Samstag, Juni 21, 2025

Ungarn bedroht letzte freie Medien – und könnte alle EU-Gelder verlieren

In Ungarn plant die Regierung ein Gesetz zur „Kohärenz des öffentlichen Lebens“. Zielgerichtet soll damit die Finanzierung kritischer Medien verhindert werden. Spielen EU und die Raiffeisenbank in Ungarn dieses Spiel mit?

Máté Kocsis, Klubobmann von Orbáns Fidesz-Partei im ungarischen Parlament, machte kein Geheimnis daraus, welche Medien das neu geplante „Gesetz zur Kohärenz des öffentlichen Lebens“ endgültig mundtot machen soll. „Telex, 444 oder Partizan“, alles Medien, die kritisch über die ungarische Regierung berichten, nannte der Fidesz-Politiker als mögliche Medien, die unter dem Druck des geplanten Gesetzes zerbrechen könnten. Der Plan: Den unliebsamen Medien mithilfe eines Gesetzes zur Souveränität des ungarischen Staates endgültig den Geldhahn abdrehen.

Willkürliche schwarze Liste

Die medienrechtliche Verschärfung, die auch für kritische Nichtregierungsorganisationen gelten soll, zielt darauf ab, die Finanzierung von Medien stark zu erschweren. So sollen unter anderem Zuwendungen aus dem Ausland unterbunden werden. Banken, die Überweisungen von außerhalb Ungarns an Organisationen vornehmen würden, müssen den entsprechenden Geldfluss an die ungarische Steuerbehörde melden. Tun sie es nicht, können die Banken selbst dafür sanktioniert werden.

Das geplante Gesetz, das schon am 24. Mai beschlossen werden könnte, sieht vor, Medien und Organisationen auf eine schwarze Liste des „Büros für Souveränitätsschutz“ zu setzen, wenn diese unter mithilfe ausländischer Geldgeber „das öffentliche Leben“ oder „die demokratische Debatte“ beeinflussen. Das heißt: „wenn Sie eine falsche Meinung äußern, können Sie mit empfindlichen Geldstrafen belegt werden“, schreibt das ungarische Onlineportal Atlatszo.hu. Als ausländische Geldgeber gelten dabei auch Ungarn, die im Ausland leben und etwa von einem österreichischen Konto ihren Unterstützungsbeitrag an ein ungarisches Medium überweisen. Ungarns Regierungschef Viktor Orbán sprach im Zusammenhang des geplanten Gesetzes von einer „Säuberung“.

Raiffeisen-Konten

Einige der letzten kritischen ungarischen Medien haben ihr Konto bei der Raiffeisenbank Zrt. Die ungarische Raiffeisenbank, die indirekt der Raiffeisenbank International (RBI) gehört, könnte somit eine wichtige Rolle bei der Finanzierung der letzten kritischen Medien in Ungarn spielen.

Auf ZackZack-Anfrage, was die RBI vom geplanten Gesetz hält und ob sie Geldflüsse an kritische Medien tatsächlich melden würde, zeigte sich ein Sprecher der Bank abwartend:Die Tochtergesellschaften der RBI sind verpflichtet, ihre Bankgeschäfte im Rahmen der jeweils geltenden Gesetze zu tätigen“, hieß es. Noch sei das Gesetz nicht in Kraft: Es ist abzuwarten, ob und in welcher Form das Gesetz tatsächlich beschlossen werden wird. Der ungarische Bankenverband hat eine Stellungnahme zu dem Gesetzesentwurf abgegeben.

EU-Parlamentarier wollen Ungarn alle Gelder streichen

Für einige Europapolitiker ist klar, dass es in Ungarn zu gravierenden Verschärfungen kommen wird. Einige EU-Abgeordnete wollen den Druck auf Orbán deswegen erhöhen. In einem vom deutschen Grünen Abgeordneten Daniel Freund initiierten Brief an die EU-Kommission, der ZackZack vorliegt, fordern sie, alle Gelder an Ungarn einzufrieren. Erst im Jänner 2025 wurde die Unabhängigkeit der ungarischen Richter erneut angegriffen, heißt es in dem Brief. Der nun geplante Angriff auf kritische Medien brachte das Fass für die Unterzeichner zum Überlaufen: „Die weitere Finanzierung eines korrupten Regimes, das die europäischen Werte offen untergräbt, ist inakzeptabel.“ Als einizge österreichische Abgeordnete unterzeichnete Lena Schilling den Brief.

„Wir sind sehr besorgt darüber, wie sehr es jede kritische Stimme, die es in Ungarn noch gibt, unterminieren wird“, sagte der EU-Berichterstatter für Ungarn, Tineke Strik, zum geplanten Gesetz und fügte hinzu: „es könnte der letzte Schritt zum Zusammenbruch des zivilen Raums, der Journalisten, der Zivilgesellschaft, eigentlich aller sein, die ihre Stimme kritisch gegen diese Regierung erheben“.

Das Gesetz würde gegen EU-Grundfreiheiten verstoßen, unter anderem gegen den freien Kapitalverkehr. Bereits in der Vergangenheit wurden in Ungarn zahlreiche Einschränkungen der Rechtsstaatlichkeit und Grundrecht umgesetzt, weswegen die EU-Kommission laut dem Brief schon jetzt rund 10 Milliarden Euro an Fördergeldern an Ungarn zurückhält.

Keine Medienfreiheit

Ungarn liegt laut der zivilgesellschaftlichen Organisation „Reporter ohne Grenzen“ in Sachen Pressefreiheit weltweit auf Platz 68 von 180. Das Gesetz, das nach russischem Vorbild des Gesetzes gegen „ausländische Agenten“ gestaltet ist, könnte den Wert noch dramatisch nach unten senken. Seit dem Amtsantritt des rechtskonservativen Viktor Orbán versuchte die ungarische Regierung die größten Medienhäuser mithilfe von Millionendeals unter ihre Kontrolle zu bringen. Oppositionelle Medien wurden von Orbáns Freundeskreis, allen voran dem reichsten Ungarn, Lőrinc Mészáros, gekauft, einem Kindheitsfreund von Orbán. Das aktuellste Beispiel: index.hu. Das ehemalige wichtigste kritische Medium wurde von Orbáns Kreisen übernommen und gründete sich danach unter dem Namen telex.hu neu.

Klar ist: Die Finanzierung von unabhängigen Medien, ist angreifbar. Das zeigt nicht nur das geplante Gesetz in Ungarn – sondern auch die Flut an Klagen in Österreich gegen ZackZack.


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Titelbild: ARMEND NIMANI / AFP / picturedesk.com

Autor

  • Daniel Pilz

    Redakteur bei ZackZack. Studierte Philosophie an der Uni Wien und schreckt auch vor komplexen Themen nicht zurück.

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