Kickls Leute wissen sich nur mehr mit der Steve-Bannon-Maxime zu helfen: „Flute alles mit Scheiße.“
Wir kennen das Muster schon zur Genüge, dürfen es dieser Tage aber wieder in seiner ganzen Kunstfertigkeit beobachten: Wenn es für die FPÖ so richtig peinlich und bedrohlich wird, dann zündet sie Nebelkerzen, streitet alles ab, und schiebt die Schuld mit den absurdesten Verrenkungen auf alle anderen.
An der FPÖ-Russland-Spionageaffäre sind deswegen für die FPÖ schuld: Erstens die ÖVP, die doch lange dafür verantwortlich war, dass wir einen schrulligen Verfassungsschutz hatten, in dem sich Russland-Agenten breit machen konnten. Zweitens noch einmal die ÖVP, weil es ein Foto gibt, auf dem der Nationalratspräsident bei einem Bankett neben Jan Marsalek sitzt. Drittens die Neos, weil ein Abgeordneter sich einmal mit dem jetzt aufgeflogenen mutmaßlichen Russen-James-Bond Egisto Ott getroffen habe. Viertens Peter Pilz, weil der vielleicht auch dem Herrn Ott zu viel geglaubt hat. Fünftens die SPÖ, weil Alfred Gusenbauer vor vierzig Jahren den Boden in Moskau geküsst hat. Sechstens irgendwelche Firmen, die ihre Bezahlsysteme vom Zahlungsdienstleister Wirecard betreiben haben lassen. Siebtens Angela Merkel, die sich für Wirecard beinahe bei den Chinesen stark gemacht hätte. Wahrscheinlich ist auch der Papst irgendwie verantwortlich. Nur Herbert Kickl ist völlig unschuldig, wie immer, der ist ja sowieso das ärmste Unschuldsvermutungslamm, das immer nur Pech hat und dann gemeinen Vorwürfen fieser Gegner ausgesetzt ist.
Die Strategie geht auf ein Bonmot von Steven Bannon zurück, Donald Trumps rechtsextremen Agitator, der einmal formulierte: „Flood the Zone with Shit“(„Flute alles mit Scheiße“). Heißt: Wenn Du ein Problem hast, rede so lange Unsinn, bis sich die Leute überhaupt nicht mehr auskennen, und nicht mehr merken, was du angerichtet hast. Heißt weiter: Rede so lange Dreck daher, bis die Leute tatsächlich glauben, alle hängen irgendwie drin, und du am wenigsten.
Davon sollte sich niemand täuschen lassen. Denn allein schon die Fakten sind erdrückend. Details, die für sich genommen nur einzelne Anekdoten wären, fügen sich wie Mosaiksteinchen zu einem Panorama, das einem das Blut gefrieren lässt.
Eine Abfolge seltsamer Zufälle
Seit 2014 war Jan Marsalek offenbar ein Agent des russischen FSB. Marsalek liebte es, sich als Agent zu sehen und hatte die verrücktesten Ideen und gigantomanischen Pläne. Die Kreml-Geheimdienstler wiederum waren selbstverständlich an einem Vorstandsmitglied eines Finanzunternehmens mit Infrastruktur für die undurchschaubaren Micropayment-Systeme höchst interessiert.
Marsalek holte sich später den für Spionageabwehr zuständigen, karenzierten BVT-Abteilungsleiter Martin Weiss an Bord. Der sitzt mittlerweile in Dubai, weil er aus dem Land nicht nach Österreich ausgeliefert werden kann.
Egisto Ott hat offenbar bis zuletzt Aufträge der mutmaßlichen Zelle ausgeführt.
Marsalek flüchtete, als das Wirecard-Kartenhaus zusammenkrachte, via Weißrussland nach Moskau. Den Privatjet organisierten offenkundig der karenzierte BVT-Abteilungsleiter und ein ehemaliger FPÖ-Nationalratsabgeordneter.
Marsalek wiederum brüstet sich in sichergestellten Chats offenbar, die „Evakuierung“ von BVT-Abteilungsleiter Martin Weiss nach Dubai organisiert zu haben.
Herbert Kickl war von Dezember 2017 bis Mai 2019 Innenminister, und in diese Zeit fiel der Überfall auf das BVT, um den Geheimdienst zu zerschlagen. Die FPÖ zündet gerne die Nebelkerze, dass ohne Staatsanwalt und ohne richterliche Genehmigung ja keine Hausdurchsuchung zu erwirken sei, und verschweigt dabei, dass die Führung des Innenministeriums aktiv und geradezu besessen nach „Belastungszeugen“ suchte, die eine solche Aktion erwirken konnten. Einen dieser „Zeugen“ begleitete ein Ministeriums-Spitzenmann sogar als Quasi-„Betreuer“ zur Einvernahme. Dieser Zeuge war: Erraten! Abteilungsleiter Martin Weiss.
Während das FPÖ-Innenministerium mit dieser Truppe kungelte, hatte die Partei einen Freundschaftsvertrag mit Putins Partei. Kann ja Zufall sein. In der FPÖ hat man eben nicht nur Pech mit Einzelfällen, sondern auch mit Zufällen.
Weiters: Die FPÖ pflegte völlig ungeniert engste Verbindungen zum russischen Regime und seinen wüstesten Gestalten. Johann Gudenus und Abgeordneter Johannes Hübner fuhren sogar zu Tschetschenen-Killer Ramzan Kadyrow und attestierten danach, dass in Tschetschenien alles perfekt sei.
FPÖ und Putins Regime: Anatomie einer Freundschaft
Während Kickl im Innenministerium fuhrwerkte, und Johann Gudenus zum Klubobmann aufgestiegen war, amtierte Karin Kneissl als Außenministerin. Zu ihrer Hochzeit kam sogar Wladimir Putin angeflogen, und wahrscheinlich spielte weniger eine innige persönliche Freundschaft als Alliiertenpflege eine entscheidende Rolle. Schließlich ist Wladimir Putin, so darf man annehmen, auch sonst nicht fad. Er muss sich schon sehr viel von so einem freundlichen Trip erwarten. Oder er war der Meinung, dass er ja durchaus etwas zum Feiern habe, was man im Lichte unseres heutigen Wissens verstehen kann. Karin Kneissl wollte im Außenministerium auch eine Art Parallel-Sicherheitsdienst aufziehen, und ganz offensichtlich durfte sich auch der damals schon suspendierte Egisto Ott dabei eine kleine Rolle als „Mister Wichtig“ – oder besser: „Gospodin Wichtig“ – erhoffen.
Karin Kneissl hat sich mittlerweile auch nach Russland abgesetzt, namentlich nach Sankt Petersburg, wo sie Wladimir Putin als vollendeten „Gentleman“ in BBC-Interviews preist.
Die Liste der „Zufälle“ und „Einzelfälle“ ließe sich übrigens noch ziemlich endlos fortsetzen.
Oder doch nur unfähige Tölpel?
Fügt man Mosaikstein für Mosaikstein zusammen, dann gibt es im Grunde nur zwei Möglichkeiten.
Erstens: Die FPÖ ist selbst eine vom Ausland gesteuerte Partei, die unter der Tarnung, eine politische Partei zu sein, das Geschäft des Kreml besorgt.
Oder zweitens: Die sind so unfähig und doof, dass sie im Interesse des Kreml agieren, die Sicherheitsarchitektur des Landes zertrümmern, den Geheimdienst in Schutt und Asche legen, und nicht einmal merken, dass sie nützliche Idioten Moskaus sind.
Sozusagen: Spione oder unfähige Dolme, das sind die zwei Möglichkeiten.
Das Schlechte an der Sache ist, dass das beim jetzigen Stand nicht leicht zu entscheiden ist. Das Gute an der Sache ist aber, dass das für eine politische Beurteilung gar nicht so wichtig ist: denn weder Spione Moskaus noch unfähige Tölpel haben in Regierungsämtern etwas verloren.
Titelbild: Miriam Moné