Die Entscheidung zwischen linken und liberalen Parteien und rechten, autoritären Parteien bei den Präsidentenwahlen in Polen fiel sehr knapp aus. Mit 50,86 hat sich der rechtskonservative Karol Nawrocki am Sonntag das Amt des Präsidenten gesichert. Er scheint nur ein Stellvertreter zu sein.
Die ersten Prognosen am Wahlabend in Polen waren falsch. Über den Ausgang der Präsidentschaftswahlen meldet die ZEIT heute:
Der rechtsnationale Politiker Karol Nawrocki hat die Stichwahl um das Amt des polnischen Präsidenten gewonnen. Er erreichte am Sonntag 50,89 Prozent der Stimmen, wie die Wahlkommission des Landes mitteilte. Sein liberaler Kontrahent, der Warschauer Bürgermeister Rafał Trzaskowski von der Regierungspartei KO, erreichte demnach 49,11 Prozent. Zuvor hatten die polnischen Zeitungen „Rzeczpospolita“ und „Onet“ über die Zahlen berichtet. Nawrockis Vorsprung betrug demnach nur etwa 300.000 Stimmen.
Keine Rede von Parteilosigkeit
Ob es hier vordergründig oder tatsächlich um ein politisches Gegengewicht im Land geht, und ob Nawrockis Kontrahent Trzaskowski vor allem der konservativen Landbevölkerung Polens „zu links“ war, ist Gegenstand von Spekulationen. Klar hingegen ist, dass es mit der behaupteten Parteilosigkeit Nawrockis nicht weit her ist. Das sieht man an der sofortigen innenpolitischen Instrumentalisierung seines Wahlerfolgs. Die ZEIT dazu:
Nawrocki ist offiziell parteilos, trat aber als Kandidat der rechtskonservativen Partei PiS an, Polens größter Oppositionspartei. „Wir werden siegen und Polen retten. Wir werden nicht zulassen, dass Donald Tusks Macht sich festigt“, sagte Nawrocki nach Bekanntgabe erster Prognosen.
Viktoria Großmann berichtet für die Süddeutsche Zeitung aus Warschau und ordnet den Wahlgewinner im nationalen und europäischen Kontext folgendermaßen ein:
Der 42-jährige Historiker Nawrocki leitet bislang das von PiS geschichtspolitisch vereinnahmte Institut für Nationales Gedenken. Sein neues Amt wird er im August antreten. Den Präsidenten stehen maximal zwei Amtszeiten von jeweils fünf Jahren zu. Nawrocki hat einen EU-feindlichen Wahlkampf geführt, lehnt gemeinsame Projekte der EU-Staaten als Einmischung ab. Hilfe für die Ukraine macht er von deren Dankbarkeit abhängig.
Ein Held der rechten Szene
Heißt es nicht immer, Dankbarkeit sei keine politische Kategorie? Es ist ein knapper Wahlerfolg, der wieder einmal zeigt, dass Rowdytum, Schläger-Mentalität und die Wiederbelebung des faschistischen Schönredens von Gewalt als „ehrenvoll“ und „gesund“ Hochkonjunktur hat. Nawrocki aber ist kein Schreibtischtäter und kein Bierzeltredner, wie viele Rechtsextreme Europas – er ist in der rechten Szene unterwegs. Viktoria Großmann weiter:
Nawrocki hat also erfolgreich die Wählerschaft verjüngt. Alle Skandale, die über ihn auch in den zwei Wochen vor der Stichwahl noch bekannt wurden, schreckten diese Wähler nicht ab – zogen sie wohl im Gegenteil sogar an. Nawrocki selbst hatte nicht ohne Stolz vor laufender Kamera seine Hooligan-Vergangenheit eingeräumt. Von „ehrenvollen Kämpfen“ und „gesunder sportlicher Betätigung“ gesprochen. Auch zu Bekanntschaften mit Neonazis steht er. Für einen führenden Kopf der Szene hatte Nawrocki vor Jahren gebürgt, nachdem dieser wegen einer Hooligan-Schlägerei in Dänemark festgenommen worden war. Das würde er für jeden polnischen Staatsbürger tun, der von ausländischer Polizei festgehalten werde, hatte Nawrocki verkündet.
Umso beunruhigender, als der polnische Präsident mit deutlich mehr Macht und Befugnissen ausgestattet ist, als etwa der österreichische oder deutsche Bundespräsident. Die TAZ dazu:
Der Präsident hat in Polen mehr Befugnisse als der Bundespräsident in Deutschland: Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, bestimmt die Außenpolitik mit und hat das Recht, Gesetze einzubringen oder sein Veto gegen sie einzulegen.
Noch gibt es in den deutschsprachigen Tageszeitungen kaum Analysen. Die meisten bringen Agenturmeldungen. Man sieht, wie fern Polen uns eigentlich ist und wie wenig die EU-Staaten übereinander wissen. Das sollte zu denken geben.
Der Mann dahinter: Jarosław Kaczyński
Wahrscheinlich, so meinen vielen Insider, hätte die PiS mit einem erfahreneren Kandidaten mit viel größerer Mehrheit gewonnen. Denn der gestern knapp gewählte Nawrocki ist bisher abseits seiner selbstbehaupteten Erfolge im „edlen, maskulinen Nahkampf“ nicht durch bedeutendes politisches Handeln aufgefallen. Stefan Locke für die Frankfurter Allgemeine:
Zwar hat sich der politisch völlig unerfahrene Nawrocki im Wahlkampf in seinem Auftreten gesteigert, aber ob er dem Präsidentenamt tatsächlich gewachsen ist, wird er nun beweisen müssen. Die Führungsrollen, die er bisher bekleidete, lassen daran zweifeln: Er war von der PiS eingesetzter Direktor des Museums des Zweiten Weltkriegs in Danzig (Gdańsk) und ist aktuell Leiter des Instituts für Nationales Gedenken, das der einstigen Stasiunterlagenbehörde in Deutschland ähnelt. Dort soll er mit aufwändigen Reisen, der kostenlosen Nutzung der Dienstwohnung und dem teuren Vernichten von Katalogen, die noch das Editorial seines Vorgängers enthielten, vor allem das eigene Wohl im Blick gehabt haben.
Diese Schwäche des siegreichen Kandidaten zeigt laut politischer Beobachter Polens vor allem die Stärke eines Mannes, der die gegenwärtige Regierung so schnell wie möglich aus dem Amt befördern möchte: Jarosław Kaczyński. Stefan Locke weiter:
Für Polen bedeutet diese Wahl zunächst jedoch weiter eine gegenseitige Blockade der Macht, die Nawrocki als Werkzeug seines Erfinders Kaczyński noch skrupelloser einsetzen dürfte als sein Vorgänger Andrzej Duda. Politische Beobachter sprachen bereits davon, dass man sich nach Duda noch zurücksehnen werde, sollte Nawrocki Präsident werden. Die Spaltung des Landes wird mit ihm im Amt nicht überwunden, sondern noch tiefer werden, was die politischen Ränder stärken dürfte.
Gewalt gegen Gewaltenteilung
Man erwartet also vom neuen Präsident nicht mehr, als dass er ein Arm jener Partei wird, der er sein Amt zu verdanken hat: der PiS. Und die PiS hat, wie alle Rechtsparteien Europas, klare Vorstellungen von der Gängelung der Justiz und dem Ende der Medienfreiheit. Locke fasst es in der FAZ so zusammen:
Abgesehen davon steht die PiS den autoritären gesellschaftspolitischen Vorstellungen Wladimir Putins, aber auch Viktor Orbans oder Marine Le Pens nahe. Wie ihnen sind auch Karol Nawrocki eine offene Gesellschaft, eine unabhängige Justiz und freie Medien ein Dorn im Auge.
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