rabinovich interviewt. Seine Einschätzung zu Donald Trump:

Trump hat Ideen, die auftauchen und wieder verschwinden. Als er Sonderbotschafter Steve Witkoff zu Verhandlungen über einen Waffenstillstand nach Israel schickte, hatte man gedacht, Trump würde am Ball bleiben. Aber dann hat er das Interesse verloren.

Das Interesse verloren? Kann man an Menschenleben und Menschenelend das Interesse verlieren. Man kann. Leider. In einer zivilisierten Welt müssten Trump und Netanjahu im Gefängnis sitzen. Itamar Rabinovich im Interview weiter:

Jetzt, da Trump nächste Woche nach Saudi-Arabien reist, ist er wieder interessiert. Wenn die Saudis ihm sagen, sie wollen die Beziehungen mit Israel normalisieren, sobald bestimmte Bedingungen in Gaza erfüllt sind, könnte Trump danach Druck auf Netanjahu ausüben. Oder er wendet sich ab. Ich unterschätze Trump nicht. Er kennt sich aus, erinnert sich an alle Namen und Fakten. Er ist kein Ronald Reagan. Aber er ist launenhaft und arbeitet unorganisiert.

Glamour statt Politik

Ob es schon ausreicht, dass Donald Trump nicht so vergesslich ist wie es Ronald Reagan war? Jedenfalls wäre Trump nicht Trump, würden nicht statt Politik täglich mehrere Glamour-Storys um ihn und mit ihm auftauchen. Eine davon lautet heute, dass der Emir von Qatar Trump ein Luxus-Flugzeug schenken, will. Der SPIEGEL dazu:

Ein sicherer Weg, um Donald Trumps Wohlwollen zu gewinnen, sind warme Worte und teure Geschenke. Was sich nun allerdings zwischen dem US-Präsidenten und dem Emirat Katar abzeichnet, dürfte einzigartig sein. Trump könnte US-Medien zufolge ein luxuriöses Flugzeug vom Typ Boeing von der Familie des Emirs von Katar als Geschenk annehmen. Das Flugzeug solle danach in den USA zur Präsidentenmaschine Air Force One aufgerüstet werden.

Vom Hamas-Unterstützer Qatar korrumpiert?

Sich vom einflussreichsten und finanzstärksten Unterstützer der Hamas korrumpieren zu lassen, wird wohl kein Schritt sein, der in Richtung Waffenruhe in Gaza geht. Auch ist die Annahme des Geschenks in den USA rechtlich umstritten. Der Guardian schreibt:

Jamie Raskin, demokratischer Kongressabgeordneter aus Maryland, sagte: „Trump muss die Zustimmung des Kongresses einholen, um 300 Millionen Dollar aus Qatar anzunehmen. Die Verfassung ist hier eindeutig: Ohne Zustimmung des Kongresses darf kein Geschenk jeglicher Art aus dem Ausland angenommen werden.“

Das wird wohl Donald Trump nicht kümmern, wie ihn Gesetze überhaupt wenig kümmern. Ob Ronald Reagan wirklich der schlimmere Präsident war? Ich kann mich zwar nicht mehr erinnern, ob der Kongress der Annahme des Lipizzaners zugestimmt hat, den der damalige Wirtschaftskammerpräsident Rudolf Sallinger Reagan im Jahr 1982 geschenkt hatte. Bestimmt war das Pferd aber keine dreihundert Millionen Dollar wert.


Titelbild: ROBERT JAEGER / APA / picturedesk.com

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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