Die Luft wird dünn für Benjamin Netanjahu. Israels Ex-Premier Ehud Olmert spricht sogar schon von einem „Vernichtungskrieg“.
Der israelische Ex-Premier Ehud Olmert hat die Kriegsführung von Netanjahus Regierung als „Vernichtungskrieg“ bezeichnet, es würden vorsätzlich „Kriegsverbrechen“ geschehen. „Vernichtungskrieg“ – das ist ein Begriff, der sich jede Vorsicht der Formulierung spart.
Einen Ex-Ministerpräsidenten kann selbst die Pro-Netanjahu-Propaganda nicht als Antisemiten diffamieren. In der rechten israelischen Presse muss Olmert sich dafür quasi als Hochverräter hinstellen lassen, als ein Mann ohne „Loyalität“, der auch noch mit den „ausländischen Medien“ spreche.
Aber die Mauer der Einschüchterung bricht jetzt sowieso völlig in sich zusammen. Netanjahus PR-Leute in Europa versuchen zwar immer noch, alles Erschrecken über Kriegsverbrechen als antisemitisch zu diffamieren, aber es ist zunehmend lächerlich, hilflos und fällt auf die Urheber zurück.
Selbst die letzten Getreuen fallen ab. „Die Zivilbevölkerung derart in Mitleidenschaft zu nehmen, wie das in den letzten Tagen immer mehr der Fall gewesen ist, lässt sich nicht mehr mit einem Kampf gegen den Terrorismus der Hamas begründen“, sagte jetzt sogar Deutschlands Bundeskanzler Friedrich Merz. Und: „Das, was die israelische Armee jetzt im Gazastreifen macht: Ich verstehe offen gestanden nicht mehr, mit welchem Ziel.“ Nur zur Erinnerung: Merz hatte vor wenigen Monaten noch gesagt, er würde Netanjahu in Berlin empfangen und den internationalen Haftbefehl gegen den Jerusalemer Premier nicht vollziehen lassen. Was für sehr viel Aufsehen sorgte, da er damit sagte, Deutschland würde internationales Recht brechen. Und außerdem unterstellte er, ein Kanzler könne die Justiz steuern, was in Sachen Gewaltenteilung eine sehr verwegene Aussage ist.
Scharfmacher und Hetzer – seit über 30 Jahren
Letztendlich ist Benjamin Netanjahu der größte Feind Israels und die größte Bedrohung der Sicherheit des Landes, und das nicht erst seit gestern oder ein paar Jahren. Selbst Zeitzeugen wie ich vergessen die Dinge ja manchmal und man muss sie sich in Erinnerung rufen. Schon in den frühen neunziger Jahren hetzte Netanjahu gewissenlos gegen den Friedenskurs und den damaligen Premier Yizhak Rabin. So wüst, so lange, bis ein rechtsradikaler Irrer den Regierungschef erschoss.
Es war glaube ich das letzte Mal, dass ich weinend vor dem TV-Gerät saß.
Den Abzug der Pistole drückte ein rechter Wirrkopf, aber das Klima, das ihn motivierte, schufen Netanjahu und seine Leute.
Das monströse Geschehen im Gazastreifen ist längst nicht mehr eine militärische Selbstverteidigung gegen Terror, die irgendwie aus dem Ruder lief. Gewiss, dieser Konflikt hat auch eine Dimension des Tragischen im ursprünglichen Sinn des Wortes, was heißt, dass selbst die Wohlmeinenden aller Seiten auf eine Weise „recht haben“, die dann aber keine Kompromisse ermöglicht, was heißt, dass sie aus nachvollziehbaren Motivationen Handlungen setzen, die in Gräueltaten enden. Tragische Konstellationen können sogar ohne Übeltäter entstehen und in Lagen enden, in denen es beinahe keine Lösung mehr gibt. Im Theater ist das seit jeher ein guter Stoff. In der Wirklichkeit ist es seit jeher das, was die Massengräber füllt.
Wir haben die Fiktion einer Weltgemeinschaft, und diese Weltgemeinschaft hat die Pflicht, das Grauen zu stoppen. Das klingt jetzt naiv und ist es in gewisser Weise auch, doch andererseits ist es auch geltendes Völkerrecht. Die Welt mag schlecht und unvollkommen sein und Gründe genug zur Empörung liefern – immer schon –, aber es gibt auch Fortschritte, halbe Fortschritte, Fortschritte in Trippelschritten. Das Kriegsvölkerrecht hat nicht das Grauen des Krieges beendet, aber es schwebt wie ein Damoklesschwert über Leuten, die Kriegsverbrechen begehen wollen. Das ist natürlich ein Fortschritt. Die Verurteilung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist ein Fortschritt. Dass Karadzic und Milosevic nicht ruhig schlafen konnten, ist ein Fortschritt. Dass sich ein Putin vielleicht gerade im Augenblick noch sicher wähnt, aber nie ganz fix darauf vertrauen kann, wo er seinen Lebensabend verbringen wird (Kreml? Den Haag?) ist ein Fortschritt.
Die „Verantwortung zu beschützen“
Seit Jahrzehnten gibt es Fortschritte im Völkerrecht. Was einmal als Standard erreicht wurde, bleibt als Präzedenzfall im juridischen Kanon, auch wenn es Rückschläge gibt, auch wenn, wie in diesen Tagen, in vielen Regionen der Welt Kriegsverbrechen ungesühnt bleiben. Wir sollten nicht nur auf die Rückschläge starren, sondern auch auf die Fortschritte.
Ein kleiner, aber wesentlicher Mosaikstein des völkerrechtlichen Fortschrittes ist das Prinzip der „Responsibilty to protect“, das einerseits Regierungen verpflichtet, Bevölkerungen in ihrem Machtbereich vor Kriegsverbrechen, ethnischer Säuberung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu beschützen. Und im Grunde – theoretisch – verpflichtet es auch die Weltgemeinschaft, zu intervenieren, wenn eine Regierung dieser Verpflichtung nicht nachkommt: „Verpflichtung zum Schutz“, es ist ein pathetisches Konzept. Wir wissen, dass ihm in der Realpolitik Grenzen gesetzt sind. Aber es ist ein völkerrechtliches Prinzip. Das sollte weder in Israel noch anderswo ignoriert werden.
Titelbild: Miriam Moné