Mit dem „FPÖ-Russland-Skandal“ hat sich die ÖVP für ihr Wahlkampfthema entschieden. Dabei wird gelogen, dass sich die Balken von Hofburg bis Kreml biegen.
Am Samstag sind wir um diese Jahreszeit meist schon auf der Alm. Hier, im obersteirischen Lamingtal, liegt die „Kleine Zeitung“ am Frühstückstisch. Wir lesen sie gerne, weil eine gutbürgerlich-liberale Regionalzeitung vieles von dem pflegt, was wir als „Leitkultur“ schätzen.
Diesmal überraschte uns die „Kleine“ auf Seite 3 mit einer Beschreibung der ÖVP-Absichten im Fall „Ott“: „Dennoch dürfte sie keinen Spionage-U-Ausschuss anstreben. Es wäre zu viel Bühne für Pilz, auch wenn er diesmal Auskunftsperson wäre.“
Überraschend war das, weil ÖVP-Generalsekretär Stocker mich kurz davor wieder einmal umzingelt und überführt hatte.
Foto: Zur Sache
Ich mag das Foto aus dem ÖVP-Klubmagazin „Zur Sache“. Da wird der „FPÖ-Russland-Skandal“ aufgedeckt, und ich bin der Agent ganz rechts außen. Die SPÖ ist übrigens als ganze Teil des Netzwerks, für die Neos spioniert nur Helmut Brandstätter schräg links unter mir.
Christian Stocker ersuche ich eindringlich, das mit dem U-Ausschuss noch einmal zu überdenken. Gerne möchte ich in einem Spionage-Untersuchungsausschuss unter Wahrheitspflicht von ihm und anderen befragt werden, auch zum Fall „Egisto Ott“. Ungefragt könnte ich in meinem Einleitungsstatement ganz schön viel erzählen, über Putins Trolle in FPÖ und ÖVP.
ÖVP, FPÖ und Putin
Mehr als drei Jahrzehnte habe ich geholfen, Österreichs Geheimdienste parlamentarisch zu kontrollieren. Ich durfte mit Kolleginnen aus anderen Parlamenten zusammenarbeiten und Mitarbeiter anderer Dienste kennenlernen. Ich glaube, ich kann mir ein ganz gutes Bild machen und einiges feststellen:
1. Lange bevor sich die FPÖ unter Heinz Strache und Johann Gudenus nach Belgrad und dann nach Moskau wendete, waren Schlüsselpersonen der ÖVP Putins Dauergäste. Einige davon kamen nicht zufällig aus dem Kabinett von Innenminister Ernst Strasser.
2. Jörg Haider wollte von Wolfgang Schüssel das Innenministerium. Der FPÖ-Chef bekam das BVT und besetzte es mit Gert Polli einschlägig.
3. Das Innenministerium in Wien stand dem FSB-Residenten scheunentorartig offen. Unter ÖVP-Innenministern hatte der FSB ein eigenes Verbindungsbüro im BMI. Dort scheint unter den Augen der ÖVP-Minister einiges passiert zu sein.
4. Innenminister und BVT sahen tatenlos zu, wie tschetschenische Auftragsmörder einen Dissidenten auf offener Straße ermordeten und andere ins Visier nahmen. Der FSB-Resident, der das von der russischen Botschaft in Wien aus dirigierte, hatte zuvor unter Kadyrow als „Innenminister“ in Tschetschenien gewütet.
5. Der Fall des ermordeten Tschetschenen „Israilov“ zeigt wie der Fall „Ott“, was passiert, wenn ein Verfassungsschutz politisch missbraucht wurde, gelähmt ist und total versagt.
6. Die ÖVP hat genau gewusst, dass sie mit Kickl ein Russland- und Rechtsextremismus-Risiko eingeht, das nicht einmal Wolfgang Schüssel eingehen wollte. Trotzdem bekam die FPÖ Innenministerium und Verfassungsschutz – und die ÖVP-Freikarte, dort zu tun, was sie wollte.
7. Am Ende war die REX-(Rechtsextremismus)-Abteilung des BVT gestürmt und das BVT aus den wichtigsten Gremien des Berner Clubs, des Verbunds der EU-Nachrichtendienste, ausgeschlossen.
8. Das Risiko war der ÖVP egal, weil sie längst auf die Russland-Karte setzte. Mit dem Putin-Spezi Sigi Wolf wurde die OMV von Norwegen zur Gazprom gedreht; mit RBI wurde eine der „systemrelevanten“ österreichischen Banken die Westfinanz-Scharnier für Putin.
9. Dazu kam das Geschäft mit den Oligarchen. Die ÖVP ebnete ihnen alle Wege. Heißes russisches Geld ist im kühlen Finanzwetter der Alpen nach wie vor sicherer als an vielen anderen Orten.
10. Dann kamen der erste und der zweite russische Überfall auf die Ukraine. Karl Nehammer war der Erste, der über die westliche Sanktionsmauer zu Putin kraxelte und später in Wien erzählte, wie er dem Kreml-Herrscher den Kopf gewaschen und Sicherheit für Österreichs Gas-Pipelines durchgesetzt habe.
11. Und schließlich: Warum Egisto Ott trotz schwersten Verdachts gegen ihn bis zum Schluss mit einer Dienstkonkorde des Innenministeriums als „Kriminalbeamter“ Abfragen für den FSB durchführen konnte, konnte der amtierende Innenminister bis heute nicht erklären.
Wedelfedern und Tools
Natürlich weiß Stocker, dass das alles viele wissen. Aber es geht nicht um die Wahrheit, sondern um die Wahl. Von Wirtschaft und Einwanderung bis Sicherheit und Bildung findet man in den Themen, die normalerweise Wahlkämpfe prägen, kaum mehr Unterschiede zwischen ÖVP und FPÖ. Also muss ein Thema her, wo man sich einen prachtvollen Schaukampf liefern kann: Putin.
Nicht nur in „Die Presse“, „Kurier“, „Kronen Zeitung“ und „Heute“ werden sich die entsprechenden Finger über den Kampf der Trolle wund schreiben. Wedelfedern und Tools für den Schaukampf stehen längst bereit. Die Regierungs-Inseratenkassen der ÖVP sind gefüllt. Es kann losgehen.
Am Ende der Bühnenprügelei werden die beiden einander erschöpft und zufrieden in die Arme fallen. Wenn das Ganze dafür gesorgt hat, dass das Scheinduell zwischen den Putin-Trollen den Wahlkampf dominiert, kann es sich ausgehen. Dann bilden ÖVP und FPÖ zum dritten Mal eine gemeinsame Regierung.
Mit ihr wird Wladimir Putin die größte Freude haben.