Dienstag, März 19, 2024

Bild gegen Drosten – Billig-Blatt schießt gegen Star-Virologen

Billig-Blatt schießt gegen Star-Virologen

Heftiger Schlagabtausch zwischen dem deutschen Star-Virologen und dem Billig-Blatt „Bild“. Das Boulevardblatt veröffentlichte Kritik an einer Drosten-Studie zur Frage nach COVID-19 bei Kindern – und ob Schulschließungen notwendig waren. Schon vor Veröffentlichung eskalierte die Lage.

Wien, 26. Mai 2020 | Für Millionen ist der Coronavirus-Podcast von Christan Drosten der Orientierungspunkt in der gegenwärtigen Pandemie. Er war Professor in Bonn und leitet die Berliner Charité. Die Berliner Universitätsmedizin ist zusammen mit dem Robert-Koch-Institut die entscheidende Instanz für die Politik.

Sind Kinder infektiös?

Auf Drosten hören die Menschen, jetzt geriet er aber ins Visier des mächtigen deutschen Springer Verlags und der “Bild”. “Bild”-Redakteure recherchierten auf Plattformen, auf denen Wissenschaftler die unzähligen COVID-19-Studien diskutieren. Dort fanden sie einige Kritikpunkte an einer wichtigen Drosten-Studie – und machten daraus einen Skandal.

Die Studie, veröffentlicht Ende April, geht der Frage nach, ob Kinder infektiös sind und ob Schulschließungen deshalb richtig, gerechtfertigt und notwendig sind. Drosten selbst empfahl Kanzlerin Angelika Merkel am 13. März Schulschließungen – am 6. März war er noch dagegen gewesen.

Das Ergebnis der Studie bestätigt Drostens Empfehlung, jedenfalls wenn man die Studie so liest, wie es Drosten tut. Denn der Star-Virologe kommt zum Schluss: „Kinder können genauso ansteckend sein wie Erwachsene.“

Ein Schluss, der unter Medizinern heftig diskutiert wird, Drosten kassierte dafür ordentlich Kritik. Die “Bild” zitiert nun vier Wissenschaftler, die Drosten widersprechen. Gleichzeitig kritisieren diese vier aber die “Bild”. Das deutsche Boulevardblatt – Chefredakteur Julian Reichelt gilt übrigens als enger Kurz-Freund – arbeite höchst unsauber: Weder wurden Zitate der Wissenschaftler abgesprochen, zudem soll bei Telefonaten Anti-Drosten-Phrasen rausgeholt worden sein.

Drosten ging kurz vor Veröffentlichung in die Offensive und veröffentlichte selbst auf Twitter die Anfrage der “Bild” an ihn. Er „habe Besseres zu tun“, war sein Kommentar dazu.

Der Star-Virologe war auf die Kampagne der Bild offenbar vorbereitet. Nachdem er die Anfrage veröffentlichte, kassierte das Blatt einen heftigen Shitstorm auf Twitter.

Klarstellungen

Einer der zitierten Wissenschaftler ist der Statistiker Jörg Stoye. Er schrieb in seiner Kritik an der Kinder-Studie von Drosten etwa: Die Ergebnisse “scheinen von Entscheidungen der Forscher getrieben zu sein”. Stimmt die Kritik der “Bild” also? Glaubt Stoye, dass Drosten manipulierte, damit die Studie jene Ergebnisse liefert, die Drosten passen?

Im „Spiegel“ widerspricht Stoye dieser Bild-Unterstellung entschieden:

„Ich unterstelle Professor Drosten und seinen Mitautoren keine Intention, schon gar keine bewusste Irreführung. Die Originalstelle bei mir heißt: “My only point is, that the paper’s nonsignificance result seems to be driven by researcher choices.” Gemeint ist: Die Nichtsignifikanz ist das Ergebnis bestimmter, von den Autoren gewählter Tests.“

Auch die anderen drei Wissenschaftler haben sich vom “Bild”-Bericht distanziert. Der Tenor: Die Debatte hätten die Wissenschaftler unter sich zu regeln. Die Presse, noch dazu ein Blatt des Rechtsboulevards, sollen sich da nicht einmischen.

Forschung bei Schulschließung noch immer planlos

Die Frage, ob Kinder so infektiös sind wie Erwachsene, bleibt indes offen. Bisher könnte die Annahme offenbar noch nicht stichhaltig widerlegt werden, gesicherte Beweise fehlen allerdings auch noch. Stoye im „Spiegel“:

„Die für die Studie untersuchten Kinder tragen weniger Viren in sich als Erwachsene. Die Frage ist nun: Ist das nur Zufall? Oder ist es ein Muster? Ich glaube an Letzteres, anders als die Studie. Da sind wir (Stoye und Drosten, Anm.) tatsächlich unterschiedlicher Meinung.“

Die Viruslast bei Kindern ist noch immer ein Rätsel. Ob der Schulschließungen gerechtfertigt waren und aktuelle Maßnahmen – Turnverbot, Maskenpflicht – eine wissenschaftliche Grundlage haben, bleibt offen.

Die von der “Bild” zitierten Wissenschaftler distanzierten sich alle vom “Bild”-Bericht. Stoye gab auch dem “Spiegel” ein Interview. Ja, es gibt Einsprüche – aber sie gingen die Presse nichts an. Allerdings ist COVID-19 eine Sache von allgemeinem Interesse, die nicht nur die medizinische Community betrifft.

Darüber diskutierte gestern ohnehin niemand mehr – das Web empörte sich nur noch über den Rechtsboulevard.

(ot)

 

Titelbild: APA Picturedesk

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