Eugen Freunds Wahlbeobachtungen
Was ist los im US-Wahlkampf? Bis zur Präsidentschaftswahl am 03. November schreibt USA-Experte Eugen Freund wöchentlich über Tops, Flops und Trends. Zu lesen jeden Freitag bei ZackZack. Heute: Albtraum oder Realität?
Meine Vorahnung im letzten Absatz vor einer Woche hat sich bewahrheitet: jede Woche ein neues Thema. Als alle glaubten, die Neubesetzung im Obersten Gerichtshof werde ab nun den US-Wahlkampf dominieren, kam die „New York Times“ mit der Steuererklärung von Donald Trump heraus. 750 Dollar zahlte der selbsternannte Multimilliardär an das Finanzamt in dem Jahr, als er Präsident wurde.
Aber auch das Thema hielt nicht lange: dann kam die desaströse TV-Debatte (mehr dazu gleich). Und jetzt die Covid-Erkrankung des Ehepaares Trump. Man muss sich wundern, dass er sich erst jetzt angesteckt hatte, schließlich hielt er sich an kaum eine Empfehlung der Experten. Wie schwer die Erkrankung ist, wie lange er unter Quarantäne bleiben muss, all das wird die Diskussion der nächsten Tage dominieren. Bis… ja, bis wieder ein neues Thema Schlagzeilen macht.
Schlaflos überm großen Teich
Es ist ein Riesenunterschied, ob man US-Debatten in New York oder Washington in hellwachem Zustand über sich ergehen lässt, oder immer wieder einnicken will, weil es hier drei Uhr in der Früh ist. Vor allem bei der jüngsten Konfrontation war ich mir nicht sicher, ob das schon Teil des frühmorgendlichen Albtraums ist oder doch Realität.
Seit vierzig Jahren habe ich alle Fernsehdebatten mitverfolgt, diese war tatsächlich einmalig. Vor allem, weil für sie immer ein ganz strenges Korsett ausgearbeitet wird. Alles steht fest: die Zahl der Moderatoren, woher die Kandidaten in den Saal gehen, wieviel Minuten sie für die erste Antwort haben, wie lange sie dann auf das Gesagte des Gegners reagieren dürfen und schließlich: bekommt dann der Angesprochene nochmals Redezeit oder nicht. Und von jeder Debatte bleibt ein entscheidender Satz in Erinnerung.
Ronald Reagan fragte das Publikum 1980, als er gegen Jimmy Carter antrat: „Überlegen sie, geht es ihnen heute besser als vor vier Jahren?“ 1984, mittlerweile war er schon 73 Jahre alt und wurde auf das Alter angesprochen, da konterte er schlagfertig: „Ich werde nicht die Jugend und Unerfahrenheit meines Gegners zum Thema machen.“ Sein Kontrahent, Walter Mondale, war damals 56. Vier Jahre danach macht Lloyd Bentsen seinen Gegner, den Vizepräsidentschaftskandidaten, der sich mit Kennedy verglich, mit dem Satz fertig: “Ich kannte John F. Kennedy. Kennedy war ein Freund von mir. Herr Senator, Sie sind kein Jack Kennedy!“ Oder G.W. Bush zu Al Gore, 2000: „Ich glaube, sie haben nicht nur das Internet erfunden, auch die Rechenmaschine!“ Unvergesslich auch, wie Trump während der TV-Debatte von hinten auf Hillary Clinton zuging und sie fast bedrängte.
An den Taten gemessen
Und diesmal, was bleibt von Donald Trump gegen Joe Biden übrig? „Sie sind ein Clown!“ „Halten sie den Mund!“ „Ihre Partei will den Sozialismus einführen.“ „Sie haben mit dem Wort ‚smart’ nichts zu tun, Joe!“ Es war erstaunlich, dass Trump nicht an jene Wähler gedacht hat, die bereit gewesen wären, ihm eine zweite Chance zu geben: die (wenigen) Unentschiedenen, die in den sogenannten „Swing States“ den Ausschlag geben können. Doch mit seiner Vorstellung in der Fernsehdebatte hat der Präsident die letzten Zweifler verschreckt.
Jetzt kann er nur darauf hoffen, dass seine Kerntruppe (weiße Männer mit geringer Bildung), die ihn in allem unterstützen, Werbung für diesen Auftritt machen. Die jüngsten Meinungsumfragen – schon nach der Debatte – müssen Trump zu denken geben. In keinem Bundesstaat hat sich seine Lage verbessert, umgekehrt kann Biden da und dort ein weiteres Plus einholen. Auch wenn man mit diesen Zahlen vorsichtig umgehen muss (schließlich hat Hillary Clinton vor vier Jahren auch in fast allen Umfragen geführt) es gibt natürlich einen gewaltigen Unterschied zu 2016: Donald Trump wird diesmal nicht an seinen großsprecherischen Ansagen gemessen, sondern an seiner Amtstätigkeit: Zum Beispiel „It’s the economy, stupid!“ – und da sieht es nicht gut aus. Auch wenn die Zahl der Arbeitslosen sinkt, wöchentlich sind es dennoch mehrere hunderttausend Menschen, die ihren Job verlieren. Oder die über 200.000 Toten, die die Pandemie in den USA schon gefordert hat.
Besser als der angesehene Journalist David Remnick kann man diesen Präsidenten nicht beschreiben: „Alles was er angreift wird zu Blei“ Schön langsam ist der goldene Lack, mit dem Donald Trump alles einfärbt, ganz abgeblättert. Jetzt kann er nur noch hoffen, dass sein Urteil: „Covid ist weniger schlimm als die Grippe!“ auf ihn zutrifft.
Titelbild: APA Picturedesk