Dienstag, April 30, 2024

Video: Herr Ludwig, sollen Wiener Türken wählen dürfen?

Der nächste Teil unseres großen Interviews: Wir haben Bürgermeister Michael Ludwig gefragt, wer in Wien künftig wählen darf und ob er demnächst wieder den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan trifft.

Wien | Ein Luster hängt von der Decke, an den Wänden goldumrahmte Bilder, in der Ecke steht ein rotes Samtsofa. Und mitten in diesem großen, ehrwürdigen Saal steht der mächtigste Politiker der Hauptstadt: Bürgermeister, Landeshauptmann und SPÖ-Wien-Chef Michael Ludwig. ZackZack Türkiye trifft ihn zum Gespräch. Es geht um Demokratie, wer in Wien wählen darf und die anstehende Türkeireise des Bürgermeisters.

(C) ZackZack/Christopher Glanzl

ZackZack Türkiye: Österreich hat eines der restriktivsten Staatsbürgerrechte der Welt. Sie haben jüngst auf der Wienkonferenz eine Reform der Staatsbürgerschaft angedacht und haben dabei den deutschen Bundeskanzler Willy Brandt zitiert mit „Mehr Demokratie wagen“. Was bedeutet der Satz für Sie genau?

Michael Ludwig: Ja, es ist ein Faktum, dass viele Menschen ausgeschlossen sind an Wahlen teilzunehmen. Es waren bei der Bundespräsidentenwahl rund 1,4 Millionen Menschen. Wahlen sind nicht die einzige Möglichkeit politisch zu gestalten, aber doch eine sehr wichtige. Ich erachte das derzeitige Staatsbürgerschaftsrecht deshalb auch als ungerecht, weil es hier, was den Aufenthaltstitel betrifft, sehr starke wirtschaftliche und damit verbunden soziale Hürden gibt. Man benötigt zumindest 1.100 Euro Einkommen für eine Person, davon schon abgerechnet Miete und sonstige regelmäßigen Kosten. Das bedeutet, dass es für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in manchen Branchen fast unmöglich ist, einen Aufenthaltstitel zu bekommen und damit auch das Staatsbürgerschaftsrecht.

Wenn ich daran denke, dass beispielsweise beim Reinigungspersonal in etwa 90 Prozent der Menschen, die dort tätig sind, keine österreichische Staatsbürgerschaft haben – auch im Pflegebereich sind es zwischen 70 und 80 Prozent -, dann sieht man, dass das einen sehr starken wirtschaftlichen Hintergrund hat. Das finde ich politisch ungerecht und von daher finde ich es gut, dass Menschen mit hohen Einkommen den Zugang zur österreichischen Staatsbürgerschaft finden. Das sollte auch jenen möglich sein, die unsere Wirtschaft, unsere Gesellschaft am Laufen halten, aber vielleicht in Branchen tätig sind, wo die Einkommenshöhen niedriger sind.

Sie halten ja inzwischen ein Wahlrecht auch für Drittstaatsangehörige auf Bezirksebene für denkbar. Bei der letzten Wien-Wahl war ein Drittel der Wienerinnen und Wiener nicht wahlberechtigt. Sollen Drittstaatsangehörige, also auch türkeistämmige Menschen, bei der nächsten Wien-Wahl wählen dürfen?

Ja, man muss da immer unterscheiden zwischen der Wahl für Bezirksvertretungen beziehungsweise für den Gemeinderat. Das ist deshalb zu unterscheiden, weil Gemeinderat und Landtag in Wien ident sind. Der große Unterschied ist, dass sehr viele Agenden über den Gemeinderat abgewickelt werden, Gesetze aber über den Landtag laufen und dort beschlossen werden. Das heißt: Überall dort, wo Gesetze beschlossen werden, ist eine österreichische Staatsbürgerschaft notwendig. Das ist der Grund, dass es zwar kein Wahlrecht für Ausländer auf Ebene des Gemeinderates und Landtages gibt, sehr wohl aber für EU-Bürgerinnen und Bürger auf Bezirksebene. Nachdem wir im Rahmen der Dezentralisierung in Wien sehr starke Rechte auch den Bezirken gegeben haben, ist das eine gute Möglichkeit mitzugestalten. Ich kann mir gut vorstellen, dass es nicht beschränkt bleibt auf EU-Bürgerinnen und Bürger, sondern dass man dieses Recht mitzuwirken bei den Bezirksparlamenten auch Drittstaatsangehörigen eröffnet.

(C) ZackZack/Christopher Glanzl

Wenn wir einen Blick in die Zukunft wagen: Können Sie sich eine Zukunft vorstellen, in der alle in Wien lebenden Menschen wählen dürfen?

Ja, es wäre natürlich schön, wenn möglichst viele Menschen generell die Möglichkeit haben mitzuwirken, auch mithilfe des Wahlrechtes. Es ist so, dass in Wien jeder Dritte schon nicht mehr an der Wahl teilnehmen kann, in manchen Bezirken ist es schon die Hälfte, zum Teil sogar mehr. Es gibt Bezirke, wo das aufgrund der Zusammensetzung der Bevölkerung jetzt schon so ist, und von daher war auch diese Vorschläge, die ich gemacht habe bei der Themenkonferenz der SPÖ Wien, in diese Richtung gedacht: mehr Menschen einzubinden und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich an einer Wahl zu beteiligen, zum Beispiel auch bei der Zusammensetzung der Bezirksparlamente.

Angenommen, Sie setzen sich nicht durch gegenüber dem Bund mit einer Staatsbürgerschaftsrechtsreform, ist es dann nicht demokratiepolitisch eine problematische Aussicht, dass eine Minderheit über die Mehrheit wird entscheiden können?

Ja, Sie haben Recht, also für gravierende Änderungen im Wahlrecht ist eine Mehrheit im österreichischen Parlament notwendig, im Nationalrat, im Bundesrat – das zeichnet sich aufgrund der Zusammensetzung nicht ab. Es gibt da starke Vorbehalte, insbesondere bei FPÖ und ÖVP. Das finde ich bedauerlich, dass es hier keinen rationalen Zugang zu dem Thema gibt, sondern dass immer versucht wird, mit Emotionen hier politisches Kleingeld zu wechseln. Sinnvoller wäre zu überlegen, wie man überhaupt auch mit der Knappheit am Arbeitsmarkt umgeht, mehr Menschen auch gewinnt am österreichischen Arbeitsmarkt tätig zu sein und das wird nur dann möglich sein, wenn man signalisiert, dass Menschen, die hier leben, auch die Möglichkeit haben mit vollen Rechten hier mitzuwirken. Dazu gehört zweifellos auch das Wahlrecht. Also von daher hoffe ich, dass es möglich sein wird in den nächsten Jahren diese Diskussion zu rationalisieren, weg von den Emotionen und sich anzuschauen, was gut ist für die Wirtschaft, den Arbeitsmarkt, aber auch für die Gesellschaft und die Politik. Und von daher ist Partizipation immer etwas ganz Wichtiges, auch für Integration.

2023 werden in der Türkei Parlaments- und Präsidentschaftswahlen abgehalten. Sie werden in zwei Wochen in die Türkei reisen. Werden Sie sich erneut mit Präsident Erdoğan treffen oder mit anderen AKP-Politikern?

Ja, es sind vor allem Wirtschaftsgespräche vorgesehen. Bei meinem letzten Besuch in der Türkei sind vor allem die Vorbereitungen dieser Wirtschaftsgespräch im Zentrum gestanden, aber auch ein intensiver Kontakt zum Städtebund der Türkei. Ich bin ja nicht nur Wiener Bürgermeister und Landeshauptmann, sondern auch Präsident des österreichischen Städtebundes. Die Stadt Wien hat seit vielen Jahren traditionell schon sehr gute Kontakte zu den drei großen türkischen Städten, also zu İstanbul, Ankara und İzmir, aber auch zu anderen Städten und Regionen. Weil ich auch der Auffassung bin, dass immer dann, wenn es Spannungen gibt, auch auf nationaler Ebene, die Kontakte und Beziehungen zwischen Städten sehr viel Positives bewirken können, in wirtschaftlicher, aber auch gesellschaftlicher und politischer Hinsicht.

(C) ZackZack/Christopher Glanzl

Und von daher treffe ich mich in der Vergangenheit, in der Gegenwart und sicher auch in Zukunft mit Politikerinnen und Politikern unterschiedlicher Parteien, der CHP oder der AKP. Denn es hat ja auch verschiedene politische Wechsel in den Städten gegeben, zum Beispiel in İstanbul und Ankara. Es war mir immer wichtig, dass wir über Parteigrenzen hinweg die Interessen der Menschen in den jeweiligen Städten in den Mittelpunkt rücken und es werden sicher auch die Begegnungen bei meinem nächsten Besuch in der Türkei darauf ausgerichtet sein, wie man die Wirtschaft stärken kann in der Türkei, in Österreich, vor allem in den Städten. Und was kann man tun, um die Beziehungen zu intensivieren, denn wirtschaftlich gute Beziehungen wirken sich im Regelfall positiv auf die Menschen aus.

(C) ZackZack/Christopher Glanzl

Die Wahlen wurden jetzt vorgezogen. Haben Sie nicht die Befürchtung, dass ihr Besuch instrumentalisiert werden könnte?

Zum einem ist mein letzter Besuch nur so lange kritisiert worden, bis dann Bundeskanzler, Nationalratspräsident und Außenminister einige Wochen nach mir dann ihre Kontakte in die Türkei geknüpft haben. Dann war es ja plötzlich wieder mit der Kritik in den Medien vorbei. Ich habe ja bei meinem letzten Besuch schon, neben den offiziellen Kontakten, beispielsweise auch Vertreter der Religionsgemeinschaften getroffen, wie der jüdischen Gemeinde beispielsweise und der armenischen Gruppe. Von daher habe ich meine Besuche, die ja immer sehr kurz sind – das war das letzte Mal mit eineinhalb Tagen auch sehr beschränkt Zeit – doch genützt, möglichst unterschiedliche politische Gruppierungen zu treffen.

Werden Sie eigentlich dieses Mal auch Ihren Istanbuler Amtskollegen treffen, dem wegen eines politisch motivierten Verfahrens eine Haftstrafe sowie ein Politikverbot droht?

Ja. Ich habe gute Kontakte mit İmamoğlu auf schriftliche Art und Weise, sowie auch mit dem Bürgermeister in Ankara. Wir haben Vereinbarungen zwischen Wien, İstanbul und Ankara seit dem Jahre 2011 beziehungsweise 2012, jenes von Ankara haben wir jetzt im Oktober verlängert und das war unabhängig, ob jetzt ein Bürgermeister von AKP oder CHP war (Anmerkung der Redaktion: Bürgermeister von Ankara ist Mansur Yavaş, ehemalig MHP jetzt CHP). Also wir machen da keine Parteipolitik, sondern wir versuchen die Kooperation zwischen den Städten zu intensivieren und es steht mir auch nicht zu hier in die Innenpolitik der Türkei einzugreifen, aber wie gesagt, ich treffe den Bürgermeister von İstanbul, wie auch Regierungsvertreter, um vor allem wirtschaftliche Kontakte zu intensivieren.

(C) ZackZack/Christopher Glanzl

Bald kommt der nächste Teil aus dem großen Bürgermeister-Interview. Darin geht es insbesondere um die Frage, was Ludwig von Klimaklebern der “Letzten Generation” hält.

Das Interview führten Gabriel Hartmann und Anja Melzer. Die Fotos schoss Christopher Glanzl. Video und Audio stammen von Thomas König.

Anja Melzer
Anja Melzer
Hält sich für die österreichischste Piefke der Welt, redet gerne, sehr viel und vor allem sehr schnell, hegt eine Vorliebe für Mord(s)themen. Stellvertretende Chefredakteurin. Sie twittert unter @mauerfallkind.
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5 Kommentare

  1. Das täte ihm so passen dem Schnitzel, seine durchsichtige Strategie ist zwar legitim aber eben eine Fata Morgana. Ab 2024 werden wir den Laden übernehmen und dann kann er sich auf Jahrzehnte sein Vorhaben aufzeichnen. Das werden wir Bürgerlichen im Bund niemals zulassen…..

  2. Herr Ludwig, wieso; als Wasserträger für seinen Vorgänger (er kann ihm nicht einmal das Wasser reichen), konnte ich ihn mir schon nicht vorstellen. Jetzt sitzt er am hohen Ross?

  3. So von der Seite her fotografiert, sieht der Schnitzel-Mike dem Andreas Gabalier ähnlich, Frisur und Gesichtsausdruck.
    ZZ widmet ihm eine Serie. Ludwig zu diesem, Ludwig zu jenem, Ludwig über alles.
    Ob die Frau Melzer dann dafür den Journalistenpreis der Stadt bekommt ? Würde mich nicht wundern, wenn das der wahre Grund wäre, warum man dem Schnitzelkönig dermassen reinkriecht.

  4. Wenn die Ausländer wählen dürfen, dürfen sie dann, eine entsprechende, zukünftig aber nicht gänzlich unwahrscheinliche, Mehrheit vorausgesetzt, auch auf das Sittenbild auf den Strassen Einfluss nehmen?

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