Der Freispruch für Sebastian Kurz ist ein Einzelfall. Aber zu viele Einzelfälle zeigen derzeit in eine Richtung.
„Fünf Jahre nach der Aussage im U-Ausschuss feiert Sebastian Kurz einen symbolischen Sieg.“ So beginnt der Kommentar einer Krone-Journalistin, die schon vieles für die Familie getan hat. Wahrscheinlich weiß Ida Metzger nicht, wie recht sie diesmal hat.
Es ist ein Zwischensieg, in dem wieder einmal eine Seite gewonnen hat. Seit mehr als zehn Jahren stehen sich zwei Gruppen in der Strafjustiz als Feinde gegenüber. Die einen haben 2023 mit Christian Pilnacek ihren Anführer verloren. An ihrem Hauptsitz, der Oberstaatsanwaltschaft Wien, verteidigen sie nach wie vor die Familie. Ihre Bastionen stehen in Wien, St. Pölten, Krems, Eisenstadt, Linz und Innsbruck.
Kampf ums Überleben
Die anderen scharen sich um die WKStA und bekämpfen Korruption, Parteibuchwirtschaft, Machtmissbrauch und damit das Geschäftsmodell der türkisen Familie. Personell ausgehungert, politisch unter Druck und lange von Justizministerinnen im Stich gelassen kämpfen sie immer öfter ums Überleben.
Die Spuren des erbitterten Kampfs führen mitten durch große Verfahren von Benko und Eurofighter bis Pilnacek und Kurz. Bei Eurofighter brach alles offen aus. Die WKStA bewies mit einer geheimen Tonaufnahme, wie Pilnacek und seine Gefolgschaft im wichtigsten Korruptionsverfahren der letzten Jahrzehnte „daschlogn“ wollten. Im Gegenangriff ging es bereits um die Köpfe der wichtigsten Ermittler der WKStA.
Von Wien bis St. Pölten stand die Kriminalpolizei dabei so fest im Lager der Familie, dass die WKStA-Staatsanwälte das Bundeskriminalamt aus den Ermittlungen entfernen mussten, um noch ernsthaft Spuren und Täter verfolgen zu können.
Fragezeichen „Richter“
Die großen Fragezeichen bei diesen Verfahren sind die Richter, die über den Ausgang der einzelnen Kämpfe entscheiden. Das war auch beim Kurz-Verfahren so.
Michael Radasztics hat als Richter der ersten Instanz seinen Schuldspruch umfassend und sachkundig begründet. In der Berufung hat der Senat seinen Weg gefunden. Stück für Stück wurde alles reduziert, bis nur noch ein einziger, isolierter Satz übrigblieb. Der wurde dann von allen Seiten betrachtet und für zu leicht befunden, weil der Vorsitzende im U-Ausschuss direkt nach der entscheidenden Frage und der ersten Antwort von Kurz abrupt unterbrochen hatte. Der Name des Kurz-Retters war Wolfgang Sobotka.
Kleinerer Stein weg
Trotzdem haben die Begründungen von Richter Werner Röggla etwas für sich. Die abgeschnittene Befragung erlaubt eine Auslegung, die für Kurz günstig ist. Die schriftliche Begründung des Urteils wird zeigen, wie gut es begründet ist. Kurz ist jedenfalls den kleineren Stein um seinen Hals wieder los.
Im Fall „Christian Noe“ scheint alles weit klarer. Der Richter, der ZackZack im ersten Pilnacek-Prozess verurteilte, ließ entscheidende Beweise und wichtige Zeugen nicht zu. Von Anfang an hatte nicht nur ich den Eindruck, dass Richter Noe voreingenommen und befangen war.
Wir sind in Berufung gegangen. Ich bin gespannt, ob das Oberlandesgericht ähnlich wie im Fall „Kurz“ alles tun wird, um entlastende Beweise zu finden.
Schlüsselfall „Pilnacek“
Von OStA bis WKStA wissen alle, dass mit dem Fall „Pilnacek“ viel auf dem Spiel steht. Hier geht es nicht mehr um Details wie eine falsche Zeugenaussage. Es geht ums Ganze in Strafjustiz und Polizei, vor Gericht und im Parlament.
Am Montag, den 2. Juni, beginnt der Prozess, mit dem das Innenministerium mein Pilnacek-Buch verbieten lassen will, um 9.30 Uhr im Saal 303 am Landesgericht für Strafsachen in Wien. Im Herbst startet der Pilnacek-Untersuchungsausschuss mit seinen Befragungen im Parlament.
Alles, was Oberstaatsanwaltschaft Wien und ihre Staatsanwaltschaften, das Innenministerium in Wien und die Kriminalpolizei in St. Pölten jetzt versuchen, kommt dann ans Licht. Alle, die jetzt statt Tatverdächtiger Aufdecker und statt Familienmitgliedern Journalisten verfolgen, müssen das im Herbst unter Wahrheitspflicht öffentlich rechtfertigen.
Einzelfälle
Für die Familie ist das, was jetzt auf den Tisch kommt, nichts als eine Folge von Einzelfällen:
- die Gerichtspräsidentin, die ein Beweismittel vernichtet und nichts zu befürchten hat;
- der Ex-Kanzler, der freigesprochen wird;
- die Journalisten von Kronen Zeitung bis ZackZack, die ohne begründeten Anfangsverdacht als Beschuldigte verfolgt werden;
- die WKStA, die von der OStA die Weisung bekommt, eine Verfahrensbegründung in den Pilnacek-Ermittlungen ins Gegenteil umzuschreiben;
- und jetzt das Innenministerium, das ein Buch, das zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses geführt hat, verbieten lassen will.
Spätestens im Untersuchungsausschuss geht es um den türkisen Faden, der sich durch alle Einzelfälle zieht. Damit stehen die Chancen auf Wahrheitsfindung gut. Am Grundproblem ändert das nichts. Ein zerrissener Rechtsstaat ist ein Rechtsstaat in Gefahr. Wenn sich nicht alle darauf verlassen können, dass Staatsanwälte und Kriminalpolizei nur den Gesetzen und sonst niemandem verpflichtet sind, zerbricht stückweise das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit, so wie mit jedem Fall von Machtmissbrauch, Parteibuchwirtschaft und Korruption ein Stück des Vertrauens in die Demokratie zerbricht.
Anpatzen
Im Umfeld der ÖVP weiß man, wie es weitergeht. „Mit den überbordenden Ermittlungen gegen Kurz hat sich die WKStA zum Instrument der politischen Akteure gemacht, denen es im U-Ausschuss zunehmend nicht um Wahrheitsfindung geht. Vielmehr will man mit Anzeigen den politischen Gegner anpatzen.“ Journalistinnen wie Metzger, die jetzt einen Kurz-Sieg feiern, wollen, dass mit dem Anpatzen rechtzeitig Schluss ist.
Sebastian Kurz weiß, dass seine große Anklage noch bevorsteht, so wie seine Partei weiß, was ihr im Parlament droht. Aber niemand weiß, wie es ausgeht.
Ein Blick nach Ungarn zeigt, wie leicht ein zerrissener Rechtsstaat untergehen kann. Bei uns in Österreich ist es noch nicht ganz so weit. Es lohnt sich, das als Chance zu sehen.