Anhänger von Brasiliens rechtspopulistischen Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro haben am Sonntag das Regierungsviertel gestürmt und dort randaliert. Die Polizei der Hauptstadt Brasília sah teils tatenlos zu.
Brasília, 09. Jänner 2023 | Radikale Anhänger von Brasiliens Ex-Präsident Jair Bolsonaro haben das Regierungsviertel in der Hauptstadt Brasília gestürmt und kurzzeitig die Schaltzentralen der wichtigsten Staatsgewalten des Landes unter ihre Kontrolle gebracht. Sie drangen am Sonntag (Ortszeit) in den Nationalkongress, den Obersten Gerichtshof und den Regierungssitz Palácio do Planalto ein und randalierten in Sitzungssälen und Büros. Nach Stunden wurden sie von Sicherheitskräften wieder vertrieben. Der Sturm fand beinahe genau zwei Jahre nach dem Sturm auf das US-Kapitol in Washington am 6. Jänner 2021 statt.
Präsident da Silva: „Das war Barbarei“
“Was sie heute getan haben, ist beispiellos in der Geschichte des Landes”, sagte der neue Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva, der zum Zeitpunkt der Attacke selbst nicht in der Hauptstadt war. “Das war Barbarei. Das waren Faschisten. Sie müssen gefunden und bestraft werden.” Der Linkspolitiker hatte Brasilien bereits zwischen 2003 und 2010 regiert und erst vor einer Woche als erster demokratisch gewählter Präsident des südamerikanischen Landes eine dritte Amtszeit angetreten.
Zerstörung und Plünderungen
Die Straßensperren und die wenigen präsenten Beamten hatten keine Chance gegen die Menge. Die Demonstranten standen bald auf dem Dach des Kongresses und schwenkten brasilianische Nationalflaggen. Kurz darauf drangen sie auch in den Obersten Gerichtshof und den Regierungssitz ein.
https://twitter.com/davidrkadler/status/1612152507727499265
Im Inneren der Gebäude ließen die Randalierer ihrem Hass auf die neue Linksregierung freien Lauf. Sie stießen Sessel und Schreibtische um, warfen Fensterscheiben ein, beschädigten Kunstwerke und schmierten Parolen an die Wände. Ein Angreifer nahm sogar die Bürotür des bei Bolosonaro-Anhängern besonders verhassten Bundesrichters Alexandre de Moraes als Trophäe mit.
Polizei machte Selfies
Gerade zu Beginn der Krawalle gab die Polizei keine gute Figur ab. Schon seit Tagen kampierten zahlreichreiche Bolsonaro-Anhänger vor dem Hauptquartier der Streitkräfte. Als am Samstag und Sonntag rund 4.000 weitere Unterstützer des Ex-Präsidenten in Bussen in der Hauptstadt eintrafen und zum Regierungsviertel zogen, wurden sie sogar von Beamten eskortiert.
Polizisten machten Selfies mit den Demonstranten und drehten Handy-Videos, wie im Fernsehen zu sehen war. Als der Mob das Regierungsviertel stürmte, stellten sich ihm jedenfalls nur wenige Beamte entgegen.
https://twitter.com/davidrkadler/status/1612154312582651904
Tränengas
Der Sicherheitschef von Brasília, Anderson Torres, war unter Bolsonaro Justizminister und gilt als Gefolgsmann des Ex-Präsidenten. Er wurde noch am Sonntag entlassen. Lula stellte die öffentliche Sicherheit in der Hauptstadt per Dekret unter Bundesaufsicht. Erst nach Stunden brachten die Sicherheitskräfte die Lage wieder unter Kontrolle. Die Militärpolizei rückte mit Reiterstaffeln und gepanzerten Fahrzeugen auf den Platz der drei Staatsgewalten im Zentrum der Hauptstadt vor. Spezialkräfte setzen Tränengas ein, Hubschrauber kreisten über dem Regierungsviertel. Rund 230 Verdächtige wurden festgenommen, wie Justizminister Flavio Dino mitteilte.
Ex-Präsident Bolsonaro verurteilt Angriff
Bolsonaro verurteilte den Angriff seiner radikalen Anhänger auf das Regierungsviertel. “Friedliche Demonstrationen sind Teil der Demokratie. Plünderungen und Überfälle auf öffentliche Gebäude, wie sie heute stattgefunden haben, fallen jedoch nicht darunter”, schrieb der rechte Ex-Staatschef auf Twitter. “Während meiner gesamten Amtszeit habe ich mich stets an die Verfassung gehalten und die Gesetze, die Demokratie, die Transparenz und unsere heilige Freiheit geachtet und verteidigt.”
– Manifestações pacíficas, na forma da lei, fazem parte da democracia. Contudo, depredações e invasões de prédios públicos como ocorridos no dia de hoje, assim como os praticados pela esquerda em 2013 e 2017, fogem à regra.
— Jair M. Bolsonaro (@jairbolsonaro) January 9, 2023
Lula dagegen warf Bolsonaro vor, seine Anhänger aufgestachelt zu haben. “Sie nutzten die sonntägliche Stille, als wir noch dabei waren, die Regierung zu bilden, um zu tun, was sie taten. Es gibt mehrere Reden des ehemaligen Präsidenten, in denen er dies befürwortet. Dies liegt auch in seiner Verantwortung und in der Verantwortung der Parteien, die ihn unterstützt haben”, sagte Lula. Bolsonaro verbat sich die Anschuldigungen. “Ich weise die Vorwürfe zurück, die der derzeitige Chef der brasilianischen Regierung ohne Beweise erhebt”, schrieb er.
Erinnerungen an Kapitol-Sturm
Die Szenen in Brasília erinnerten an die Ausschreitungen am Sitz des US-Kongresses in Washington am 6. Jänner 2021. Damals hatten Anhänger von Donald Trump das Kapitol gestürmt, in dem die Wahlniederlage des Republikaners gegen Joe Biden beglaubigt werden sollte. Die Menge drang gewaltsam in das Gebäude ein, fünf Menschen starben.
Bolsonaro supporters attacking federal buildings in Brasilia. National Congress and the Planalto Palace, the seat of executive power, both broken into. Images of shattered windows and ransacked workspaces, all painfully reminiscent of Jan. 6. pic.twitter.com/esvFYE0HcC
— Alejandro Alvarez (@aletweetsnews) January 8, 2023
US-Präsident Biden nahm nannte die Vorfälle in Brasilien nach Angaben seiner Sprecherin “ungeheuerlich”. “Unsere Unterstützung für die demokratischen Institutionen Brasiliens ist unerschütterlich”, erklärte sein Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan.
Internationaler Rückhalt für da Silva
Auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell stärkte der neuen Regierung von Lula den Rücken. “Die EU verurteilt die antidemokratischen Akte der Gewalt, die am Sonntag, den 8. Jänner, im Herzen des Regierungsviertels von Brasília stattgefunden haben”, teilte Borrell am Sonntagabend mit. “Die brasilianische Demokratie wird über Gewalt und Extremismus siegen”, hieß es weiter.
Von Mexiko bis Chile haben Staatschefs in Lateinamerika die Randale radikaler Anhänger des früheren brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro verurteilt. Zugleich sagten sie dem Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva ihre Solidarität zu.
Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) verurteilte die Erstürmung in einem englischsprachigen Tweet “aufs Schärfste”. Angriffe auf demokratische Institutionen seien “völlig inakzeptabel”. Die Verursacher müssten zur Rechenschaft gezogen werden.
I strongly condemn the outrageous attacks on executive, legislative and judicial bodies in #Brazil!
Such assaults on democratic institutions are completely unacceptable. Perpetrators must be held to account. https://t.co/caMGnY5OrI
— Alexander Schallenberg (@a_schallenberg) January 8, 2023
Bolsonaro stichelte schon vor Wahl
Der rechte Präsident Bolsonaro war im vergangenen Oktober dem Linkspolitiker Lula in der Stichwahl unterlegen und zum Jahreswechsel aus dem Amt geschieden. Bereits vor der Wahl hatte er immer wieder vor Wahlmanipulation gewarnt, ganz nach dem Muster von Ex-US-Präsident Donald Trump. Beweise dafür legte er allerdings nie vor.
Auch nach der Abstimmung erkannte er seine Niederlage nie ausdrücklich an. Seine Anhänger blockierten immer wieder Landstraßen, kampierten vor Kasernen und forderten eine Militärintervention zugunsten des abgewählten Staatschefs.
(pma/apa)
Titelbild: SERGIO LIMA / AFP / picturedesk.com