Wie jedes Jahr sind die Weihnachtszeit und die Feiertage für mich eine Zeit des Rückblicks, aber auch des verstärkten Wahrnehmens von Armut.
Während für uns die Weihnachtszeit inzwischen eine ist, die wir als Familie genießen können, gibt es noch immer viel zu viele Menschen, denen Weihnachten Sorgen bereitet. Denn bei einigen weicht das behagliche Weihnachtsglück der Entbehrung und Beschämung.
Doch dazu später mehr. Denn zunächst will ich von der ereignisreichen Zeit vor Weihnachten erzählen.
Der eigenen Vorurteile bewusst werden
Da gabs zum einen eine Lesung in einer Schule, die erste dieser Art und ja, ich war extrem nervös. Wie würden Schüler*innen mit so einem schwermütigen Thema wie Armut umgehen? Wie lange würden sie aufmerksam zuhören? Doch es hat mir gezeigt, wie tief auch meine eigenen Vorurteile noch sitzen, denn sie haben nicht nur die gesamte Zeit zugehört, sondern sogar unglaublich interessante Fragen gestellt.
Soviel zum Thema, die Jugend sei oberflächlich. Genau das Gegenteil war der Fall. Es hat mir gezeigt, dass Sensibilisierung über Armut und Beschämung wirklich bereits in den Schulen passieren sollte, damit es in Zukunft einfach komplett normal ist, darüber zu sprechen. Zu sagen “Ich bin arm” sollte so einfach über die Lippen kommen wie „Ich geh heute zum Friseur”. Ja, bestimmt ein langer Weg, aber die Hoffnung ist da.
Bei einer anderen Veranstaltung kam danach ein Pädagoge zu mir. Weil ihm erst jetzt bewusst wurde, weshalb Schüler*innen seiner Klasse merkwürdig reagierten, als er gegen Monatsende meinte, sie bräuchten bis zum nächsten Tag neue Hefte. Es war ihm nie bewusst, wie schwierig selbst 3 Euro sein können und wie stark das sogar die Kinder belastet. Weil diese wissen, wie viel Stress es für die Eltern bedeutet, wieder extra Geld auszugeben, wenn sie nicht damit gerechnet hatten. Er wird in Zukunft solche Anschaffungen immer mehrere Tage vorher bekannt geben und vor allem eher zu Beginn des Monats.
Es sind diese kleinen Dinge, die oft einen großen Unterschied machen. Und es berührt mich jedes Mal wieder, wenn manchen dies bewusst wird.
Außerdem gabs eine Weiterbildung mit Elementarpädagog*innen, bei der nicht nur über die Entstehung von Armut, über die strukturellen Ursachen und die Folgen davon gesprochen wurde, sondern auch über ganz konkrete Alltagssituationen und wie diese mit kleinen Hebeln beschämungsfrei zu lösen wären. Sodass es nicht mehr an den Pädagog*innen hängen bleibt, immer wieder Eltern nachtelefonieren zu müssen, weil zum Beispiel noch Geld fehlt. Es gibt sie, diese kleinen Schritte, und sie werden mehr und mehr umgesetzt. Zum Beispiel die Kleiderecke, in der Gebrauchtes abgegeben werden kann. Die aber nicht unter dem Deckmantel des „nicht leistbar” läuft, sondern unter “Nachhaltigkeit”. Dadurch fällt die Scham weg und sie wird wesentlich besser genutzt. Es funktioniert. Wenn man sensibilisiert.
Der Unterschied zu früher: Perspektiven!
Intensiv wird auch das Neue Jahr, mit einigen Lehrveranstaltungen an Hochschulen, mit einem großen Projekt zur Sensibilisierung und mit zahlreichen kleineren, aber umso wichtigeren Veranstaltungen. Mein Jahr ist voll und ich kann in Ruhe vorausschauen. Habe Perspektiven. Und mache das, was mir am meisten am Herz liegt: aufklären über die Folgen von Armut und Beschämung.
Wenn ich jetzt ein paar Jahre zurück denke, so war diese Zeit vor Weihnachten mit die schlimmste im ganzen Jahr. Der Stress, der Druck, alles so gut wie möglich zu schaffen, die Wichtelgeschenke für die Schule zu beschaffen, mit den Kindern sämtliche Veranstaltungen zu besuchen und immer noch ein paar Euro in der Tasche zu haben, um nicht jedes einzelne Mal nein sagen zu müssen, wenn‘s einen Kakao oder Kekse gab. Der Druck mit den Weihnachtsgeschenken, auch wenn die Kinder aufgehört hatten, sich etwas zu wünschen (alle Kinder haben Wünsche, doch jene aus armutsbetroffenen Familien hören auf, sie zu benennen, weil sie wissen, was es für die Eltern bedeutet).
All das liegt nun zurück. Und doch auch nicht. Denn selbst wenn es uns nun besser geht, ist mein Postfach voll mit Nachrichten von Menschen, die auch heute noch in dieser Situation sind und die Weihnachten am liebsten abschaffen würden. Ich kann und werde nie vergessen, woher ich komme, so wie manche, die dann kommentieren „Aber ich hab´s doch auch geschafft”.
Ja, hast du. Als eine der wenigen, denn sozialer Aufstieg ist und bleibt ein Mythos und solange sich die Strukturen nicht ändern und Menschen in prekären Jobs festhängen oder durch Erkrankungen in Armut leben, genauso lange gilt dieses “selbst geschafft” nicht. Denn es braucht immer auch Glück dazu. Ich hatte es. Zu viele leider nicht. Zu viele, die keine Perspektiven haben oder sie gar nicht mehr sehen. Und ihnen widme ich in dieser Zeit meine Gedanken.
Und meine Hoffnung, dass Armut endlich nichts mehr ist, weswegen sie beschämt werden.
Titelbild: Christopher Glanzl