Geleakte Zolldaten zeigen: Noch im April 2022 gelangten Gewehr-Zielfernrohre der Swarovski-Gruppe aus Österreich nach Russland. Wie das genau passieren konnte, will der Tiroler Konzern nicht erklären.
Anfang April 2022 nahm der russische Angriffskrieg auf die Ukraine eine neue, erschreckende Wendung. Putins Truppen konnten nach wochenlanger Besetzung aus dem Kiewer Vorort Butscha vertrieben werden. Mindestens 73 Zivilistinnen und Zivilisten waren dort laut UNO zuvor von den Russen getötet und verscharrt worden. Die Weltöffentlichkeit reagierte schockiert auf das Massaker.
Einer speziellen Lieferung aus Österreich taten die Kriegsgräuel keinen Abbruch. Noch am 5. April 2022 traf eine Sendung aus dem niederösterreichischen Guntramsdorf bei den russischen Zollbehörden ein. Penibel wurden ihre Eigenschaften dokumentiert: 9 Pakete, mit einem Bruttogewicht von rund 35 Kilogramm und einem Rechnungswert von über 3,65 Millionen Rubel (nach derzeitigem Wechselkurs umgerechnet rund 40.000 Euro); sowie der zugehörige russische Produktcode 9013100000 – “Zielfernrohre zur Montage auf Waffen.” Absender: die in Guntramsdorf beheimatete Kahles GmbH, eine hundertprozentige Tochterfirma der Swarovski-Gruppe. Empfänger: Die Levsha Group, ein in Sankt Petersburg ansässiges Unternehmen, das auf Großhandel mit Waffen und Munition spezialisiert ist.
Die Angaben stammen aus einer Auswertung russischer Zolldaten für die Jahre 2021 und 2022, die ZackZack im Detail einsehen konnte. Und die Daten werfen heikle Fragen auf: Wie konnte es sein, dass sechs Wochen nach der Invasion, der Verhängung schärfster Sanktionen und dem Bekanntwerden russischer Kriegsverbrechen hochwertige Gewehr-Zielfernrohre aus Österreich nach Russland gelangten? Swarovski zeigt sich hier nicht an restloser Aufklärung interessiert. Auch das für die Exportkontrolle zuständige Wirtschaftsministerium schweigt.
Lieferungen nach russischer Invasion
Erstmals hat im Dezember 2023 die unabhängige, russische Investigativplattform iStories über anhaltende Zielfernrohr-Lieferungen internationaler Firmen nach Russland berichtet und berief sich auf den Datensatz russischer Zolldaten. Vor allem ukrainische Medien, aber auch die renommierte Newsweek berichteten daraufhin über die Enthüllungen. In Österreichs Medien erfuhr man über die Recherchen hingegen nichts – und das, obwohl sich in dem Datensatz prominent zwei heimische Unternehmen finden: Swarovski Optik und Kahles.
Aus den Daten geht hervor, dass den russischen Zoll im Jahr 2022 noch insgesamt acht größere Lieferungen beider Firmen erreichten, welche direkt aus Österreich in die Russische Föderation verschickt wurden. Gesamtwert: mindestens 42,5 Millionen Rubel – nach derzeitigem Wechselkurs umgerechnet über 470.000 Euro.
Im Fall Swarovski Optik (das Unternehmen stellt im Gegensatz zur verwandten Kristallfirma optische Geräte wie Zielfernrohre oder Nachtsichtgeräte her, Anm.) fanden zwei Lieferungen im Jänner 2022 statt; weitere erreichten am 14., 16. und 24. Februar den russischen Zoll, also noch bis zum Tag der Ukraine-Invasion. Kahles lieferte laut der Auswertung im Jahr 2022 noch dreimal: Am 16. und noch am 25. Februar gelangten Zielfernrohre nach Russland. Und dann ist da eben noch die eingangs erwähnte Sendung, die überhaupt erst Anfang April – sechs Wochen nach der Invasion – in Russland eintraf.
Bemerkenswert ist, dass sich im Datensatz zu allen Lieferungen auch kurze Vermerke finden. Hier ist auffällig, dass man den ersten Sendungen von 2022 noch Hinweise hinzufügten, die schlicht lauteten: “Optische Visiere zum Einbau auf Jagdwaffen.” Den letzten Exporten zeitnah zur Invasion wurde der Zusatz “KEIN MILITÄRPRODUKT” oder “nicht-militärische Zwecke” beigefügt. Eine Absicherung, angesichts der sich zuspitzenden Lage? Vielleicht. Nur wie passten die Lieferungen überhaupt mit den verhängten Sanktionen zusammen?
Widerspruch zu öffentlichen Statements
Einerseits beschloss die Europäische Union am 25. Februar 2022 neue Sanktionen, die eine Ausfuhr von Dual Use-Gütern (also Produkten, die sowohl zivil, als auch militärisch genutzt werden können, Anm.) nach Russland gänzlich untersagten. Bereits in den Jahren zuvor war die Ausfuhr dieser Güter nach Russland streng reguliert gewesen, zumindest am Papier.
ZackZack fragte beim für Exportkontrolle zuständigen Wirtschaftsministerium nach, ob die genannten Lieferungen bekannt- und mit den Sanktionen im Einklang waren, beziehungsweise über Ausfuhrgenehmigungen verfügten. Eine Antwort erhielten wir trotz wiederholter Nachfrage nicht. Das Ressort von Wolfgang Hattmannsdorfer agiert hier gegenüber ZackZack mittlerweile notorisch: Schon in den für das Ministerium sehr unangenehmen Recherchen zur Knill-Gruppe weigert sich die staatliche Pressestelle, Auskünfte zu geben.
Dass noch Anfang April Kahles-Produkte nach Russland gelangten, widerspricht den öffentlichen Aussagen des Konzerns selbst. So teilte das Unternehmen kurz nach Kriegsbeginn mit, sein Russland-Geschäft auf Eis gelegt zu haben. “Angesichts der Komplexität der Situation in der Region und der wachsenden Besorgnis über die derzeitige Lage hat Swarovski beschlossen, seine direkten Aktivitäten in Russland vorübergehend auszusetzen”, hieß es am 8. März 2022 in der Tiroler Tageszeitung.
Swarovski: “Strenger Code of Conduct”
ZackZack hat die Swarovski-Konzernzentrale in Wattens mehrfach und ausführlich zu den Angaben aus dem vorliegenden Datensatz befragt. Seitens der Presseabteilung bestreitet man pauschal, nach dem Überfall auf die Ukraine Waren nach Russland geliefert zu haben:
“Der Geschäftstätigkeit von SWAROVSKI OPTIK und Kahles liegt ein strenger Code of Conduct zugrunde. Sämtliche Lieferungen an Russland wurden mit Kriegsbeginn am 24.02.2022 gestoppt. Laufende Lieferungen wurden sogar zurückgeholt. Dahingehend können wir feststellen, dass sich SWAROVSKI OPTIK sowie Kahles durchgängig an sämtliche rechtliche Rahmenbedingungen ausnahmslos gehalten haben.”
Auf einzelne Lieferungen, allen voran die Sendung im April 2022, geht man nicht ein. So möchte das Unternehmen auch nicht aufklären, wann genau die bedenkliche Fracht exakt verschickt wurde. Nach wiederholter Nachfrage erklärt man bloß, “dass sämtliche Transport, Zoll-, Import- und weitere behördliche Abläufe vor Ort außerhalb unseres Handlungsbereiches liegen. Diese können wir weder beeinflussen noch kommentieren.”
ZackZack tat sich indessen daran, den vorliegenden russischen Zolldaten weiter nachzugehen und sie zu überprüfen. Wir kontaktierten einige europäische Unternehmen, die ebenfalls in dem Datensatz aufscheinen. Und es zeigt sich: Die verschiedenen Angaben werden von Firmen unterschiedlicher Länder bestätigt.
Mehrere Firmen bestätigen die Zolldaten und klären auf
“Der Lieferzeitpunkt und die Empfängerfirma sind korrekt”, schreibt auf Anfrage etwa der Sprecher eines nordeuropäischen Zielfernrohr-Herstellers, der sich ebenfalls in den Daten findet. Die letzte Sendung dieses Unternehmens erfolgte im März 2021, also lange vor der Invasion, und ging an die russische Levsha Group, die auch regelmäßig von Kahles beliefert wurde. Von zwei weiteren, deutschen Herstellern gibt es gegenüber ZackZack ebenfalls Bestätigungen zu den vorliegenden Daten; sie lieferten im April 2021 beziehungsweise im August 2021 zuletzt nach Russland.
Als im April 2022 die besagte Kahles-Lieferung in Russland eintraf, hatten sich europäische Firmen laut Datensatz bereits aus Russland zurückgezogen. Nur aus Guntramsdorf und von asiatischen Herstellern gab es da noch eintrudelnde Sendungen. Zuvor sticht Ende März lediglich ein einzelnes Paket eines deutschen Sportwaren-Vertriebs hervor. Dort äußert man sich gegenüber ZackZack bereitwillig und erklärt die Lieferung folgendermaßen: “Das versandte Zielfernrohr ist eine Spezialanfertigung für die sportliche Disziplin ‘laufende Scheibe 10 Meter Luftgewehr’ der Marke Nickel und wurde damals von uns im März für das Nationalteam versandt”, so ein Firmenvertreter zu ZackZack. Diese spezielle Lieferung sei von den deutschen Zollbehörden auch geprüft worden – und sie passt exakt zu den vorliegenden Daten.
Kahles beziehungsweise Swarovski Optik und das Wirtschaftsministerium als Kontrollbehörde weigern sich hingegen partout, das Zustandekommen der Lieferung, die sechs Wochen nach Kriegsbeginn Russland erreichte, im Detail zu kommentieren.
Zielfernrohre tauchten im Krieg auf
Möglicherweise hat das auch damit zu tun, dass nicht ausgeschlossen werden konnte, dass die für die Jagd bezeichneten Zielfernrohre am Ende in falsche Hände gerieten.
So tauchte etwa im März 2023 ein Video eines belarussischen Senders auf, das Soldaten des russischen Freiwilligenkorps “Espanyola” an der Front zeigte. Ein Scharfschütze bediente darin gut erkennbar ein Zielfernrohr der Marke Kahles. Seit März 2025 im Netz kursierende Bilder auf der Plattform reddit zeigen außerdem ein Scharfschützengewehr der ebenfalls österreichischen Marke Steyr Mannlicher, auf dem ein Kahles-Zielfernrohr montiert ist. Zu sehen sind weitere Waffen und das Logo des russischen Kampfbataillons СУДОПЛАТОВЦЫ.
Das Swarovski-Aus in Russland geriet bereits Ende März ins Wanken. Damals berichtete ZackZack über nach wie vor geöffnete Geschäfte der Luxus-Kristallsparte von Swarovski in Russland. Das Unternehmen beteuerte auf Anfrage auch damals seinen vollständigen Rückzug aus Russland, konnte die geöffneten Läden aber nicht plausibel erklären.