»Patient hätte fast Hoden verloren«
Es seien teils “groteske Zustände”, die derzeit in Wiens Spitälern herrschen würden. Mitten in der Pandemie werden im Zuge des Spitalskonzepts 2030 weiterhin Abteilungen geschlossen und in umliegende Krankenhäuser verlegt. Jetzt spricht ein Wiener Urologe über die üblen Missstände in seinem Fachbereich.
Wien, 27. September 2021 | Bis zuletzt gab es in Wien neben dem Allgemeinen Krankenhaus (AKH) fünf Spitäler mit einer urologischen Abteilung: das Krankenhaus Hietzing, das Wilhelminenspital, das Donauspital, die Rudolfstiftung und das Kaiser-Franz-Josef-Spital. Im Zuge der Einsparungen und des neuen Spitalskonzepts des Wiener Gesundheitsverbunds wurde im Juni 2021 die Urologie im Krankenhaus Hietzing geschlossen und ins Wilhelminenspital verlegt.
Auch in der Rudolfstiftung wird es künftig keine Urologie mehr geben, sie wird in das Donauspital und in das Kaiser-Franz-Josef-Spital nach Favoriten übersiedeln. Es bleiben drei Krankenhäuser. Im modernen Spitalswesen gehe der Weg fort von kleineren Einheiten hin zu größeren Schwerpunktzentren mit höheren Fallzahlen und mehr Expertise, begründet der Gesundheitsverbund die Veränderungen.
Weniger Abteilungen, weniger Kapazität – “Das ist irre”
Die Realität sehe aber anders aus, wie ein Wiener Urologe gegenüber ZackZack erklärt. Die Umstrukturierungen würden erhebliche Missstände im System mit sich bringen:
“Dass es unrund läuft, spürt man eigentlich schon, seitdem Hietzing zu ist, die Patienten werden ja nicht weniger. Diese verteilen sich jetzt auf weniger Plätze, die noch dazu weniger Kapazität haben, das ist irre.”
Das Wegfallen der Abteilung in der Rudolfstiftung werde die Situation noch weiter verschärfen, ist der Facharzt überzeugt. Dort habe man pro Tag drei Operationssäle bespielt, jetzt werde man in eine Abteilung eingegliedert, die nur einen Operationssaal habe. Wartezeiten auf Operationen, die jetzt durch Corona ohnehin schon verlängert werden würden, wären damit vorprogrammiert. Das Personal in den restlichen Urologien könne die Patientenströme nicht mehr abfangen. Die Folge: Fehler in der Behandlung von Patienten häufen sich.
“Einer der Patienten etwa wurde mit dem Taxi in ein anderes Krankenhaus geschickt und hätte durch die Verzögerungen fast den Hoden verloren. Dem haben wir den Hoden dann noch retten können, aber es kann nicht sein, dass solche Fälle an der Tagesordnung stehen”,
so der Urologe gegenüber ZackZack.
Taxidienst “einzigartig in einer Weltstadt, wie Wien sie ist”
Es sind aber auch andere Situationen, die die Verantwortlichen des KAV bei der Zusammenlegung nicht berücksichtigt hätten. Man vergesse, dass bei Operationen anderer medizinischer Abteilungen auch immer wieder Fehler passieren, wo man dann einen Urologen brauche. Alleine “Kleinigkeiten” wie das Anlegen eines Katheters würden zeigen, dass Spitäler urologisch mitversorgt werden müssen.
Besonders schlecht sei die Situation im KH Nord: “Dort ist es zum Beispiel so gewesen, dass man eine große Operation hatte, wo der Harnleiter abgeschnitten wurde, was bei einer Tumor-Operation passieren kann. Dann war aber kein Urologe da, der kam dann mit dem Taxi, was dazu geführt hat, dass der Patient zwei Stunden mit offenem Bauch dort in der Narkose gelegen ist. Das ist grotesk.”
Dass Ärzte mit dem Taxi bei operativen Notfällen in ein Krankenhaus gerufen werden, sei “einzigartig in einer Weltstadt, wie Wien sie ist”, und dürfe nur eine “provisorische Lösung” sein.
Gesundheitsverbund verteidigt Taxi-System
Auf ZackZack-Anfrage betont der Wiener Gesundheitsverbund, dass es sich bei den angesprochenen Taxi-Diensten um eine “Konsiliartätigkeit” (beratende Unterstützung von Ärzten untereinander, Anm.) handle. Sollte im KH Nord, in der Rudolfstiftung oder in Hietzing plötzlich ein urologischer Eingriff nötig und ein Patient nicht transferierbar sein, wird entsprechend eines Bereitschafts-Dienstrades ein Arzt des jeweiligen Partnerspitals hinzugezogen. Aus der bisherigen Zusammenarbeit zwischen dem Donauspital und dem KH Nord wisse man, dass dies nur etwa zwei Mal pro Quartal passiere.
Allgemein seien Verzögerungen und Gefährdungen von Patienten im Rahmen einer gerade anlaufenden Etablierung von Schwerpunktzentren “nicht nachvollziehbar”. “Grundsätzlich gilt: Patient*innen, die urologisch versorgt werden müssen, werden immer in der entsprechenden Fachabteilung behandelt”, heißt es in der Stellungnahme des Gesundheitsverbunds.
Warum jetzt während Corona?
Trotzdem sei das Personal in Ottakring, Donaustadt und Favoriten alles andere als glücklich über die Mehrbelastung in ihren Spitälern. So hätten im Wilhelminenspital jüngst wieder zwei Pflegekräfte das Handtuch geworfen. Jetzt, wo Stationen wieder aufgrund von Covid19-Patienten geschlossen würden und Personal dafür abgezogen werde, verschärfe sich die Situation wieder.
“Wenn ich früher einen Patienten in der Praxis hatte, konnte ich den innerhalb von vier Wochen operieren, das wird es nicht mehr geben. Jetzt mit Corona kann man das vergessen. In Favoriten etwa war die Urologie schon letztes Jahr zu, weil die Schwestern abgezogen wurden wegen Covid-Patienten. Das wird dieses Jahr genau so sein”,
so der Mediziner.
Warum fährt man also trotz der Erfahrungen des letzten Jahres weiter mit den Zusammenlegungen fort? Beim Gesundheitsverbund betont man, dass “die Bildung von urologischen Schwerpunktzentren, die seit über einem Jahr vorbereitet wird, in keinem Zusammenhang mit der Covid-19-Versorgung steht”. Bei Kündigungen von überfordertem Personal handle es sich um eine übliche Fluktuation: “Mitarbeiter*innen möchten sich immer wieder beruflich verändern, viele gehen auch in die Bundesländer zurück.”
Der Trend gehe weiter in diese Richtung, auch in der Neurochriurgie und der Kardiologie sind ähnliche Veränderungen geplant. In den nächsten Monaten werde es “krachen”, ist der Urologe überzeugt. Es werde nach und nach an Personal fehlen, da nach den Abgängen so gut wie nichts nachkomme.
(mst)
Titelbild: APA Picturedesk