Kommentar
Türkis und Grün beschlossen am Mittwoch das neoliberalste Universitätsgesetz der Geschichte. Von der ÖVP war nichts anderes zu erwarten, für die Grünen ist es ein Sündenfall. Kommentar von
Thomas Walach
Wien, 25. März 2021 | “Die Leute sollen sich frei auf der Uni bewegen und in Sachen reinschnuppern können.” Das sagte Sigi Maurer, damals noch Studentin 2012 zum “Standard”. Die Bezeichnung “Bummelstudentin” verstehe sie als Auszeichnung, und: “Die Politik sollte froh sein über Leute, die nebenbei studieren.” Gerade zu Studienbeginn müsse man “den Leuten Zeit geben.”
Alles richtig. Doch am Mittwoch beschloss Maurer, nunmehr Klubchefin der Grünen im Nationalrat, gemeinsam mit den Abgeordneten von ÖVP und Grünen, das genaue Gegenteil von dem, was sie selbst als Studentin noch für sich in Anspruch genommen hatte.
Erfolgspflicht
Für Studenten wird es nun Pflicht, in den ersten zwei Studienjahren Lehrveranstlatungen im Umfang von 400 Arbeitsstunden positiv zu absolvieren. Wer das nicht schafft, fliegt von der Uni.
Sind 400 Stunden in zwei Jahren bewältigbar? Ja, selbst in schwierigen Fächern ist das machbar, in den meisten kein Problem – für Vollzeitstudenten. Die sind aber in der Minderheit. 80 Prozent der rund 200.000 Studenten in Österreich sind berufstätig. 60 Prozent sagen, dass ihnen das Geld nicht reicht.
Längst nicht alle studieren, weil sie ein Studium abschließen möchten. Viele wollen sich neben oder nach ihrem Berufsalltag bilden. Und warum auch nicht? Wir alle profitieren doch vom lebenslangen Lernen, heißt es. Und bezahlen müssen die Menschen das Studium ohnehin selbst – mit ihren Steuergeldern.
Das Studium soll effizienter werden, sagt die Regierung. Die neue Erfolgspflicht soll das Studium “verbindlicher” machen, sagt Wissenschaftsminister Heinz Faßmann. Solche Pläne gab es auch schon, als der noch Vizerektor der Universität Wien war. Da sollten Studierende eine “Selbstverpflichtung” unterschreiben, brav und zügig zu studieren. Das Projekt wurde zur Lachnummer. In vielen Lehrveranstaltungen der Studieneingangs- und Orientierungsphase unterschrieben nur ein oder zwei von hunderten Studenten. Dafür sorgte das Ansinnen des Rektorats für einige Erheiterung.
Klassenkampf an den Unis
Nun kommt das böse Erwachen. Jetzt wird die Verpflichtung Gesetz. Von der ÖVP war nichts anders zu erwarten, der Schritt entspricht ihren hochschulpolitischen Vorstellungen. Um Sparen geht es bei der ganzen Sache nicht. Ein Student, der keine Lehrveranstaltungen belegt, kostet nämlich nichts. Die Universitäten bekommen ihr Budget nicht nach eingeschriebenen, sondern prüfungsaktiven Studenten. Wer keine Prüfungen ablegt, fällt nicht ins Gewicht.
Die ÖVP führt an den Hochschulen Klassenkampf. Wer es sich leisten kann, von den Eltern finanziert hauptberuflich zu studieren, den wird das neue Gesetz nicht stören. Wer sich neben dem Job mühevoll durchs Studium kämpfen muss, hat es nun noch schwerer. Die Universitäten sollen Schulen für Rich Kids werden.
Dass die Grünen – in ihren Reihen Sigi Maurer und Ex-Rektorin Eva Blimlinger – das mit ihren Stimmen ermöglichen, ist die völlige Aufgabe ihrer bildungspolitischen Linie der letzten vier Jahrzehnte. Nach der Abweisung von Flüchtlingen aus Moria ist es der zweite Sündenfall der Partei.
Titelbild: APA Picturedesk