Samstag, Oktober 5, 2024

»Verrat!« – Querdenker rechnen mit einsichtigem Naidoo ab

»Verrat!«

Es herrscht Aufruhr im Lager der Verschwörungsanhänger. Einer ihrer prominentesten Akteure, der Sänger Xavier Naidoo, wandte sich in einer Videobotschaft von ihnen ab. Experten sind sich einig: Naidoos Weg hinaus aus der Szene wird kein leichter sein.

Berlin, 21. April 2022 | Xavier Naidoos offensichtlicher Sinneswandel war Dienstagabend für viele wie ein Schlag ins Gesicht. Auf Youtube veröffentlichte der Söhne-Mannheims-Sänger völlig unerwartet ein Video, in dem er sich von seinen Theorien und Sichtweisen lossagt. Zwei Tage danach fragt sich das ganze Netz: Ist er wirklich einsichtig? Und wenn ja, war der Ukrainekrieg tatsächlich der Auslöser für sein Umdenken? In sämtlichen Internetforen der Querdenker-Szene werden indes alle möglichen Theorien aufgestellt.

“Das ist nicht der echte Xavier!”

Das Video sei ein “Fake”, hier würde es sich nicht um “den echten” Naidoo handeln oder er sei gar “gezwungen” worden, sich zu entschuldigen, war seit Veröffentlichung vor allem in den einschlägigen Telegram-Gruppen zu lesen. Ein User vermutet, dass ihm “der Arsch auf Grundeis” gehe und er “keine Kohle” mehr habe. Manch einer sah gar die fehlende Sonnenbrille – der Sänger trägt sie laut einem Interview die meiste Zeit, weil er an einer leichten Form von Epilepsie leide –  als Zeichen dafür, dass irgendetwas nicht stimmen dürfte.

Es dauerte auch nicht lang, bis andere namhafte Verschwörungserzähler reagierten. Der rechtsextreme Aktivist Attila Hildmann warf seinem ehemaligen Gesinnungsgenossen in seinem Blog “Verrat” vor: “Xavier Naidoo ist jetzt brav geworden. Er möchte zurückkommen und seinen Weg zurück in die kranke, völlig geistesgestörte Gesellschaft ebnen. Respekt: null.”

Auch Schlagerstar Michael Wendler, der sich seit Ausbruch der Pandemie in der Querdenker-Szene wohlfühlt, tobte in seinem Telegram-Kanal: “Xavier schockiert die Freiheitsbewegung mit Aussagen in seinem Video!” Die Wahrheit sei “nicht verhandelbar”.

Querdenker orten “Deal”  und “Erpressung”

Das Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS), eine gemeinnützige Organisation, die auf das Analysieren von Verschwörungsideologien und ihren Entwicklungen spezialisiert ist, hat sich die Reaktionen im Querdenker-Netzwerk genauer angesehen. In einer Online-Diskussion, durch die der deutsche Ex-Journalist und Verschwörungsideologe Oliver Janich führte, war man sich dem CeMAS-Überblick nach überwiegend einig, dass “Naidoo nur zum Schein ein Statement abgegeben hatte: Mögliche Hintergründe vermuten sie durch Erpressung oder Angst vor Strafe, die Distanzierungen seien extra vage gehalten – um die Bewegung nicht zu spalten”. Der Schluss, den Janich und Co. daraus ziehen: Naidoo ist noch der Alte, seine Einstellung diesselbe wie vorher.

Andere rechte Akteure orten im Statement Naidoos eine Strategie des Sängers und sind sich sicher, dass er “zurückkommt”. Auch die Wörter “Deal” und “Druck von der Staatsanwaltschaft” wurden genannt.

Experte: Mit Videostatement ist es nicht getan

Viele Anhänger des “alten” Xavier Naidoos aber auch viele, die nicht dem Querdenker-Lager zuzurechnen sind, wollen dem Sänger seinen Sinneswandel also nicht abkaufen. Der Politikwissenschafter und Geschäftsführer des CeMAS Josef Holnburger schrieb dazu auf Twitter: “Wenn er sich jetzt tatsächlich distanzieren will, braucht es mehr als ein vages Distanzieren von unbenannten Gruppen und Sichtweisen.” Es brauche möglicherweise juristische Konfrontation und Aufarbeitung. “Der von ihm verbreitete Antisemitismus ist nicht mit einem Videostatement weg.”

Der Publizist Max Czollek twitterte: “Am Ende ist es mir egal, ob #XavierNaidoo durch Geldmangel, öffentlichen Druck oder echte Einsicht zur Erkenntnis gekommen ist, dass sein menschenverachtendes Verschwörungszeug Unsinn ist. Die Szene hat ihre prominenteste Stimme verloren. Und das ist ein Grund zum Feiern.”

Ukrainekrieg wirklich Auslöser für Umdenken?

Naidoo

begründete im Video seinen Umschwung mit dem Krieg in der Ukraine. Seine Frau sei aus dem Land. “Die Welt scheint wie auf den Kopf gestellt und ich habe mich gefragt, wie es so weit kommen konnte”. Er habe viel mit Betroffenen gesprochen – und sich kritischen Fragen zu Äußerungen von sich stellen müssen, wofür er sei dankbar sei. “Ich habe erkannt, auf welchen Irrwegen ich mich teilweise befunden habe und dass ich in den letzten Jahren viele Fehler gemacht habe.”

Ein harter Schnitt für Naidoo. In der Vergangenheit bezog er eigentlich immer Positionen pro Putin. Auf dem Kanal “Xavier Naidoo (offiziell)” (später umbenannt) teilte er immer wieder Nachrichten des Kanals “Putin Fanclub” und feierte ihn als “Befreier Russlands und der Welt”. Eine mehrheitliche Positionierung pro Russland bzw. pro Putin sei laut einer CeMAS-Analyse übrigens nicht überraschend, da sie bereits seit Jahren Teil des verschwörungsideologischen Milieus sei.

(mst)

Titelbild: APA Picturedesk

Autor

  • Markus Steurer

    Hat eine Leidenschaft für Reportagen. Mit der Kamera ist er meistens dort, wo die spannendsten Geschichten geschrieben werden – draußen bei den Menschen.

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