Freitag, Juni 20, 2025

Schein-Liberale gegen die Demokratie

Das skurrile Bündnis der Neoliberalen mit den heutigen Faschisten offenbart, um was es den radikalen Liberalen wirklich geht.

Eine der augenfälligsten Verrücktheiten unserer Zeit ist die Allianz von rechten Extremisten und autoritären Libertären, also jenen Hardcore-(Schein-)Liberalen, die angeblich die individuellen Freiheitsrechte besonders hochhalten.

Jedenfalls scheint diese Allianz auf den ersten Blick verrückt. Donald Trumps faschistische Horden und die Ideologen um J. D. Vance oder Peter Thiel – wie passt das zusammen? Oder, um ein paar simplere Geister, nämlich die österreichischen, als Beispiel zu bringen: der FPÖ-Mainstream und ewiggestrige, neoliberale Ultrafanatiker wie etwa Barbara Kolm und andere. Das führt zu skurrilen Phänomenen, wie zuletzt in der Parlamentsdebatte über die Budgetrede. Da wurde von der FPÖ wortreich angeprangert, dass die Pensionen gekürzt würden (womit gemeint war, dass die Sozialversicherungsbeiträge für Pensionisten etwas steigen), und von den nächsten FPÖ-Rednern wurde dann ebenso wortreich angeprangert, dass die Pensionen nicht ausreichend gekürzt werden.

Die einen sehen sich als „soziale Patrioten“ – die anderen wollen alle Sozialsysteme zertrümmern. Das wirrköpfige Bündnis ist aber nicht die einzige Skurrilität.

Irrlehre am Müllhaufen der Geschichte

Es gibt, wenn man es genau betrachtet, noch eine weitere Absurdität: der neoliberale Zeitgeist seit den neunziger Jahren propagierte mehr Markt, mehr Deregulierung, wollte Gewerkschaften schwächen und den Sozialstaat abbauen und versprach dafür wachsenden Wohlstand und Prosperität. Doch die Irrlehre führte zu Stagnation, zu immer mehr Druck auf Normalverdiener und Durchschnittshaushalte, zu immer mehr Krisen und sogar zu einem Weltfinanzkollaps, der in letzter Sekunde nur durch die Regierungen verhindert werden konnte. Damit hat dieser Zeitgeist zum Aufstieg des Rechtsextremismus viel beigetragen, aber statt als fatale Irrlehre am Müllhaufen der Geschichte zu landen, hat er sich in ein Bündnis mit diesem Rechtsextremismus geflüchtet, den er groß gemacht hat.

Es ist nicht überraschend, dass die Rechtsregierungen, dort wo sie an die Macht kommen, die Gewerkschaften angreifen, ja eigentlich alle Netzwerke, Vereine, Organisationen, die sich für soziale Belange einsetzen. In Finnland gibt es beispiellose Angriffe auf die Gewerkschaften und das Streikrecht. Am ganzen amerikanischen Kontinent sind Arbeitsrechte im „freien Fall“ (The Guardian), durch Donald Trump und seine Bande im Norden, durch Figuren wie Javier Milei im Süden. In Ungarn wurde ein von Kritikern „Sklavengesetz“ genanntes Reglement verabschiedet, wonach 400 Überstunden pro Jahr befohlen werden können, aber erst drei Jahre nach Ableistung bezahlt werden müssen – wenn überhaupt.

„Freiheit und Demokratie unvereinbar“

Die autoritären Libertären sind die „radikalsten Ausprägungen des Neoliberalismus“, wie Quinn Slobodian in „Kapitalismus ohne Demokratie“ schreibt. Deren grundlegende „Philosophie“ ist ganz einfach: Freiheit ist vor allem Wirtschaftsfreiheit. Demokratie neige letztlich dazu, die Wirtschaftsfreiheit einzuschränken, weil in der Demokratie ja auch die Masse mitreden darf, die womöglich für Sozialprogramme stimmt. Schlimmer noch: In der Demokratie dürfen sich sogar Sozialisten und Kommunisten engagieren und sitzen manchmal auch in Parlamenten, statt in Gefängnissen, wo sie in den Augen der radikalen Rechten ja hingehören.

Deswegen war schon Milton Friedman ein Gegner der Demokratie, und auch Friedrich August Hayek. Deswegen hat auch Peter Thiel, der Ideologe des Trump-Regimes und Buddy von Sebastian Kurz bereits 2009 offenherzig erklärt: „Ich glaube nicht mehr daran, dass Freiheit und Demokratie vereinbar sind.“ Deswegen haben Leute wie Thiel und Co. eine klare Strategie: der Staat, der irgendwie in die Wohlfahrt eingreift, Sozialprogramme erlässt und das Recht des Stärkeren durch Regeln beschränkt muss entweder übernommen oder zerstört werden.

In den USA haben sie den Staat übernommen, in Argentinien ebenso, dabei zertrümmern sie Institutionen und etablieren in den verbliebenen Institutionen ein autoritäres Regime.

Viele Ideen der Libertären sind so kontra-intuitiv, dass eine vernünftige Person sie kaum voraussehen kann, bemerkt Slobodian. Für jede normale Person wäre etwa der Zerfall des Staatswesens und der Zusammenbruch jeder Ordnung etwas, was man nicht unbedingt super toll findet. Selbst wenn man an dem konkreten Staat und der konkreten Regierung, von der er gerade geführt hat, viel zu kritisieren hat.

Lust an der Zerstörung

Der Zusammenbruch der Ordnung führt bekanntlich zu Chaos, Anarchie, marodierenden Banden und Gewalt. Er hat zur Folge, dass der Stärkere oder vielmehr die am besten bewaffnete Mafiabande diktiert. Die meisten Leute fänden das ja nicht extrem prickelnd. Libertäre jubeln aber darüber, weil der starke Staat, den sie hassen, dann weg ist. Und weil die Gesetze weg sind, die etwa Gewerkschaftsrechte festschreiben. Weil es keine Arbeitsgerichte mehr gibt, bei denen man Mindestlöhne oder sogar kollektivvertragliche Bezahlung einklagen kann (also Kollektivverträge, die es dann auch nicht mehr gibt).

Steuern würde es dann auch keine mehr geben, denn Steuern sind so etwas wie Raub, wie schon Robert Nozick proklamierte, der berühmte Vordenker der Libertären. Sie bedeuten nichts anderes, als dass man eine bestimmte Zahl an Stunden nicht für sich, sondern für jemand anderen arbeitet, also „Zwangsarbeit“. Der Staat ist für die libertären Wirrköpfe schlicht und einfach eine kriminelle Organisation, die zerstört werden muss. Deswegen auch ihr ganzer Habitus des Zerstörerischen, die Lust am Kaputtmachen.

Früher haben die Libertären aber noch philosophische Bücher geschrieben, und versucht, mit ausgefeilten Argumenten zu überzeugen. „Anarchy, State and Utopia“, das Buch des erwähnten Robert Nozick, war ein bemerkenswertes Dokument philosophischer Ideengeschichte. Aber heutige libertäre Ideologen haben – vielleicht eher intuitiv als rational – eine andere Strategie gewählt. Offensichtlich empfinden sie, dass es hieße, nach den Regeln des Feindes zu spielen, wenn man sich auf vernünftige Debatten einlässt und Kopfarbeit dafür aufwendet, schlaue Argumente zu finden.

Wie den Staat wollen sie auch den rationalen Diskurs zerstören, weshalb sie eher brüllen, auf Provokation setzen und mit Kettensägen herumfuchteln, kurzum: eben auch jedes Gespräch zerstören wollen. Letztendlich ist das aus ihrer Sicht sogar folgerichtig. Die Vorstellung des demokratischen Diskurses ist letztendlich getragen von der Prämisse, dass jeder gehört werden soll, damit sich die besten Ideen im Wettstreit der Argumente durchsetzen. Schon diese Prämisse ist aus Sicht der Libertären vergiftet vom Geist der Demokratie und der Idee der Gleichheit und Gleichwertigkeit, die sie so hassen.  


Titelbild: Miriam Moné

Autor

  • Robert Misik

    Robert Misik ist einer der schärfsten Beobachter einer Politik, die nach links schimpft und nach rechts abrutscht.

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