Freitag, April 26, 2024

Hexen, Kaiser und Verbrecher – Ein Wiener Fremdenführer erzählt

Ein Wiener Fremdenführer erzählt

Benjamin Huber ist Fremdenführer in Wien. Er liebt seinen Beruf, weiß wo es das beste Schnitzel gibt, und kann Geschichten über jede Gasse erzählen – die Arbeitsbedingungen in der Branche sind allerdings prekär.

Wien, 25. Februar 2022 | Gut sichtbar leuchten mehrere gelbe Schirme über den grauen Platz vor der Wiener Albertina. Unter einem davon steht Benjamin Huber. Die braunen Haare zu einem Zopf im Nacken gebunden und mit einem Lächeln im Gesicht, wartet er auf Teilnehmer zu seiner Tour, denen er etwas über Verbrechen erzählen wird, die sich vor hunderten Jahren in Wien zugetragen haben.

Vier Leute stehen schon um den 37-Jährigen herum, drei sollten noch kommen. Huber, der seit fünf Jahren als Fremdenführer durch die Straßen von Wien, aber auch Bratislava, das tschechische Brünn, Niederösterreich und das Burgenland zieht, ist einer von rund 1.500 Menschen in Österreich mit diesem Beruf. Für ihn ist die Arbeit „das beste überhaupt“. Er liebt es zu recherchieren, Neues zu lernen und sein umfangreiches Wissen mit anderen zu teilen. Doch die wirtschaftliche Situation für Fremdenführer in Österreich ist prekär, als Freiberufler ist man komplett von der Auftragslage abhängig, gerade Corona hat die Branche sehr hart getroffen. Ein großer Teil des Einkommens fließt in die Selbstversicherung. Jeder muss seine Honorare selbst festlegen und mit Agenturen verhandeln.

Fakten von Fiktion trennen

Während er in ausgeprägtem Hochdeutsch spricht, verschränkt er manchmal die Finger über dem Bauch. Und Huber ist einer, der viel spricht, denn er hat viel zu erzählen. Vom Opernmörder zum Beispiel, der eine Ballettschülerin erstochen hat und schließlich von einer Pensionistin überwältigt wurde. Vom albanischen König, der 50 Attentate überlebt hat, von Spionen im Café Mozart und von der einzigen „Hexe“, die in Wien verbrannt wurde. Man merkt, er mag das Bühnenlicht, die Geschichten erzählt er genau mit dem richtigen Maß an Spannung im Ton.

Er selbst sieht sich weniger als Wissensvermittler, schon eher als Geschichtenerzähler: „Wissen kann man googeln. Meine Aufgabe ist, die Leute neugierig auf dieses Wissen zu machen.“ Dabei kommt ihm seine Erfahrung als Laienschauspieler zugute. „Zu lernen, wie man richtig spricht und erzählt ist eigentlich fast das wichtigste für einen Fremdenführer“, sagt Huber. Die große Kunst dabei: „Fakten nicht mit Fiktion zu vermischen, aber trotzdem das Interesse hochzuhalten.“ Seine Informationen holt er sich aus der Fachliteratur. Und dieses Wissen begleitet ihn auch privat. Wenn er durch die Stadt geht, dann sieht er sie mit anderen Augen als noch vor ein paar Jahren: „Viele Ecken habe ich selbst erst durch den Beruf kennengelernt.“

„Folgen Sie dem gelben Schirm!“

Die Tour bewegt sich weiter, weg von der Albertina durch die Innenstadt, hinter Benjamin Hubers gelbem Schirm gehen zwei deutsche Touristen und zwei junge Wienerinnen her. Auch die neugierigen Blicke von Passanten bleiben daran hängen. In der Branche gibt es diverseste Erkennungszeichen, meint er, von selbstgebastelten Blumen, über Lollipop-Schilder bis hin zu bunten Fähnchen. Doch „Folgen Sie dem gelben Schirm!“ ist mehr als nur ein Klischee. „Es ist das Wichtigste, die Gruppe zusammenzuhalten, dafür sind diese Dinge sehr hilfreich“, erzählt Huber, der auch auf Englisch führt und gerade Spanisch lernt – denn das sei momentan gefragt.

Außer dem Schirm hat er nicht viel auf seinen Touren dabei, doch eines muss immer mit: Ein grünes, etwas zerknittertes Papier, das er aus seiner Tasche holt und ihn als offiziellen Fremdenführer ausweist. Denn Fremdenführer ist eine reglementierte Gewerbebezeichnung. Wird man ohne Ausweis kontrolliert oder führt man, ohne die notwendigen Prüfungen gemacht zu haben, kann das kosten. Das kommt immer wieder vor, heißt es vom Verein der geprüften Wiener Fremdenführer, und schadet dem Geschäft.

Klosterkerker und die Konkurrenz

Egal, ob es um die Leberknödelsuppe von Kaiser Franz Joseph II. geht oder um Kerker unter dem Kapuzinerkloster, Benjamin Huber kann man alles fragen. Er kennt sich mit Geschichte, Kunst, Geografie und Naturwissenschaften aus, seine Programme stellt er selbst zusammen. In den Beruf ist er über Umwege geraten. Eigentlich hat er technische Chemie und Biotechnologie studiert. Weil er keine freie Stelle fand, aber so vielseitig interessiert war, schlug ihm sein Bruder vor, doch die Ausbildung zum Fremdenführer zu machen. Gesagt, getan.

Obwohl es nur zwischen 1.500 und 2.000 Fremdenführer in Österreich gibt (die meisten davon sind Frauen), ist der Konkurrenzdruck hoch, erzählt Huber. Nach seiner Ausbildung habe er ein ganzes Jahr lang damit verbracht, in der Branche Fuß zu fassen. Die meisten Kollegen und Kolleginnen seien sehr in Ordnung, sagt er, Rivalitäten um bestimmte „Territorien“ in der Stadt gäbe es bei manchen aber. Es sei ihm auch einmal passiert, dass ihn ein anderer Fremdenführer mit einem Zungenschnalzen verscheuchen wollte.

Free Pay-Touren ohne Einbußen

Zu Konflikten zwischen älteren, etablierten Fremdenführern und jüngeren sei es vor ein paar Jahren gekommen, erzählt er. Der Grund: Die Einführung von Free Pay-Touren, bei denen die Teilnehmenden am Ende so viel zahlen, wie sie möchten. „Das war zwar vor meiner Zeit, aber die Älteren wollten sich anscheinend nicht ihre Preise ruinieren lassen. Das kann ich verstehen.“ Er selbst habe aber gute Erfahrungen mit solchen Touren gemacht.

Regina Engelmann, Vizepräsidentin des Vereins der geprüften Wiener Fremdenführer, sagt, man habe durch Free Pay-Touren keine Veränderung bei den Einkünften festgestellt. Innerhalb der Kollegenschaft sei das eher eine ideelle Diskussion. Manche wollen sich nicht wie Bettler fühlen, die um Almosen bitten, andere stehen dem Modell offen gegenüber.

Branchenvertreterin: Staatliche Hilfen in Pandemie zu niedrig

Astrid Legner, Obfrau der Bundessparte Tourismus und Freizeitwirtschaft der WKO sagt, die österreichischen Fremdenführer seien eine jener Branchen gewesen, die seit Beginn der Pandemie am stärksten betroffen waren. Gerade Fremdenführer hängen hauptsächlich vom Städtetourismus ab. Mehr als die Hälfte arbeitet in Wien, auch in Salzburg und Innsbruck sind sie gefragt, der Donauraum ist laut Regina Engelmann im Kommen. Durch die fehlenden Touristen und die Veranstaltungsabsagen habe Corona die Branche laut Legner stark getroffen.

Staatliche Hilfen gäbe es, bei den Fremdenführern seien die Ersatzraten aber vergleichsweise niedrig angesetzt und könnten die Ausfälle nicht kompensieren. Dabei seien die „Austriaguides“ ein wichtiges Bindeglied im Tourismus mit „unbezahlbarem Mehrwert“, so Legner. Benjamin Huber hatte Glück. Wie viele andere Fremdenführer hat er noch einen zweiten Beruf. Er ist Nachhilfelehrer für Mathematik, Chemie, Physik, Deutsch und Englisch. Denn die Arbeit als Fremdenführer ist sehr saisonal. Die beste Zeit ist der Frühsommer, da schafft er drei Touren pro Tag, im Winter ist weniger los, die Zeit nutzt er für Recherchen. Als Fremdenführer arbeite er vor allem am Wochenende und an Feiertagen.

(sm)

Titelbild: Stefanie Marek/ZackZack

Stefanie Marek
Stefanie Marek
Redakteurin für Chronik und Leben. Kulturaffin und geschichtenverliebt. Spricht für ZackZack mit spannenden Menschen und berichtet am liebsten aus Gerichtssälen.
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