Heinz Mayer ist einer der führenden Verfassungsjuristen Österreichs. Er erklärt, warum im Fall „Pilnacek“ von der Leiterin bis zur einfachen Referentin alle in der Staatsanwaltschaft Krems befangen sein könnten. Die Fakten geben Mayer recht: Die Staatsanwaltschaft Krems ist befangen und kann einen Fall nicht untersuchen, in dem sie selbst Gegenstand von Untersuchungen ist.
Der von Peter Pilz erhobene Vorwurf (Pilz am Sonntag, ZackZack 11.05.2025) wiegt schwer und erfordert eine genauere Betrachtung. Pilz behauptet, sowohl die Staatsanwaltschaft Krems wie auch die Niederösterreichische Landespolizeidirektion seien in der Sache des Todesfalls von Christian Pilnacek befangen und dürften keine weiteren Ermittlungsschritte mehr setzen.
Axt an Säule des Rechtsstaates
Ein solcher Vorwurf legt die Axt an eine Säule des Rechtsstaates. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits vor Jahrzehnten ausgesprochen, dass die Unbefangenheit von Verwaltungsorganen – und das gilt auch für Richter – zu den Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens zählt.
Das ist auch zutreffend: Soll doch die Unbefangenheit von Organen in der hoheitlichen Vollziehung sicherstellen, dass deren Entscheidungen objektiv und unparteiisch getroffen werden. Gesichert wird diese Unbefangenheit sowohl prozessrechtlich (§§ 3, 47 StPO) wie auch dienstrechtlich (§ 47 BDG).
Zweifel an Unbefangenheit
Ein Beamter – dazu zählen auch Staatsanwälte – hat sich der Ausübung seines Amtes zu enthalten und seine Vertretung zu veranlassen, wenn wichtige Gründe vorliegen, die geeignet sind, „seine volle Unbefangenheit in Zweifel zu setzen“. Es genügt also bereits ein Zweifel an der „vollen Unbefangenheit“, der einen Beamten verpflichtet, jegliche Amtstätigkeit in der betreffenden Sache zu unterlassen.
Im vorliegenden Zusammenhang kommt ein weiterer Aspekt dazu: Pilz behauptet die Befangenheit der Staatsanwaltschaft Krems und der Landespolizeidirektion Niederösterreich.
Grundsätzlich ist es so, dass nur eine natürliche Person befangen sein kann; nicht jedoch ein Amt. Es ist also zunächst Sache des betreffenden Beamten, mögliche Zweifel an seiner vollen Unbefangenheit wahrzunehmen und seine Vertretung zu veranlassen. Er hat dies bereits dann zu tun, wenn ihm klar sein muss, dass seine volle Unbefangenheit nicht mehr gesichert ist.
Dienstpflichtverletzung
Es bedarf weder eines Antrags von außen noch einer Weisung eines Vorgesetzen. Wer als Beamter diese Verpflichtung nicht erfüllt, begeht eine Dienstpflichtverletzung und möglicherweise auch einen Amtsmissbrauch.
Nun behauptet Peter Pilz die Befangenheit der StA Krems und der NÖ Landespolizeidirektion. Da nur ein Beamter befangen sein kann, nicht aber eine Behörde, scheint die Behauptung von Peter Pilz unzutreffend. Dazu ist freilich im vorliegenden Fall folgendes zu bemerken:
Zunächst ist zu prüfen, ob die Beamten, die im Fall Pilnacek zunächst tätig wurden (Staatsanwälte, Kriminalbeamte), befangen waren. Sollte dies der Fall sein, wären diese Beamten jedenfalls disziplinarrechtlich, möglicherweise auch strafrechtlich, verantwortlich.
Da die Sache Pilnacek jedenfalls ein Fall von herausragender Bedeutung war, ist davon auszugehen, dass die jeweiligen Behördenleiter (Staatsanwaltschaft Krems, Landespolizeidirektion Niederösterreich) über die Ermittlungen genau informiert sein mussten.
Dienstrechtlich und strafrechtlich
Ein Behördenleiter, der sich mit einem Fall von derartiger Bedeutung nicht befasst, handelt allein schon deshalb rechtswidrig. Behördenleiter haben auch die Aufgabe, die korrekte Vorgangsweise ihrer nachgeordneten Organe sicherzustellen und sich davon auch ein entsprechendes Bild zu machen.
Tun sie das nicht oder greifen sie unsachlich in diese Ermittlungen ein, dann sind sie dienstrechtlich und möglicherweise auch strafrechtlich verantwortlich. Tritt so ein Fall ein, dann wäre im Ergebnis wohl die gesamte Behörde befangen. Genauer: Jeder nachgeordnete Beamte, der nunmehr die Ermittlungen aufnimmt, ist dem Behördenleiter unterstellt und müsste nötigenfalls bereit sein, diesen in größte Schwierigkeiten zu bringen. Geht er korrekt vor, könnte sichtbar werden, dass nicht nur sein Kollege oder seine Kollegin, sondern auch der Behördenleiter oder die Behördenleiterin, rechtswidrig gehandelt hat.
Alle befangen
Es ist schwer zu argumentieren, dass ein solcher Beamter „seine volle Unbefangenheit“ behält. Ermittlungen zu führen, die im Ergebnis die Verantwortlichkeit des eigenen Vorgesetzten aufzeigen, kann ein Beamter, der von seinem Vorgesetzten ja in gewisser Weise abhängig ist, wohl selten in voller Unbefangenheit führen. So kann also der Fall eintreten, dass nicht eine Behörde an sich, sondern alle Beamten dieser Behörde im Ergebnis befangen sind.
Ob ein solcher Fall vorliegt, kann mangels genauer Aktenkenntnis von mir letztlich nicht beurteilt werden. Ziel dieses Beitrages kann es daher nur sein, aufzuzeigen, wie die betroffenen Behörden in der Folge vorzugehen haben. Dabei geht es nicht nur um ein prozessuales oder dienstrechtliches Problem, sondern um eine Säule des Rechtsstaates. Die bestehenden Zweifel im Fall Pilnacek – und deren gibt es einige – sind lückenlos aufzuklären, und zwar durch eine transparente und korrekte Vorgangsweise.
An Aufklärung nicht interessiert
Bloß die Vorstellung, Christian Pilnacek sei unter zweifelhaften Umständen zu Tode gekommen und die betroffenen Behörden hätten es unterlassen, den genauen Hergang dieses bedauerlichen Ereignisses aufzuklären, wäre ein gravierender Vorwurf und eine schwere Erschütterung des Vertrauens in den Rechtsstaat Österreich.
Ich will nicht in einem Land leben, in dem eine Person, die tief in die Politik eingebunden war, unter ungeklärten Umständen, begleitet von vielen Zweifeln, zu Tode gekommen ist und in dem die zuständigen Behörden (Staatsanwaltschaften, Kriminalpolizei) an einer lückenlosen Aufklärung nicht interessiert sind.
Die Staatsanwaltschaft Krems ist befangen (Nachbemerkung von Peter Pilz)
1. Von Anfang an mischte sich Susanne Waidecker als Leiterin der Staatsanwaltschaft Krems in das Ermittlungsverfahren zur Ursache des Todes von Christian Pilnacek ein.
2. Nachdem ZackZack im März 2024 begonnen hatte, kritische Fragen zu den polizeilichen Ermittlungen zu stellen, übernahm Waidecker als Leiterin der StA Krems die Verteidigung der Polizei, wie etwa in ihrem Schreiben an die WKStA vom 16. Mai 2024: „Ebenso ist festzuhalten, dass aus Sicht der gefertigten Staatsanwaltschaft die Polizei, insbesondere das LKA NÖ unter Leitung von CI Fellner im gegenständlichen durch überbordendes mediales Interesse gekennzeichneten Fall (…) ausgezeichnet und umsichtig gearbeitet hat.“
3. Waidecker übernahm die – inzwischen gerichtsmedizinisch widerlegten – Behauptungen des Landeskriminalamts: „In Hinblick auf die der Auffindung vorausgehenden bekannten Umstände, das fehlende Bedrohungsszenario des Opfers, die am Fundort gesicherten Spuren und den Zustand der Leiche konnte in Hinblick auf die Ausbildung der Polizisten der Gruppe Leib/Leben des LKA NÖ, deren langjährige berufliche Erfahrung – wie auch durch die Obduktion bestätigt wurde – bereits kurze Zeit nach Auffindung der Leiche von einem Suizid ausgegangen werden. Es gab keine Hinweise auf Fremdeinwirkung am Tod von Mag. Pilnacek.“
4. Waidecker blieb bei dieser Behauptung, die jetzt neu untersucht werden soll: „Im gegenständlichen Fall gab es keinerlei Anlass für eine Sicherstellung des Mobiltelefons oder gar eine Auswertung desselben, da bereits nach den Erstermittlungen – siehe dazu im Akt – die Todesursache Suizid feststand.“
5. Die durch neue gerichtsmedizinische Gutachten erfolgte Widerlegung dieser falschen Behauptungen ist der Grund, warum die Oberstaatsanwaltschaft die Prüfung der Wiederaufnahme des Ermittlungsverfahrens zum Tod von Pilnacek angeordnet hat.
6. Eine Behördenleiterin, die das alles behauptet hat, müsste im Zuge der Wiederaufnahme der Ermittlungen sich selbst überprüfen. Sie müsst nämlich objektiv überprüfen, ob sie selbst die Fakten und Beweise falsch beurteilt und damit falsche Entscheidungen mit schwerwiegenden Folgen wie der Vernichtung des Beweismittels „Handy“ getroffen hat.
7. Das ist der klassische Fall einer Befangenheit. Oberstaatsanwaltschaft und Justizministerium haben daher sicherzustellen, dass der Fall der StA Krems entzogen wird.
8. In Paragraf 47 der Strafprozessordnung ist die Befangenheit klar geregelt: „Jedes Organ der Kriminalpolizei und der Staatsanwaltschaft hat sich der Ausübung seines Amtes zu enthalten und seine Vertretung zu veranlassen, (…) wenn andere Gründe vorliegen, die geeignet sind, seine volle Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit in Zweifel zu ziehen.“ Genau das gilt im Fall „Pilnacek“ für Susanne Waidecker und die gesamte Staatsanwaltschaft Krems.
9. Das alles müsste der Oberstaatsanwaltschaft bekannt sein. Daher muss aufgeklärt werden, warum die OStA Wien die offensichtliche Befangenheit der StA Krems bis heute ignoriert hat
Titelbild: HELMUT FOHRINGER / apa / picturedesk.com, Heinz Mayer, Auszug StA Krems