Montag, Oktober 7, 2024

Randnotizen: Amerika steht auf einem Bein

In den USA offenbart sich die Schwäche einer Demokratie, deren Wahlen ganz auf einen Kampf zwischen zwei Personen zugeschnitten ist. Bei diesen Wahlen geht es eigentlich um Demokratie und um Gewaltenteilung. Durch Joe Bidens Rückzug von der Kandidatur ist diese Perspektive verloren gegangen.

Es ist eine üble Geschichte. Der Druck einer Bewegung mit höchst fragwürdiger Legitimität hat Joe Biden zum Rücktritt bewogen: zum Rücktritt von seiner Kandidatur und nicht vom Amt des Präsidenten wohlgemerkt. Ein Hollywoodstar, der Werbung für Kapselkaffee macht, und andere Stimmen, die regelmäßig laut wurden, haben diese fragwürdige Bewegung angeführt, die nun Erfolg hatte. Erfolg damit, ein Wahlkampfargument der Republikaner zu wiederholen: Joe Biden ist zu alt.

Das ist einerseits kein Problem, denn die offizielle Nominierung der Demokraten ist noch gar nicht erfolgt. Aber andererseits ist der Wahlkampf längst im Gang. Und nun ist die bizarre erste Frage: Wen unterstützt Joe Biden? Sofia Dreisbach, politische Korrespondentin für Nordamerika der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, schreibt aus Washington:

Zwischen Joe Bidens Ankündigung, sich als demokratischer Präsidentschaftskandidat zurückzuziehen, und der Nachricht, er werde künftig Kamala Harris unterstützen, verging eine halbe Stunde. Die amerikanische Vizepräsidentin geht als klare Favoritin für die Nachfolge Bidens in die letzten vier Wochen vor dem Parteitag in Chicago. Dort werden die Demokraten ihren Kandidaten offiziell nominieren. Doch bis dahin ist es auch für Harris noch ein weiter Weg.

Taktik statt Inhalt

Die ungewöhnliche Situation, die jetzt eingetreten ist, entstand – wie gesagt – durch den Umstand, dass Biden als Kandidat zurückgetreten ist, nicht aber als Präsident. Gökalp Babayiğit in der Süddeutschen Zeitung:

Wäre Joe Biden als Präsident zurückgetreten, seine Nachfolgerin im Amt wäre automatisch Kamala Harris gewesen. Doch Biden unterstrich in seinem Statement, er wolle als Amtsinhaber weitermachen – weshalb die Frage offen ist, wer bei der Präsidentschaftswahl am 5. November für die Demokraten gegen Donald Trump antreten wird. Biden hat sich in seiner Erklärung zwar für Kamala Harris ausgesprochen, das macht sie aber noch nicht zur offiziellen Kandidatin. Viel wird davon abhängen, ob sich weitere einflussreiche Demokratinnen und Demokraten für Harris aussprechen und so die Partei schnell hinter einer neuen Kandidatin einen. Harris selbst nahm wenige Stunden nach Bidens Statement den Kampf an.

Nun muss statt Inhalten eine neue Taktik her. Eine doppelte Taktik. Denn eigentlich ist die übliche Abfolge zunächst ein offener Kampf innerhalb der Partei und dann der Auftritt im Wahlkampf. Letzterer hat aber längst begonnen und für einen Richtungsstreit, wie es etwa einst der Kampf zwischen Hillary Clinton und Bernie Sanders um die demokratische Kandidatur war, ist keine Zeit mehr. Die Demokraten müssen genau abwägen, welche Wählerlager ihnen wichtig sind. Archie Bland schreibt im Guardian:

Kamala Harris hat als Vizepräsidentin zwar keinen automatischen Anspruch auf Bidens Delegierte, aber aufgrund seiner Befürwortung und der ausdrücklichen Unterstützung vieler prominenter Persönlichkeiten in der Partei stehen die Chancen sehr gut, dass sie ohne Gegenkandidaten antritt oder selbst, wenn jemand gegen sie antritt, als starke Favoritin gilt. Zu ihren Gunsten spricht die Sorge des demokratischen Establishments vor einem chaotischen Auftritt in der Öffentlichkeit bei einem offenen Kampf auf dem Parteitag – neben der Sorge, dass sich schwarze und weibliche Wähler von der Partei abwenden könnten, wenn Harris die Nominierung verweigert wird, die sie nach Ansicht einiger bereits verdient hat.

Negativwahlkampf neu

Obwohl also längst nicht entschieden ist, dass Kamala Harris demokratische Präsidentschaftskandidatin werden wird, lässt die Presse mehrheitlich keine Zweifel daran zu. Noch am Sonntag hieß es in der New York Times:

Keine anderen führenden Demokraten kündigten Pläne an, sie herauszufordern, obwohl einige von ihnen, darunter die führenden Kongressabgeordneten der Partei und der ehemalige Präsident Barack Obama, sich mit einer offenen Unterstützung noch zurückhielten. Mit atemberaubender Geschwindigkeit übernahm sie die Kontrolle über Herrn Bidens enorme politische Operation und kontaktierte führende Demokraten im Kongress und in den Landesparlamenten, um sie um Unterstützung zu bitten. Die Biden-Kampagne benannte sich offiziell in „Harris for President“ um, was ihr sofortigen Zugang zu einem Konto verschaffte, das Ende Juni 96 Millionen Dollar in bar aufwies. In einer internen Telefonkonferenz teilten die Leiter der Biden-Kampagne den Mitarbeitern mit, dass sie nun für Frau Harris arbeiten würden.

Was aber wird in diesen vier Wochen passieren? Es ist eine neue Situation entstanden im US-amerikanischen Wahlkampf und das just in der Situation, in der ein Präsident mit sehr guten Chancen auf eine zweite Amtszeit ins Rennen geht. Ein Republikaner hätte wohl Bidens Schritt nicht gemacht. Alle haben heute vergessen, dass Ronald Reagans zweite Amtszeit von wüsten kognitiven Fehlleistungen und daraus resultierend von bizarren Interviews geprägt war.

Laughing Kamala

Wir wissen aber schon jetzt, dass dieser Rückzug den Wahlkampf der Republikaner prägen wird und bereits prägt. Ihr Negativwahlkampf war ganz auf Joe Biden ausgerichtet. Anna Sauerbrey in DIE ZEIT:

Bislang ging die Geschichte, die Trumps Wahlkampfteam und seine Partei erzählte, so: Joe Biden hat das Land zugrunde gerichtet, besonders seine Migrationspolitik war verheerend, aber auch an den hohen Preisen ist er schuld, unter anderem wegen seiner Grünen Agenda (die Preise stiegen tatsächlich vor allem während der Pandemie, also in Trumps Amtszeit, die Biden-Regierung hat die Inflation stark senken können, aber hier geht es ja zunächst nur um die Story).

Und Sauerbrey fasst die Reaktionen der Republikanischen Kampagne so zusammen: Sie werden weiterhin Kritik an Bidens Präsidentschaft üben, den Kandidatenwechsel bei den Demokraten als undemokratisch und illegitim darstellen und Kamala Harris lächerlich machen. In den Sozialen Medien ist diese Strategie längst sichtbar. Sauerbrey dazu:

Schon einige Tage vor Bidens Rückzug tat Trump das Unvermeidliche. Er gab Kamala Harris einen Spitznamen. Bei seinem ersten Wahlkampfauftritt nach dem versuchten Attentat in Grand Rapids im Bundesstaat Michigan nannte Trump die Vizepräsidentin Laughing Kamala. »Habt ihr sie lachen gesehen? Sie ist verrückt. Das erkennt man an ihrem Lachen«, sagte Trump. Dass der Präsidentschaftskandidat sich über Harris’ charakteristisches Lachen lustig macht, adelt sie beinahe – heißt es doch, dass Trump sie als Gegnerin wahrnimmt. Es macht sie aber auch zur Zielscheibe unendlichen Social-Media-Hohns. Nun wird das Lachen wohl zentraler Bestandteil der Trump-Kampagne.

Sachpolitisch unterschätzt

Jetzt offenbart sich die Schwäche einer Demokratie, deren Wahlen ganz auf einen Kampf zwischen zwei Personen zugeschnitten ist. Der Bonus des Präsidentenamts ist dahin. Bei diesen Wahlen geht es eigentlich um Demokratie, um Gewaltenteilung und um das soziale Gleichgewicht einer Großmacht, die weltpolitisch ihre hegemoniale Stellung verliert. Die USA stehen nur mehr auf einem Bein.

Mit Biden, einem sachpolitisch weit unterschätzten Politiker, haben es die Demokraten vor vier Jahren geschafft, einen schwachen republikanischen Präsidenten nach einer Periode abzuwählen. Das ist seit 1945 nur einem republikanischen Präsidenten passiert: George Herbert Walker Bush – und der kam nach acht Jahren republikanischer Präsidentschaft Ronald Reagans ins Amt und folgte keinem Demokraten.

Die Demokraten sind geschwächt. Und man muss es offen sagen: Die Amerikanerinnen und Amerikaner sind nicht bereit für eine Frau im Weißen Haus.


Titelbild: ROBERT JAEGER / APA / picturedesk.com, AFP / picturedesk.com, Montage ZackZack

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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