Julia Herr im Interview
ZackZack: Frau Herr, Sie kommen gerade von der UN-Klimakonferenz in Madrid. Manche Beobachter sprachen angesichts der Resultate von „verschenkter Zeit“. War Ihre Reise umsonst?
Julia Herr: Ich würde die Reise mit dem Zug sofort wieder machen, weil sie gezeigt hat, wie schlecht das europäische Schienennetz ausgebaut ist. Zu den Ergebnissen muss ich sagen, dass ich sehr enttäuscht bin. Ganz offensichtlich sind viele Menschen schon weiter als manche Politikerinnen und Politiker, das muss man so deutlich sagen. Sie haben es anscheinend immer noch nicht verstanden.
ZZ: Vielleicht sind große Konferenzen nicht das richtige Setting, um konkrete Schritte zu erreichen? Wie kann man das anders angehen?
JH: Der Ball liegt bei den nationalen Regierungen. Du kannst nicht immer nur Ziele beschließen, irgendwann musst du sie ganz einfach umsetzen. Das passiert aber einfach nicht, auch nicht in Österreich: hier wird ein nationaler Klimaplan vorgelegt, von dem wir bereits wissen, dass er die notwendigen CO2-Einsparungen verfehlen wird. Offenbar geht das für die Regierung in Ordnung – da liegt dann das Problem.
ZZ: Apropos Regierung: Die Zeichen stehen auf Türkis-Grün. Was erwarten Sie von einer solchen Regierung in Sachen Klimapolitik?
JH: Wir werden jede Regierung an ihren Taten messen. Was uns in der SPÖ ein besonderes Anliegen ist: Der Klimawandel muss als soziale Frage verstanden werden. Für jeden Arbeitsplatz, der durch den Umbau der Wirtschaft wegfällt, braucht es einen anderen als Ausgleich. Wir brauchen also Beschäftigungsgarantien – auch in einer CO2-neutralen Zukunft muss es Arbeit für alle geben. Wir dürfen niemanden zurücklassen.
ZZ: Wird sich die „Fridays for Future“-Bewegung (FFF) langfristig halten?
JH: Davon bin ich überzeugt. Weil FFF die Probleme nicht nur auf Individuen abwälzt, nach dem Motto: Kürzer duschen und nur noch Rad fahren – als könnten wir allein durch unser Konsumverhalten den Klimawandel stoppen. Es geht um die Gesamtverantwortung. FFF war vor dem Kanzleramt und hat gerufen: „Basti, hörst du uns?“ Da habe ich mir gedacht, es geht um mehr.
ZZ: Was halten Sie von „Extinction Rebellion? Ist Ihnen das zu radikal?
JH: Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht. Wenn politisch Verantwortliche auf der Seite von klimaschädigenden Interessensgruppen stehen, wird es Zeit für zivilen Ungehorsam.
ZZ: Die ÖBB haben kürzlich den Fahrplan ausgebaut, aber auch die Preise erhöht. Was sagen sie den Hacklern, wenn die Kosten des Netzausbaus auf sie abgewälzt werden?
Julia Herr: Da muss man sich die Rahmenbedingungen anschauen. Dass die Bahn in Österreich teure Bahnabgabe zahlt für Strom, den sie teilweise selbst erzeugt, der Flugverkehr aber teilweise von Abgaben ausgenommen ist, führt dazu, dass es keine Kostenwahrheit gibt. Das Flugzeug kostet uns eigentlich so viel mehr, nur spiegelt sich das nicht in den Ticketpreisen wieder. Die entstehenden Schäden zahlen wir dann über andere Steuern. Die ÖBB haben schlechtere Rahmenbedingungen als eine Fluglinie, obwohl Flugzeuge 30 Mal so viele Emissionen pro Personenkilometer ausstoßen wie die Bahn. Das ist absurd. Wir haben ein System aufgebaut, wo wir das klimaschädlichste Verkehrsmittel zum praktischsten und günstigsten gemacht haben. Das muss in Zukunft die Bahn werden.
ZZ: Warum wurde das bisher nicht geändert? Ist das bloßes Lobbyinteresse oder mangelnder politischer Wille? Die ÖBB gibt es ja nicht erst seit vorgestern.
Julia Herr: Ja, politischer Wille. Die ÖBB waren immer ein heikles Thema bei Koalitionsverhandlungen. Da lagen auch oft Vorschläge von Konservativen am Tisch, die Bahn zu privatisieren. Also natürlich ist das auch immer eine Frage des Budgets und des politischen Willens.
ZZ: Die Klimafrage ist auch eine Generationenfrage. Haben in der SPÖ unterschiedliche Generationen eine jeweils eigene Sicht auf die Wichtigkeit des Themas Klimawandel?
JH: Spannende Frage! Ich bin diesbezüglich im Kontakt mit dem Pensionistenverband der SPÖ, weil es denen ein Anliegen ist zu sagen, dass uns das alle angeht und wir aufpassen sollen, dass nicht Alt und Jung gegeneinander ausgespielt werden. Und sie haben Recht. Das ist die Zwentendorf-Generation, der genauso am Herzen liegt, dass sie ihren Enkelkindern und auch sich selbst ein gutes Leben ermöglichen.
ZZ: Sieht das die Parteispitze auch so? Oder sagt sie: „Ja nicht die Hackler verschrecken!“?
JH: Es kann nicht heißen: Arbeitsplatz versus Umweltschutz, es muss beides sein. Deswegen braucht es den Green New Deal, eben mit Beschäftigungsgarantien. Die Initiative 20.000 hat ja damals, das wollte Türkis-Blau nie zugeben, gefruchtet. Sie hat den Leuten Würde zurückgegeben und wirtschaftspolitisch positive Effekte gebracht. Gute Umweltpolitik ist gute Beschäftigungspolitik.
ZZ: Viele sagen, die SPÖ sei genetisch oppositionsunfähig. Werden Sie bei Klima- und Arbeitsmarktpolitik mit den NEOS zusammenarbeiten, die gerade im Bereich Wirtschaft nicht viel mit Ihnen gemein haben?
JH: Ich finde es falsch, so zu tun, als wäre die Oppositionsrolle die weniger wertvolle. Das stimmt nicht. Vor allem für Vorhaben gegen mächtige Interessensgruppen und mächtige Lobbys muss man die Menschen berühren und überzeugen, auch in der Opposition. Abgeordnete sind gewählt, um zu arbeiten, und das heißt: Mehrheiten suchen, ob im Parlament oder auf der Straße.
ZZ: Danke für das Gespräch, Frau Herr!
Titelbild: ZackZack/MP
Foto: ZackZack/MP
- Studium der Soziologie in Wien
- Vorsitzende der Sozialistischen Jugend Österreichs (SJ), die jüngste Vorsitzende (damals 21) und erste Frau an der Spitze der Jugendorganisation
- seit Oktober 2019 Abgeordnete zum Nationalrat
- SPÖ-Klimaschutzsprecherin
Foto: ZackZack/MP
Das Interview führte Benjamin Weiser, stellv. Chefredakteur