Freitag, Juni 20, 2025

AfD-Willkommenskultur bei Messerangriffen

Die Reaktionen und Pressestimmen zu den sogenannten Messerattacken am 22. Januar 2025 in Aschaffenburg und am 24. Mai 2025 in Hamburg zeigen deutlich: Beinharte Parteipolitik kann aus Pietät nicht von Eigennutz und brutaler Ausschlachtung jedes Verbrechens absehen. Im Gegenteil: Sie redet auch angesichts schrecklicher Vorfälle nur von sich.

Nach dem Messerangriff in Aschaffenburg am 22. Januar 2025 sagte Friedrich Merz laut Tagesschau.de:

„Das Maß ist endgültig voll.“ Abschiebungen und Rückführungen müssten “täglich stattfinden” und die Zahl müsse endlich größer werden. „Wir stehen vor dem Scherbenhaufen einer in Deutschland seit zehn Jahren fehlgeleiteten Asyl- und Einwanderungspolitik.“

Kollektive Schuld aller Eingewanderten also? Nach dem Messerangriff im Hamburg am 24. Mai 205 sagte Merz laut Nachrichtenmagazin Stern:

Auf der Plattform X schrieb Merz: „Die Nachrichten aus Hamburg sind bestürzend. Meine Gedanken sind bei den Opfern und ihren Angehörigen. Mein Dank geht an alle Einsatzkräfte vor Ort für ihre schnelle Hilfe.“

Das volle Maß

Ob das Maß voll ist oder nicht, scheint von der Herkunft abzuhängen. Der mutmaßliche Täter des Messerangriffs von Aschaffenburg ist ein zur Tatzeit achtundzwanzigjähriger Afghane. Er war mehrmals in stationärer Behandlung in der Psychiatrie. Über die Täterin in Hamburg berichtet der NDR:

Die Frau ist laut Polizei 39 Jahre alt, besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit und ist ohne festen Wohnsitz. Nach NDR Informationen war die Frau erst einen Tag vor dem Messerangriff am Hauptbahnhof aus der geschlossenen Psychiatrie der Geestland-Klinik bei Bremerhaven entlassen worden.

Stehen wir also vor dem Scherbenhaufen einer seit zehn Jahren fehlgeleiteten Gesundheitspolitik? Die fehlgeleitete Einwanderungspolitik hat in diesem Fall aber schlimmeres verhindert. Das Hamburger Journal des NDR berichtet:

Zwei Passanten konnten nach Polizei-Angaben durch ihr schnelles Eingreifen den Angriff der Frau stoppen. Laut Hamburg Journal handelt es sich bei den Passanten um einen Mann aus Tschetschenien und einen jungen Syrer.

Zweierlei Maß

Das Maß ist deshalb voll, weil mit zweierlei Maß gemessen wird. Nicht nur gemessen, sondern auch berichtet, wahlgeworben, Propaganda betrieben und gehetzt wird. Das Unerträgliche an unserer Gesellschaft ist die Benutzung und Vernutzung von Herkunft, Religion und Geschlecht – immer nur dann, wenn man es so haben will. Was sich nicht erst seit dem gestrigen Messerattentat disqualifiziert hat, ist die hetzerische und verhetzende Rhetorik, die von Rechtsextremen begonnen wurde, sich aber längst in den konservativen Parteien und zum Teil auch in der Sozialdemokratie breit gemacht hat.

Nach Aschaffenburg diagnostizierte Andreas Roßkopf laut Bericht des Tagesspiegel Behördenversagen:

Andreas Roßkopf, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) für die Bundespolizei, sagt, der Fall habe Behördenversagen und fehlende Möglichkeiten offenbart. Aus seiner Sicht „arbeiten zu viele Behörden nebeneinander und nicht miteinander“.

Nach Hamburg sagt derselbe Mann laut Frankfurter Rundschau:

Nach dem Messerangriff fordert der Vorsitzende der Bundespolizei in der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Andreas Roßkopf, ein Umdenken. „Solche Attentate sind leider nie hundertprozentig zu verhindern“, sagte er nach einem Bericht des Hamburger Abendblatts.

Radikale Kehrtwende

Man kann, soll und darf zwei Verbrechen nicht miteinander vergleichen und gegeneinander aufrechnen. Man muss aber feststellen, dass die politischen Reaktionen sehr schnell mit Verallgemeinerungen bis hin zum Generalverdacht gegen große Gruppen anrücken, wenn die oder der Tatverdächtige kein Deutscher ist, während sie in anderen Fällen – dort nämlich, wo Täterin oder Täter aus Deutschland stammen – plötzlich zur Differenzierung und Individualisierung bereit sind.

Nach Hamburg schreibt die NZZ:

Nach Messerangriff am Hamburger Hauptbahnhof: Tatverdächtige war der Polizei bekannt.

Nach Aschaffenburg schreibt Marc Felix Serrao in der NZZ:

Ein Afghane, ein Messer, zwei Tote: Die deutsche Migrationspolitik hat das Land verwahrlost und brutalisiert. Deutschland braucht eine radikale Kehrtwende.

Tatsächlich ist eine radikale Kehrtwende nötig. Und zwar hin zu einer vorurteilsfreien Betrachtung von Sachbeständen, anstatt ihrer permanenten Instrumentalisierung für Fremdenfeindlichkeit, Demokratiefeindlichkeit und Verhetzung.

Die parteipolitische Nutzung des Verbrechens

Nach Aschaffenburg berichtete die ZEIT:

Der „Messer-Terror von Aschaffenburg“ müsse Konsequenzen haben, schrieb Weidel auf der Plattform X. „Der Bundestag muss nächste Woche über die Schließung der Grenzen und die Zurückweisung Illegaler abstimmen.“ Weiter schrieb sie: „CDU & CSU müssen Farbe bekennen! Es darf keine Brandmauertoten mehr geben!“ Die CDU müsse „Mehrheiten im Bundestag nutzen“, schrieb die Kanzlerkandidatin der AfD. Mit 274 von 733 Abgeordneten hätten die Fraktionen der Union und der AfD im derzeitigen Parlament jedoch keine Mehrheit.

Eine anlassbezogene Motivierung einer rechten Koalition also. Man wird das Gefühl nicht los, dass schreckliche Taten weidlich und weidelich benutzt und ausgeschlachtet werden.

Das Hamburger Messerattentat kann die AfD für diese Zwecke leider nicht nutzen. Aber anstatt zu schweigen, benutzt sie es sofort für parteipolitische Taktik. Auf der Webseite der AfD-Fraktion Hamburg liest man die Reaktion des Fraktionschefs und innenpolitischen Sprechers Dirk Nockemann:

„SPD-Innensenator ist mit seinen großspurigen Maßnahmen kläglich gescheitert. Wer glaubt, Messerverbotszonen würden Messerattentäter abschrecken, ist gefährlich, dumm und naiv. Wer – wie Grote – dann auch noch glaubt, die aberwitzigen Maßnahmen würden etwas bewirken, der handelt verantwortungslos. Die Erosion der inneren Sicherheit trägt eine rot-grüne Handschrift. Die AfD weist seit Jahren auf die vielen Missstände hin. Bis auf Symptombekämpfung geschieht nichts. Meine Gedanken sind bei den Verletzten und ihren Angehörigen.“

Eigentlich sagt uns Herr Nockemann etwas anderes, nämlich: „Ich danke für dieses Messerattentat. Meine Gedanken sind bei mir selbst.“


Titelbild: BARBARA GINDL / APA / picturedesk.com

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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