Freitag, Juni 20, 2025

Der Leim, der niemals klebt

Es ist vieles zu kritisieren an der Regierung, aber es muss gesagt werden, dass erstmals nach sieben Jahren wieder ehrliche Sachpolitik gemacht wird. Sieben Jahre lang ist Österreich der Propaganda der Show-Politik auf den Leim gegangen. Man kann ein wenig aufatmen.

Noch vor kurzem hätte niemand gedacht, dass wir das noch einmal erleben werden: In unserem Land und anderen westlichen Ländern wird wieder Politik gemacht, wie wir sie einmal kannten. Sachpolitik von Politikerinnen und Politikern, die die Sache auch benennen und in Statements und Interviews nicht nur Propaganda betreiben. Man kann ihre Sachpolitik kritisieren – das ist ja auch gut und recht so in einer Demokratie. Man muss ihnen aber lassen, dass sie sich um die Probleme des Landes kümmern und in ihrer Lösung notwendigerweise Kompromisse schließen.

Freilich sind diese Kompromisse vielen nicht recht. Mir auch nicht. Sie ergeben sich aber aus den politischen Kräfteverhältnissen, die durch die vergangene Nationalratswahl entstanden sind. Mit einer Koalition aus drei Parteien gibt es in Österreich bisher keine Erfahrungen. Dafür wirkt das Handeln dieser Regierung sehr professionell. Und vor allem: Hier wird keine Show-Politik betrieben, die durch mediale Ankündigungen manipuliert wird, während im Hintergrund ganz andere Dinge passieren.

Geldscheißen ohne Rechenschaft

Es ist nicht fair, wenn die Medien (allen voran die Boulevardmedien) schreiben, wieviel und was wir nun zu bezahlen hätten. Sie wissen genau, was die Wahrheit ist: Dass wir in den vergangenen sieben Jahren bezahlt haben. Dass unser Geld von Kanzler Kurz, der – so sein Gefolgsmann Schmid – »Geld scheißen« konnte, und Kanzler Nehammer verschleudert wurde. Und dass uns deren Politik in die heutige Lage gebracht hat.

Zuerst wurde dieses Geld Unternehmern und Milliardären zugeschanzt, das Kurz ihnen für ihre Wahlkampfunterstützung schuldete. Die Volkspartei oder Liste Kurz hat dieses Geld genommen, die Steuerzahlenden haben es mehrfach zurückbezahlt. Es befindet sich heute, wie im Falle des Pleitiers Benko, mehrheitlich in Stiftungen im Ausland. Es ist weg. Unter Karl Nehammer haben wir dann mit einer massiven Teuerung weit über dem EU-Schnitt bezahlt, die man dilettantisch bekämpfen wollte und damit noch weiter angefacht hat. Die Kritik daran, hat der damalige Vizekanzler Kogler arrogant als »Jammern auf hohem Niveau« weggewischt – das war nicht seine stärkste Stunde. Und zuletzt wollte man uns von Blümel bis Brunner auch noch die Rechenschaft für diese Misswirtschaft schuldig bleiben und hat sich geweigert, Akten herauszugeben und Zahlungen offenzulegen.

Die Chuzpe

Es waren sieben Jahre der Chuzpe. Viele, viel zu viele, sind der Chuzpe auf den Leim gegangen. Es ist ein Leim, der nicht klebt. Den Frontmen der Chuzpe hat das nicht geschadet. Sebastian Kurz ist heute ohne Kompetenz Unternehmer und Milliardär (zumindest in Dollar). Karl Nehammer ist heute ohne Kompetenz Bankdirektor.

Vielleicht überlegen wir ein wenig, wenn wieder Wahlen anstehen und die Show-Politiker mit ihren PR-Phrasen jene Pleiten übertünchen, die wir bezahlen. Vielleicht überlegen wir ein wenig, wenn wir die heutige Regierung kritisieren, ob sie nach dem Maßstab der Regierungen der letzten sieben Jahre zu kritisieren ist (das Kabinett Bierlein ausgenommen).

Der Zirkus der »Veränderung«

Ich habe vierzehn Jahre in einer Bank gerbeitet, die schon nach meinen ersten drei Jahren dort von einem amerikanischen Hedge-Fonds gekauft wurde. Ich habe die gesamte Show, den Zirkus der populistischen, turbokapitalistischen »Veränderung« und »Umstrukturierung« dort jahrelang aus nächster Nähe beobachtet. Es ist eine Show, bei der die kleineren und mittleren Angestellten und die Steuerzahlenden, die bei sogenannten Krisen immer zur Kasse gebeten werden, die Verlieren sind. Sie bezahlen Geld, das sofort verschwindet und nie wieder auftaucht.

Die Sanierer dieser Bank haben – obwohl sie allesamt Parteien unterstützen, die fordern, dass die Menschen länger arbeiten, also das Pensionsantrittsalter nach oben gesetzt wird – zuerst alle Menschen ab 50 radikal aus dem Betrieb gedrängt, später Menschen ab 45. Sie wurden einerseits in sogenannte Korridorpensionen entlassen, die vom Staat – also den Steuerzahlenden – gestützt wurden oder nahmen staatlich geförderte Umschulungsmaßnahmen (ebenfalls vom Steuerzahler bezahlt) in Anspruch.

Auslagern und umstrukturieren

Die Boni der Top-Manager hingen an einem einzigen Ziel: Die Senkung der Personalkosten. Dieses Ziel lag als Zahl vor ihnen. Die Methode lautete: Diese Summe dem Unternehmen zu ersparen und dem Steuerzahler anzulasten und Personalkosten in Sachkosten umzuwandeln. Arbeit wurde durch Auslagerungen de facto an Subfirmen übergeben, wodurch also kein Personal, sondern fremd angekaufte Arbeit als Sachleistung zu bezahlen war. Die Arbeitskräfte der Subfirmen kamen allesamt aus Osteuropa und Asien und verdienten den Bruchteil eines hiesigen Angestellten. Damit halst man sich ein weiteres Problem am Arbeitsmarkt und im Pensionswesen auf, das der Staat und damit die Regierung lösen muss.

Die Großteil des Sachbudgets allerdings ging an sogenannte Consulting Groups, milliardenschwere Konzerne, deren Mitarbeiter die Konzepte für diese sogenannte Umstrukturierung lieferten. Viel Arbeit hatten sie damit nicht, denn sie hatten zuvor hunderte Firmen in gleicher Weise beraten. Es reichte also, wenn sie in ihren Konzept und Power-Point-Folien ein paar Namen austauschten. Viele der Konzernvorstände waren früher in solchen Consulting Groups tätig gewesen oder wurden später für sie tätig.

Staatlich finanzierter Karrieresprung

Und so ist es bis heute. Top-Manager bleiben in der Regel maximal drei bis fünf Jahre. Sollten sie also einmal durch ein gescheitertes Projekt Geld versenken, so fallen die Konsequenzen nicht auf sie zurück. Denn, wenn die Misswirtschaft auffällt, sitzen sie längst in einem anderen Unternehmen oder einer Consulting Group und verdienen mehr als zuvor.

Genau wie in der sogenannten Privatwirtschaft, die ohne Steuerzahlende nicht existieren kann, treffen die Konsequenzen der Misswirtschaft eines Sebastian Kurz, Gernot Blümel, Karl Nehammer oder Magnus Brunner sie selbst nicht. Im Gegenteil. Sie verdienen heute mehr denn je. Diesen Karrieresprung hat jemand bezahlt: die österreichischen Steuerzahlenden.

Ich möchte Dinge nicht kleinreden, die in der jetzigen Regierung schiefgehen oder nicht optimal sind. Ich möchte nicht verhehlen, dass ich mir in vielen Punkten andere Verteilungen der Belastung gewünscht hätte und auch mehr Mut, die höheren Einkommen und großen Konzerne in einer Weise zu belasten, die auch ihrer Verantwortung entspricht, der sie sich seit Jahrzehnten mit Duldung und sogar Unterstützung der Politik entziehen.

Ich gebe nur zu Bedenken, dass wir zum ersten Mal seit 2017 eine Regierung haben, die sich wenigstens der Wahrheit und ihren Aufgaben stellt. Sie redet mit uns und mit ihr kann man reden. Mit einem Sebastian Kurz und einem Karl Nehammer kann man nicht reden. Es sei denn, man will die Sätze, die sie mühevoll auswendig gelernt haben, noch einmal hören. Wir haben sie schon oft genug gehört. Ich bin froh, aus der Regierung endlich wieder Wortmeldungen zu hören, die auf Themen eingehen und auch etwas aussagen. Auch wenn (und gerade weil) es zurzeit keine Jubelmeldungen gibt.


Titelbild: Miriam Moné

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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