Großer Bedarf bei Beratungen
Jedes sechste Kind in Österreich lebt mit psychisch erkrankten Eltern. Das Projekt #visible bietet seit einigen Monaten Unterstützung an. Um den gesamten Bedarf zu decken, bräuchte es mehr Geld.
Wien, 22. Februar 2022 | “Ich habe die erste Stunde geschwänzt und probiert, den Psychiater meiner Mama zu erreichen. Aber der ist auf Urlaub. Liegt wahrscheinlich irgendwo in Costa Rica am Strand und schlürft Mojitos, während ich hier bin und dringend jemanden brauche, der mir sagt, was ich mit meiner Mama machen soll.”
Dieser Textauszug stammt aus einem Blogpost vom letzten Jänner. Geschrieben hat ihn „Ayla“. Sie lebt mit einem Elternteil, der psychisch erkrankt ist, wie auch 275.000 andere Kinder und Jugendliche bis 19 Jahre in Österreich. Belastend ist dabei vor allem der Rollentausch zwischen Eltern und Kind, wenn die Kinder plötzlich diejenigen sind, die die Verantwortung tragen müssen. Eltern haben oft Angst, sich nicht gut genug um die Kinder zu kümmern. Beiden Seiten bleibt das Gefühl, mit ihren Sorgen allein zu sein. Während der Covid-19-Pandemie kaum andere Sozialkontakte zu haben und somit auf die Familie zurückgeworfen zu sein, erschwert die Situation zusätzlich.
Über ein Tabuthema informieren
Obwohl jedes sechste Kind in Österreich betroffen ist, wird kaum darüber gesprochen. Es ist nach wie vor ein Tabuthema und das macht es den Betroffenen noch schwerer. Anfang November ging das Projekt #visible online, das diesen Umstand durch niederschwelligen Zugang zu Informationen ändern will.
Die Web-Plattform bietet Erfahrungsberichte von Betroffenen, Info-Material, einen Podcast mit Betroffenen-Interviews, Online-Chatberatung und auch Beratungen über Organisationen vor Ort. Auch Freizeit-Aktivitäten und Ausflüge werden über #visible angeboten um Familien zu entlasten.
Das Hauptanliegen: #visible soll Kinder psychisch kranker Eltern unterstützen und diese in der Öffentlichkeit sichtbar machen. Hinter dem Projekt stehen die Beratungsorganisationen „pro mente Oberösterreich“, „hpe“ (Hilfe für Angehörige psychisch Erkrankter) und „Jojo“ (für psychisch belastete Familien) in Salzburg. Im Zuge des Projekts wurden auf mehr Beratungsangebote vor Ort geschaffen, drei mehr sind es jetzt in Oberösterreich. Die Idee zu #visible kam von den Organisationen, finanziert wird das Projekt durch das Gesundheitsministerium.
Große Nachfrage, wenig öffentliche Präsenz
Und das scheint zu funktionieren, die Anfragen steigen kontinuierlich, sagen die Projektverantwortlichen, das Projekt sei gut angelaufen: „Wir haben weit über zwei Millionen Menschen mit dem Thema erreicht, was unsere Ziele weit übertroffen hat.“ Konkret habe #visible bisher 200 jungen Betroffene und deren Familien online oder vor Ort betreut, teilte Projektleiterin Birgit Blochberger vergangene Woche in einer Aussendung mit.
Obwohl das Projekt Kinder mit psychisch erkrankten Eltern in der Öffentlichkeit sichtbar machen soll, sucht man eine Werbekampagne im öffentlichen Raum bisher vergebens. Wegen Corona und der Verlagerung des Lebens nach innen habe man sich auf digitale Werbung konzentriert, heißt es von #visible gegenüber ZackZack. Man habe Werbung auf Instagram geschalten, um eine junge Zielgruppe zu erreichen, auf TikTok werde man das auch bald tun. Über Facebook wolle man vor allem die Öffentlichkeit erreichen. Der eigene Instagram-Account des Projekts hat bisher nur knapp 370 Abonnenten. Auch das müsse sich noch entwickeln, so #visible. Eine Werbekampagne im öffentlichen Raum sei jedenfalls in Planung.
Hoffnung auf Verlängerung
„Wir wissen, dass der Bedarf auf jeden Fall größer ist als wir abdecken können“, heißt es von Projektseite. Im Rahmen des Budgets sei die längerfristige Betreuung von 200 Betroffenen und ihren Familien auf jeden Fall ein guter Schnitt. Für mehr bräuchte man mehr Budget, es gehe jedoch vorrangig darum, die Betreuten so gut wie möglich zu unterstützen. Und #visible ist ein Teil eines größeren Netzwerks. Die Organisationen hinter dem Projekt arbeiten sei Jahren in dem Bereich und tun dies auch weiterhin.
Weil es nicht überall in Österreich Standorte vor Ort gibt, setzt man bei #visible vor allem auf eine Online-Chat-Beratung. Es kann auch auf Telefon-Beratung oder persönliche Beratung mit erfahrenem Beratungspersonal umgestiegen werden. Das Wichtigste dabei sei, dass jede Person mit ihren Problemen gehört werde. Auch eine Gruppe junger betroffener Erwachsener berät die Initiative.
Das Projekt ist bis Ende April 2022 befristet. #visible hat beim Gesundheits- und Sozialministerium bereits um eine Verlängerung der Förderungen angesucht. Auf eine Anfrage von ZackZack an das Ministerium, ob und unter welchen Bedingungen das Projekt verlängert werden wird, kam keine Antwort.
(sm)
Titelbild: visible/iStock