Freitag, April 26, 2024

Millionen Russen drohen Strafen für kritische Postings

Durch das kürzliche Verbot populärer oppositioneller Organisationen sowie von investigativen Internetmedien drohen Millionen von Russinnen und Russen nun Verwaltungsstrafen für frühere Internet-Publikationen, die auf nunmehr verbotene Strukturen verweisen.

Wien, 10. August 2021 | Experten empfehlen Internetnutzern in Russland daher eine schnelle Säuberung und Bearbeitung diesbezüglicher Postings in ihren sozialen Netzwerken.

Der neue Status des “Fonds zur Bekämpfung der Korruption” (FBK) von Oppositionspolitiker Alexej Nawalny, den ein Moskauer Gericht vergangene Woche rechtskräftig zu einer “extremistischen Organisationen” erklärt hat, sowie die kürzlichen Brandmarkungen von NGOs und kritischen Internetmedien wie proekt.media als “unerwünschte Organisation” könnte für viele politisch interessierte Russinnen und Russen zu Problemen führen: So nunmehr bei Internet-Postings von Inhalten des verbotenen Nawalny-Fonds dieser nicht explizit als “extremistische Organisation” ausgewiesen wird, gilt dies als Verwaltungsübertretung.

Gefängnisstrafen möglich

Ähnliches gilt für Postings und Likes in Bezug auf “unerwünschte Organisationen”, die sich nach dem Inkrafttreten der aktuellen Verbote weiterhin auffinden lassen. Hier sind im Wiederholungsfall auch Gefängnisstrafen möglich.

“Potenziell sind Millionen von Menschen betroffen”, sagte der Jurist Damir Gajnutdinow, der sich im Rahmen seiner Initiative “Netzfreiheiten” intensiv mit der Frage beschäftigt, der APA am Montagabend. Ende vergangener Woche forderte er Internetbenutzer in ganz Russland auf, schnell zu reagieren: Zur Vermeidung von Konsequenzen gelte es, eigene, nunmehr umstrittene Publikationen in sozialen Netzwerken schneller als staatsnahe Aktivisten und Extremismusbeauftragte der Polizei aufzuspüren, informierte der Jurist in einer Internet-Veröffentlichung.

Problematisch sei vor allem die Praxis im russischen Verwaltungsstrafrecht, historische Internet-Publikationen mit erst später verbotenen Inhalten als fortdauernden Verstoß zu interpretieren, bei dem es im Unterschied zum Strafrecht keine Verjährung gebe, erläuterte Gajnutdinow im Telefonat mit der APA. Daher könnten auch Internet-Veröffentlichungen vor 15 oder 20 Jahren zu Strafen führen. Er erinnerte gleichzeitig daran, dass zuletzt aber auch manche Kommentare im Internet auf Grundlage von Extremismusgesetzen wiederholt mit mehrjährigen Haftstrafen sanktioniert worden seinen.

Journalisten löschen Postings

Vorsichtsmaßnahmen waren in den letzten Tagen jedenfalls im russischen Internet zu bemerken. Eine Petersburger Aktivistin, die für eine NGO tätig ist, berichtete der APA am Wochenende, dass innerhalb von zwei Tagen zumindest sechs ihrer Freundinnen und Freunde auf Facebook ihr altes Konto gelöscht und ein neues Konto angelegt hätten. “Natürlich habe ich meinen Twitter-Account gesäubert und alle Tweets gelöscht, die auf proekt.media verwiesen haben”, gestand auch ein prominenter Moskauer Journalist der APA.

“Es beginnt derzeit die Anpassung an neue Spielregeln”, kommentierte Andrej Kolesnikow vom Moskauer Carnegie-Zentrums am Wochenende. Der Innenpolitikexperte sah aber auch den Anfang einer zunehmend verbreiteten Angst, die die Vernichtung von Medien durch ihre Erklärung zu “ausländischen Agenten” sowie zu “unerwünschten Organisation” ausgelöst habe, erklärte er der APA. Eine besondere Rolle spiele aber auch die Erklärung von Personen zum “ausländischen Medienagenten”, die Betroffenen das Leben massiv erschwere. “Das ist ein riesiges Problem, jeder fühlt sich schutzlos”, schilderte Kolesnikow. Genau so habe sich alles auch in sowjetischen Zeiten entwickelt, so der Experte und sprach von “vorauseilendem Gehorsam”.

(apa/bf)

Titelbild: APA Picturedesk

Benedikt Faast
Benedikt Faast
Redakteur für Innenpolitik. Verfolgt so gut wie jedes Interview in der österreichischen Politlandschaft.
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35 Kommentare

  1. Man sollte vielleicht erwähnen, dass der gleiche Wahnsinn bereits seit Monaten in Deutschland etabliert ist. In Deutschland gibt es eine neu geschaffene Zensurbehörde, natürlich mit freundlich klingendem Namen, es wird seit Beginn der Coronakrise mit allen Mitteln gegen unabhängige Journalisten und auch gegen einzelne Poster/Blogger vorgegangen, diese unangenehme Wahrheit muss man endlich ansprechen, Deutschland ist inzwischen ein totalitärer Staat und weit weg von rechtsstaatlichen Strukturen. Das Verfassungsgreicht ist hochkorrupt, Merkel hat überall ihre Leute reingesetzt, als ehemalige Sekretärin für Agitation und Propaganda in der DDR weiß sie wie man sowas macht.
    Hier gibt es einen Artikel über Zensur in Deutschland
    https://multipolar-magazin.de/artikel/neue-zensurbehorde

  2. … siehe auch:
    -Bub (8) in Pakistan wegen Blasphemie verhaftet
    -US-Polizei will 8 Jährigen in Handschellen abführen
    -Islamische Sittenpolizei überfährt Frau, weil sie sich “unislamisch” anzieht.
    -Offenbar Hunderte Schüler in Nigeria entführt
    -„Wiedergeburt Hitlers“: Mutter 30 Jahre nach Sektenmord an Kind verhaftet

    was für eine schöne neue Welt.

    • Daniel Hale sagte die Wahrheit über den US-Drohnenkrieg, jetzt ist er im Gefängnis
      Die Enthüllungen des Whistleblowers Daniel Hale sind keine Gefahr für die innere Sicherheit der USA, doch seine Verurteilung zu beinahe vier Jahren Haft ist ein Schlag gegen die Demokratie.
      Am 27. Juli 2021 verurteilte Richter Liam O’Grady den Drohnen-Whistleblower Daniel Hale zu drei Jahren und neun Monaten Haft im Bundesgefängnis.
      Quelle: Jacobin

      Daniel Hale
      Ein Held, den man kennen sollte
      https://www.nachdenkseiten.de/?p=74850

      • … fast alle Whistleblower von Verbrechen an der Menschlichkeit, öffentlicher Stellen, sitzen im Gefängnis, oder sind tot, überall auf der Welt. Das wirft schon einen eigenartigen Schatten auf uns Menschen…. Die der US Angelegenheiten kommen hin und wieder in die Presse, die meisten anderen verschwinden einfach….

  3. Abwarten. Jetzt hat der Gesalbte den ORF in seinen Fängen und im nächsten Jahr knöpft er sich dann die unabhängige Presse und die aufmüpfigen Poster vor. Wetten?

  4. So weit wird es bei uns auch noch kommen, wenn wir die hemmungslosen schnösel nicht abwählen.

  5. Auch in Russland wir diese Art der Einschüchterung keinen Erfolg haben. Die Welle des Erhebens der Menschen macht auch vor Landesgrenzen nicht halt.

    • Putin wird dafür sorgen, dass das Erheben nicht zu weit geht.
      Siehe Belarus, wo er Lukaschenko unterstützt.

      • Das ist etwas was sich nicht stoppen lässt. Egal wie die “Methoden” der noch Mächtigen ausfallen.

        • Sehen Sie doch nach Belarus. Niemand traut sich mehr auf die Straße.
          Ich hoffe ,dass sich da was ändert, doch Diktatoren setzen sich, solange Polizei und Militär hinter ihnen stehen, durch.
          Leider 😕
          Siehe auch Türkei oder Myanmar.

  6. Ein Vorgeschmack, was auch hierzulande bald der Fall sein wird. Es fängt ja schon an in dem man kritische Postings in Sozialen Netzwerken direkt mit Klagen überzieht.

    • Ja, die typen sindveben humorbefreit.
      Ein wunder, dass sie nicht lebensmüde sind.

  7. Das ist aber schon eine Gemeinheit ältere Posts zu bestrafen. Abgesehen davon, dass diese Novelle ohnehin nicht menschenrechtskonform ist, wäre es trotzdem nett/ gesetzesgetreu geweßen, nur künftige Posts und Aktualisierungen zu ahnden.

    • Also ich habe erst eine Seite gehoert. Die andere hat noch nichts gesagt, jedenfalls hab ich noch nichts gefunden.

  8. Und da gibt es noch immer welche, die meinen der kleine Zar, wäre ein Demokrat….

    • Denken Sie, dass Jelzin besser jemanden als Nachfolger ausgewaehlt haette, der Glasnost und Perestrojka fortfuehrt?

      • Jelzin hat ausgewählt?
        Der war 3/4 seiner Amtszeit schwer betrunken und damit leicht lenkbar.

        • Beides ist richtig.
          Aus russoafiner Sicht war er gegen Ende seiner Amtszeit nuechtern.
          Ihre Antwort auf meine Frage wuerde mich sehr interessieren.

          • Ich denke Putin sollte sich auf das derzeitige Russland konzentrieren.
            Den Leute geht’s da wirtschaftlich nicht so gut.
            Und ich denke Gorbatschow hat das gewusst und eine gewisse Ruhe eingebracht.
            Also ja…. der Weg Gorbatschows war meiner bescheidenen Meinung nach besser.

          • Putin regiert autokratisch, keine Frage und das ist fuer uns Westler ein No-go.

            Schwer zu sagen, wie es gekommen waer, wenn Gorbatschow noch laenger geblieben waere. Pro-Russen sagen, er haette den Oligarchen und den USA die Tuer zur Machtuebernahme aufgemacht, welche Putin wieder zugemacht hat.

            Aber Blick zurueck zum Artikel, weg von Putin, hin zu USA/EU/Nato
            Ich glaube nicht, dass es hier um Menschen- oder Buergerrechte geht.

          • Wenns um Menschenrechte geht sind wir in der EU noch gut dabei.
            Russland und leider auch die USA kümmern sich da weniger.
            Aber es gibt da eine simple Frage..
            Wo , wenn es sein muss, würden Sie lieber leben, in Russland oder der USA.
            Und bevor Sie jetzt mich fragen😉 ich würde die USA wählen.

          • Folgenden Artikel ueber Russland finde ich sehr gut und differenziert:
            https://freedom-hunter.com/2020/02/04/politische-situation-russland/

            Da steht einerseits …
            Putin und die Regierung hatten immer das Volk hinter sich, weil sie versprachen die Korruption zu bekämpfen. Gerade die Vorwürfe, die Regierung sei selbst korrupt trafen viele Bürger im Herzen. Mich persönlich wundert es nicht, da ich als libertär eingestellter Mensch sowieso den ganzen Staatsapparat als eine in sich korrupte Institution ansehe.

            … aber auch:
            Russland ist eine extrem junge Demokratie und wird noch Jahre brauchen um überhaupt unseren Westlichen Stand zu erreichen, doch anstatt Unterstützung zu erhalten wird es systematisch dämonisiert und wirtschaftlich sabotiert.

            Zu Ihrer Frage:
            Ich ganz persoenlich als wohlhabender, privilegierter, alter weisser Hetero haette in keinem dieser Laender Probleme.
            Da ich nach einer SarsCov2-Infektion symptomlos blieb und laborbestaetigt immunisiert bin, was bei uns und in den USA aber nicht gilt und in Russland egal ist, waers im Augenblick Kaliningrad, aus der Gegend stammt mein Vater (so gesehen aus Koenigsberg).

  9. Der erstgenannte, Hr. Damir Gajnutdinow, der nicht nur fuer die Initiave “Freiheit des Internets” steht, sondern auch fuer “Russland unter Beobachtung”, “forderte Internetbenutzer in ganz Russland auf, schnell zu reagieren”.
    Vielleicht hat er auch erwaehnt, dass das bzgl. aelteren posts nichts mehr bringt, dass sie da einfach im Nachhinein streng bestraft werden.

    Andrej Kolesnikov ist wie im Artikel erwaehnt “Innenpolitikexperte” und ausserdem ein Kritiker davon, dass die “Geschichtspolitik zu einer Waffe des Putin-Regimes geworden ist”.
    Er stellt fest, dass sich zunehmend Angst verbreitet.

    Tja, das was der eine macht, passt mit dem zusammen was der andere feststellt.

    Vermutlich ist wieder irgendwas mit dieser Pipeline.
    Immer wenn im Westen ueber Menschenrechte (oder so was in der Art) in Russland berichtet wird, gehts um diese Pipeline.

    • Ich muss das jetzt nochmal korrigieren bzw. klarstellen.
      Die beiden Herren setzen sich fuer Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ein, sicher mehr als ich, also: Respekt!
      Weniger respektabel sind – wie schon gesagt – jene die die beiden instrumentalisieren.
      Dass das Thema schon laenger in Russland fuer Unruhe sorgt, auch auf hoechster Ebene. zeigt folgender (wie ich meine sehr gute) Artikel vom 5. Jun 2020
      Auszuege:
      – Welt­weit nutzen auto­ri­täre Regie­run­gen die Coro­na­krise als Vorwand, um ihre Gegner noch stärker zu bekämp­fen. Russ­land ist da keine Aus­nahme. Seit Anfang April kann man dort für die Ver­brei­tung von „Fake News“ im Zusam­men­hang mit der Pan­de­mie mit bis zu fünf Jahren Gefäng­nis bestraft werden.
      – Das juris­tisch unglaub­lich nied­rige Niveau der gesetz­li­chen For­mu­lie­run­gen führte dazu, dass sich Russ­lands Obers­tes Gericht ein­schal­tete.

      https://russlandverstehen.eu/russland-internetfreiheit-zensur-fake-news/

  10. noch ist man bei uns bei kritischen postings nicht mit dem gefängnis bedroht.

    aber wenn es nach der familie geht, kann schon ganz schön ins geld gehen.
    frag bei frau nehammer.

    • 👍der Benco is ja auch schon am Klagen.
      Vielleicht klagen die türkisen dann einfach die Opposition…

      • Wir werden wieder spenden, diesmalt halt etwas mehr.
        Wir lassen uns pp nicht mundtot machen, ihr nudelaugen.

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