Samstag, Juli 27, 2024

Wohin wir gehen – Teil 2

Die österreichische Presse ist mehrheitlich kein Korrektiv der heutigen Politik, sondern ein von ihr abhängiger Apparat, der durch diese Abhängigkeit immer stärker ins Trudeln gerät.

Teil 2: Die angeschlagene Presse

Ich möchte mich in diesem Artikel auf ein Phänomen konzentrieren, das ich im ersten Teil dieses Artikels als ein wichtiges Element in der gegenwärtigen Zerschlagung der Bewegungen für Solidarität und Frieden angeführt habe: die politische Steuerung der Presse. Hier muss zwischen verschiedenen Arten unterschieden werden. Erstens: Reine Propagandamedien. Zweitens: Die langsame politische Unterwanderung eines Mediums wie im Fall des ORF. Drittens: Übermäßige Förderung freier Medien, die durch wirtschaftliche Schwierigkeiten bei der Beibehaltung des Status quo auf Geldgeber angewiesen sind. Hier ist in Österreich seit 2018 mit der blau-schwarzen und dann grün-schwarzen Regierung eine Geldquelle maßgebend, die durch finanzielle Eingriffe in nie dagewesener Höhe zu einer wesentlichen Verzerrung des Marktes beiträgt.

Die Zuwendungen an Medien werden nicht nur durch die Presseförderung bestritten, sondern auch durch Insertionen, also als Werbekampagnen getarnte Zahlungen. Diese könnten durch eine gesetzliche Deckelung oder Abschaffung von Regierungsinseraten unterbunden werden, denn: Die Ministerien und der Kanzler haben bereits vom Steuerzahler bezahlte Pressesprecherinnen und Pressesprecher, die sich jederzeit an die Medien wenden können. Weitere Zahlungen werden im Rahmen eigener Regierungsaktionen durchgeführt: Die Gelder, die die COFAG an die Presse ausgeschüttet hat, sind nur ab einer Höhe von 100.000 Euro nachvollziehbar, da diese der EU-Transparenzdatenbank zu melden sind. Wem die grün-schwarze Regierung durch die COFAG Zahlungen unter 100.000 Euro aus Steuergeldern zukommen ließ, darüber verweigert sie den Steuerzahlenden bis heute jede Auskunft. Eine weitere Aktion der Regierung ist etwa die Förderung für digitale Transformation. Die Media-Watch-Plattforum kobuk hat die Vergabe dieser Förderungen jüngst genau analysiert: Der Bericht zeigt, dass es dabei kaum Transparenz, dafür wieder einen klaren Gewinner gibt: Die Kronen Zeitung.

Quid pro quo

Es ist selbstverständlich, dass diese Form der Förderung ein Quid-pro-quo bedingt, also nicht ohne politischen Einfluss bleibt. Ich habe letzte Woche Parallelen zwischen unserer heutigen Situation und der Situation in den USA in den ersten beiden Jahrzehnten des letztes Jahrhunderts hergestellt. Sie sind auch auf die Presse anwendbar.

In Richard Lingemans Biografie des Schriftstellers Sinclair Lewis können wir diese Entwicklung verfolgen. Lewis – später erster Literaturnobelpreisträger der USA – lebte in den Zehnerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts noch von Erzählungen und Artikeln, die er für Zeitungen und Magazine schrieb. Nach dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg war er mit immer stärkerer Einmischung in seine Arbeit durch die Redaktionen konfrontiert. Man verlangte patriotische Literatur und lehnte Geschichten, die Kritik an den USA übten, oder Sympathie mit solidarischen Bewegungen und solchen, die sich gegen eine Kriegsteilnahme wandten, immer entschiedener ab. Das ist deswegen so gut dokumentiert, weil Lewis selbst minutiös über seine Korrespondenzen Buch führte.

A Test of the News

Als zweites Beispiel möchte ich eine geradezu vorbildliche Studie in Medienbeobachtung anführen: A Test of the News von Walter Lippmann und Charles Merz. Diese Studie analysiert die Berichterstattung der New York Times, also einer sehr angesehenen und liberalen Zeitung, über die russische Revolution und ihre Folgen, von März 1917 bis März 1920.

Ohne diese über 40 Seiten lange Studie hier zusammenfassen zu können, sage ich so viel: Lippmann und Merz stellen Fehlinformationen in erschreckender Frequenz fest, Fehlanalysen, Vorhersagen, die auf politischen Wunschvorstellungen beruhen, und bewusste Auslassungen – all diese verzerren die Darstellung der politischen Realität. Im Abschluss stellen die Autoren fest: »Where is the power to be found which can define the standards of journalism and enforce them? Primarily within the profession itself. We do not believe that the press can be regulated by law. Our fundamental reliance must be on the corporate tradition and discipline of the newspaper guild. It is for them to agree on a code of honor […] As citizens they cannot escape that code.«

Die Regel nicht die Ausnahme

Und gerade an diesem Punkt ist die derzeitige Schwäche des österreichischen Journalismus klar auszumachen: Wird über SPÖ oder KPÖ, über Gewerkschaft oder Arbeiterkammer berichtet, so sind Fehldarstellungen, bewusste Auslassungen, Verzerrungen und falsche Vorhersagen heute die Regel, nicht die Ausnahme.

Anlässlich der Wahlen in der Stadt Salzburg brachte eine der renommiertesten Tageszeitungen Österreichs nach dem ersten Wahlgang eine Analyse, in der in keinem einzigen Satz erwähnt wurde, dass die SPÖ Platz 1 erreicht und die Wahl gewonnen hatte. Der Artikel machte die KPÖ zum Wahlsieger. Schließlich wurde für die Bürgermeiserstichwahl ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem Kandidaten der SPÖ und dem Kandidaten der KPÖ vorhergesagt. Ergebnis: Der SPÖ-Kandidat erreichte 63,09 %, der KPÖ-Kandidat 36,91 %. Die Sache wurde nicht weiter behandelt.

Die Politik

Die KPÖ ist auf den Umgang der Medien mit ihr vorbereitet und weitgehend immun dagegen. Sie hat auch nur zwei regionale Erfolge vorzuweisen und ist bundesweit bedeutungslos. Außerdem hat sie eine bedenkliche Ähnlichkeit zur heutigen ÖVP und FPÖ: Sie baut ausschließlich auf ihre Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten. Das ist für eine wirklich verantwortliche Politik nicht ausreichend.

Die SPÖ aber lässt sich seit einigen Jahren wehrlos vom voreingenommenen Journalismus vor sich hertreiben. Äußert sich die SPÖ staatstragend und kompromissbereit, hat sie kein sozialdemokratisches Profil mehr. Äußert sie ihre Programmatik, so ist sie unrealistisch und linkslink. Ist ihr Spitzenkandidat angeblich nicht beliebt, liest man ihr/ihm schlechte Umfragewerte vor; ist er beliebt, unterstellt man sofort, die SPÖ werde mit der FPÖ koalieren und sei populistisch. So kann man die SPÖ immer in die Zange nehmen und sie selbst lässt geschehen, wovon Viktor Adler bereits wusste, dass er es durch das Betreiben einer eigenen Zeitung verhindern musste. Und so kommen höchst populistische Äußerungen von Journalisten zustande, wie etwa Hans-Peter Doskozil als »Schilfkickl« zu bezeichnen. Das ist nicht nur dumm, sondern vor allem völlig unrichtig. Keine FPÖ (weder unter Kickl noch unter Strache oder Haider noch eine Landesorganisation der FPÖ) hat jemals so progressive soziale Maßnahmen für Arbeitende und Infrastruktur beschlossen wie die SPÖ unter Doskozil im Burgenland.

Mangelnde Breite

Es ist evident, dass die Berichterstattung über Politik in Österreich vor allem Strukturschwächen der Medien zeigt. Sie haben zu wenig Breite. Sie glauben, diese zurzeit auch nicht zu brauchen. Welch ein Irrtum aber ist es, ein Spektrum an progressiver, konservativer und liberaler Berichterstattung aufzugeben! Das führt wie von selbst zu parteipolitischer Voreingenommenheit und sei es nur aus vorauseilendem Gehorsam. Zu sehen ist das am deutlichsten bei den gegenwärtigen Skandalen. Dass die Polizei im Fall des Todes von Christan Pilnacek nicht gesetzeskonform ermittelt hat, wird totgeschwiegen. Lebten wir Ende der Achtzigerjahre hätte sich bereits eine große Anzahl von Aufklärungsjournalisten verschiedener Weltanschauungen in diesen Fall verbissen, bis er restlos aufgeklärt wäre.

Heute geht es bei einem Skandal, in dessen Zentrum die ÖVP steht, nur mehr darum, ihn per Analyse der Presse entweder der SPÖ oder FPÖ anzulasten. Die Benko-Pleiten sind für die Presse kein ÖVP-Skandal, weil: Gusenbauer. Die Verwicklung von Raiffeisen, Haselsteiner und anderen in die Benko-Pleiten wird totgeschwiegen. BVT ist ein FPÖ-Skandal, weil: Kickl. Dass Herbert Kickl 17 Monate Innenminister war und das Innenministerium mit Ausnahme dieser 17 Monate seit dem Jahr 2000 von der ÖVP geführt wird, kümmert niemanden. Und so bleibt die Berichterstattung unbefriedigend. Sie greift einen Skandal der ÖVP erst dann auf, wenn es so viel andere Berichterstattung darüber gibt, dass es unerlässlich scheint, sich ebenfalls damit zu befassen. Und darum gibt es ZackZack: Weil es ohne dieses Medium in vielen Bereichen der Politik keine Nachforschung, keine Aufklärung der Bevölkerung, keine Berichterstattung und keine Kommentare dazu mehr gäbe.


Kobuk-Bericht zur Digitalen Transformation

Wohin wir gehen – Teil 1

Titelbild: Miriam Moné

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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