Wir feiern in Sorrent. Aber es gibt immer weniger zu feiern.
Gegenüber, auf der anderen Seite des Golfes, scheint schon die Sonne auf Neapel. Gestern Abend hat ein großes Feuerwerk über der Marina Grande unseren 40. Hochzeitstag eingeleitet. Heute feiern wir ihn hier in Sorrent.
Natürlich verfolgt uns die Politik bis in den Süden. Am Donnerstag sind wir in Capri angekommen, kurz nach den Außenministern der G7. Vor vielen Jahren habe ich „Hochsicherheit“ bei einem Parlamentariertreffen in Istanbul erlebt. Panzer rund um das Tagungshotel sollten allen zeigen, dass die Regierung in Ankara jederzeit hart durchgreifen kann. Ein paar Kilometer weiter saß ein kurdischer Abgeordneter der HDP in Haft, natürlich im Hochsicherheitsgefängnis, weil er als Demokrat die Hochsicherheit von Erdogan gefährdete.
Einige der Panzer standen vor der Redaktion von „Cumhurryet“. Ihr damaliger Chefredakteur Can Dündar empfing uns im 5. Stock. Heute lebt er als Flüchtling in Deutschland.
Ohne Hubschrauber
Die sieben Außenminister, die nach Capri gekommen sind, gelten als wichtiger als wir Abgeordnete damals in Istanbul. Trotzdem war alles sehr italienisch: kein einziger Hubschrauber, dafür freundliche Polizisten, die uns um Verständnis baten, wenn wir die andere Straßenseite benützen sollten. Die Altstadt war eine einzige Carabinieri-Modenschau mit Gala-Uniformen und Hüten, auf denen blau-rote Federbuschen in die Luft ragten.
Am Abend hatte unsere Gastgeberin einen Tisch in einer Weinbar reserviert. Einige junge Amerikaner mit Knöpfen in den Ohren grüßten uns freundlich und setzten sich an den Tisch gegenüber. Dann kam Anthony Blinken mit seiner Frau und nahm am Balkon daneben Platz. Er wirkte etwas müde.
Alles möglich
Vor mehr als achtzig Jahren wären die Unterschiede zwischen den Ländern, aus denen wir kamen, klarer gewesen. Damals bestand kein Zweifel, dass die USA neben Großbritannien die zweite, größere Hochburg von Freiheit und Demokratie war. Einen Donald Trump hätten damals wohl alle für einen Witz und nicht für einen möglichen Präsidenten gehalten. Ein Herbert Kickl wiederum hätte nach Dollfuss und Hitler fast putzig gewirkt. Das war vor langer Zeit der verlässliche Unterschied zwischen Washington und Wien.
Heute scheint alles möglich. Kickl kann Volkskanzler und Trump kann noch einmal Präsident werden. Österreich könnte damit in einem Lager mit Orbáns Ungarn landen. Die durchgeknallten Plakate, auf denen Kickl den Präsidenten der Ukraine und die Präsidentin der EU-Kommission in einem Kranz aus Impfspritzen, Kampfhubschraubern, Flüchtlingsbooten und Windrädern zur Umarmung ansetzen lässt, zeigen, dass er in Putins Welt angekommen ist.
„Nowitschok statt Pfizer“ wird wohl als nächstes kommen. Schon am Wahlabend wird ihm die ÖVP alles verzeihen. „Moslem-Mama“ wird aus St. Pölten ihren Segen geben. Anschließend nehmen sich beide zuerst die WKStA und dann den Rest der Medien, die noch immer nicht wie „oe24“ und „Heute“ mittrommeln, vor.
Gefährliche Zeiten
Ungefähr zur gleichen Zeit könnte es auch Trump schaffen. Dann sind beide zu allem fähig. Damit Trump losgelassen wird, braucht er nur eine Wahl. Kickl braucht zumindest noch die ÖVP. Aber die scheint von St. Pölten bis Salzburg bereits auf Schiene. Dass Nehammer jetzt noch über Kickl schimpft, gehört zum Geschäft vor der Wahl. Beide wissen, dass es nicht so gemeint ist.
Viele scheinen nicht mehr zu merken, um wieviel die Zeiten gerade gefährlicher werden. Der Krieg, der in der Ukraine tobt und sich im Nahen Osten ausweitet, muss dort nicht Halt machen. Wenn von den USA bis Österreich überall Dominosteine von Demokratie und Rechtsstaat fallen, ist nicht klar, was übrig bleibt.
Gudrun und ich feiern vierzig gute Jahre. Wir hatten das Glück, ein ganzes goldenes Zeitalter, wie es in Westeuropa und Nordamerika geherrscht hat, zu genießen. Diese gute Zeit war auch eine Antwort auf den Krieg, den unsere Eltern überlebt haben. Es lohnt sich nach wie vor, um gute Zeiten zu kämpfen.