Sonntag, März 17, 2024

Eugen Freunds Wahlbeobachtungen – Trump, das Genie

Eugen Freunds Wahlbeobachtungen

Was ist los im US-Wahlkampf? Bis zur Präsidentschaftswahl am 03. November schreibt USA-Experte Eugen Freund wöchentlich über Tops, Flops und Trends. Zu lesen jeden Freitag bei ZackZack. Heute: Der oberste Gerichtshof könnte wieder eine Wahl entscheiden.

Wien, 25. September 2020 | Er ist ein Genie: „Frau, Person, Kamera, Fernseher!“ Donald Trump hatte sich diese Worte gemerkt. Er wollte damit beweisen, wie gut sein Gehirn noch arbeitet. „Es wird eine Frau sein!“, ruft er der Menge zu – und meint damit die Nachfolge der verstorbenen Höchstrichterin Ruth Bader Ginsburg. Und schon schlägt die Satire zurück. „Eine Frau, eine Person, eine Kamera oder ein Fernseher“, ergänzt der Humorist Andy Borowitz im jüngsten „New Yorker“: „Es kann also (die mehrfach genannte) Amy Coney Barrett werden, oder eben eine Canon Sure Shot Z115 oder ein Samsung Q900TS QLED 8K UHD HDR Smart TV.“

Trumps neue Regeln

Doch mit Trump ist nicht zu spaßen. Dass er mit allen Mitteln noch vor der Wahl seine Kandidatin für diese wichtige Position durchboxen wird, dafür werden seine republikanischen Getreuen im Senat sorgen. Auch wenn sie sich im Wahlkampf 2016 in einer ähnlichen Situation genau gegenteilig geäußert hatten. Damals nominierte Präsident Barack Obama schon im März einen Nachfolger für den plötzlich verstorbenen Antonin Scalia und die Republikaner schrieen Zeter und Mordio.

„Lassen wir das doch den nächsten Präsidenten entscheiden,“ war noch die freundlichste Erklärung für ihren erfolgreichen Widerstand. Senator Lindsey Graham, der nun dem Justizausschuss vorsteht, in dem über den oder die Kandidatin debattiert wird, sagte damals: „Wenn heuer ein Republikaner zum Präsidenten gewählt wird, und es am Ende dieser Präsidentschaft eine Stelle im Obersten Gerichtshof nach zu besetzen gilt, dann sage ich: warten wir auf den nächsten Präsidenten – und sie können das gegen mich verwenden, wenn ich mich nicht daran halte.“ Vier Jahre später – alles vergessen. Was damals galt, gilt heute nicht mehr.

Ein justizpolitisches Schwergewicht

Ruth Bader Ginsburg war ein liberales Schwergewicht, unabhängig von ihrer Körpergröße (1 Meter 56) und obwohl sie kaum mehr als 50 Kilo auf die Waage brachte. Ihre Argumente zu Obamas Krankenversicherung oder zur Frage, ob Frauen weniger verdienen dürften als Männer, wogen so schwer, dass sich dem auch Teile der anderen Seite nicht verschlossen. Bei einem Stand von 5 Konservativen zu 4 Liberalen im Obersten Gerichtshof genügte ja schon ein Kollege oder eine Kollegin, um eine Entscheidung umzudrehen.

Die gesellschaftspolitische Bedeutung des Höchstgerichts in den USA kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Ganz gleich, wer Präsident ist, welche Partei die Mehrheit im Senat oder im Repräsentantenhaus hat, am Ende entscheidet immer der Oberste Gerichtshof, wo es in den USA lang geht. Und fast immer sind es Individuen, also BürgerInnen des Landes, die ein Gesetz anfechten können und so einen bindenden Beschluss der Obersten Richter erzwingen. Das hat etwa dazu geführt, dass die Abtreibung legalisiert wurde, dass Todesstrafen (nicht) verhängt wurden, dass gleichgeschlechtlicher Sex erlaubt wurde, und – nicht zu vergessen – dass George Bush und nicht Al Gore Präsident wurde. Nicht auszuschließen, dass auch nun wieder die Obersten Richter einschreiten müssen, wenn die kommenden Wahlen angefochten werden. Trump deutet heute schon an, dass er zum Obersten Gerichtshof gehen will, weil alle, die Wahlkarten per Brief aufgegeben haben, „Betrüger“ sind.

Wahlentscheidend

Im Jahr 2000 hing die Entscheidung  an einem seidenen Faden, oder besser: an einer schlecht gestanzten Lochkarte im Bundesstaat Florida. Erst wurde Al Gore zum Gewinner ernannt, dann George W. Bush. Dieser rief den damaligen Vizepräsidenten am Autotelefon an und teilte ihm mit, sein „kleiner Bruder“ (Jeb Bush war Gouverneur von Florida) habe ihm gesagt, er hätte Florida gewonnen. „Dein kleiner Bruder ist nicht die höchste Autorität,“ schoß Gore zurück. Der war es tatsächlich nicht, der Oberste Gerichtshof entschied fünf Wochen später, wer Präsident der USA wird.

Die Zeit, jetzt eine(n) Nachfolger(in) für Ruth Bader Ginsburg zu bestellen, wir dennoch knapp. Die Demokraten können das Hearing verzögern, in dem sie die Befragung ins Unendliche hinaus ziehen. Das birgt aber auch die Gefahr mit sich, dass einzelne Senatoren, die im Wahlkampf stehen, in Washington hängen bleiben und nicht in ihren Bundesstaaten auftreten können. Damit wären sie gegenüber ihren jeweiligen Konkurrenten im Nachteil. Ein künftiger Senator, der Astronaut Mark Kelly aus Arizona, könnte, sollte er gewählt werden, schon vor der eigentlichen Neukonstituierung des Senats seinen Platz einnehmen und damit den Demokraten eine zusätzliche Stimme verschaffen…

Was der Tod Ginsburg allerdings auch aufzeigt: der Themenwechsel im US-Wahlkampf schreitet rasant voran. Die Pandemie, der Wirtschaftsabschwung, Trumps abwertende Aussagen über Soldaten, die Polizeigewalt, die katastrophalen Waldbrände oder die Rassenunruhen in manchen Großstädten, alles wird immer von einem neuen „Thema der Woche“ medial überlagert. Nicht auszuschließen, dass das nun auch für die Besetzung des Obersten Gerichtshofes gilt.

Titelbild: APA Picturedesk

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