Das französische Wahlergebnis zeigt, wie der Niedergang der westeuropäischen Demokratien durch beständigen Rechtsruck entsteht: Die alte Landbevölkerung gibt den Ton an und wählt rechtsextrem. Die rechtsextremen Parteien brauchen gar keine Basisnähe; sie agieren politisch ohnehin nur für eine kleine reiche Oberschicht.
Die erste Runde der vorgezogenen Wahlen in Frankreich ist gelaufen. Für die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet Michaela Wiegel aus Paris:
Dem vorläufigen amtlichen Endergebnis zufolge kam die Partei der dreimal gescheiterten Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen landesweit auf 29,2 Prozent der Stimmen. Das rot-grüne Bündnis Neue Volksfront (Nouveau Front populaire) kam demnach mit 28,0 Prozent der Stimmen auf den zweiten Platz, das Regierungsbündnis »Ensemble« von Präsident Emmanuel Macron mit nur 20,0 Prozent der Stimmen auf den dritten.
Nun ist der Vergleich eines französischen Wahlergebnisses mit anderen westeuropäischen Staaten nicht einfach möglich. Addiert man aber die 6,6 Prozent der Republikaner mit dem Ergebnis von Le Pens rechtem Rassemblement National und Macrons Ensemble, so zeigt sich eine deutliche Mehrheit von Konservativen und Rechtsextremen. (Die Wahlbeteiligung, die 2022 schon einmal unter 50 Prozent gesunken war, lag übrigens bei 67 Prozent.)
Nicht zu ignorieren ist eine Analyse nach Altersgruppen. Die Süddeutsche Zeitung schreibt:
Die Jugend wählte überwiegend links. Fast die Hälfte der Stimmen der 18- bis 24-Jährigen gingen an das Linksbündnis Front populaire – mit 15 Prozentpunkten Vorsprung vor den extremen Rechten. Macrons Kandidaten erhielten in dieser Altersgruppe nur neun Prozent der Stimmen. 43 Prozent der unter 24-Jährigen haben gar nicht gewählt. Die 25- bis 34-Jährigen wählten noch seltener, von ihnen gaben 49 Prozent keine Stimme ab. Von den über 70-Jährigen hingegen wählten 80 Prozent.
Es folgt also der nach und vor jeder Wahl ausgesprochene und doch von den Parteistrategen stets ignorierte Stehsatz, dass es bei den jungen Nichtwählern am meisten Stimmen zu holen gibt. Ebenso wichtig ist es, das Gefälle zwischen Stadt und Land zu beachten:
Die extremen Rechten gelten als besonders stark in der »France rurale«, dem ländlichen Frankreich. Dort, wo in den vergangenen Jahren Unternehmen und Geschäfte geschlossen haben, wo die Arbeitslosigkeit hoch ist. Das hat sich auch bei dieser Parlamentswahl bestätigt: je kleiner der Ort, desto erfolgreicher der Rassemblement National. 40 Prozent der Wählerinnen und Wähler, die aus Dörfern mit weniger als 2000 Einwohnern kommen, gaben ihre Stimme der extremen Rechten. Bei den Wählerinnen und Wählern, die in Städten mit mindestens 200 000 Einwohnern leben, waren es nur 28 Prozent. Am häufigsten wählten sie – mit 33 Prozent – links.
Mangel an Bildung und Infrastruktur und Mangel an Partizipationsmöglichkeiten sind also Punkte, die anzusprechen sind, wenn man vom Kampf gegen den Rechtsruck spricht. Umso mehr verstört der Leitartikel von Gerhard Hofer in Die Presse vom Sonntag. Man hatte das Gefühl, dass Die Presse nach dem Ausscheiden von Rainer Nowak wieder jene Position in der österreichischen Zeitungslandschaft einnimmt, den man von ihr gewohnt war und vom permanenten Sozialdemokraten-Bashing Abstand nimmt. Dieser Artikel setzt es allerdings mit kühner Demagogie fort.
Just dass SPÖ-Chef Babler Bürger*innenräte fordert, um einen Diskurs über wesentliche Anliegen der Bevölkerung zu ermöglichen, wird dort als »Aushöhlung« der Demokratie »von der Mitte her« bezeichnet. Der Autor wirft mit wüsten Klischees und Diffamierungen um sich:
Viel wird dieser Tage über die Radikalisierung an den linken und rechten Rändern debattiert. Sie gefährden unsere Demokratie, heißt es. Da ist schon etwas Wahres dran. Wenn die Rechten Autokraten wie Wladimir Putin hofieren, wenn die woken Linken jeden Widerspruch, jegliche andere Meinungen als persönlichen Angriff auf ihre Freiheit empört verbieten wollen. Aber sehr oft kommt dieser Angriff auf die Demokratie direkt aus der Mitte heraus. Nicht so radikal wie von rechts, nicht so laut wie von links. Aber wenn SPÖ-Chef Andreas Babler dieser Tage etwa »Bürger*innenräte« aus zufällig ausgewählten Menschen fordert, dann sagt er eigentlich nichts anderes, als dass er das bestehende demokratische System ersetzen möchte.
Dabei ist in Bablers Vorstoß keine Rede davon, dass Gemeinderäte oder Nationalräte abgeschafft oder umgangen werden sollten, wie der Autor insinuiert. Es zeigt sich ja ganz im Gegenteil, dass in einer Welt, in der der journalistische Diskurs über Politik sich fast ausschließlich auf Umfrageergebnisse reduziert – die höchst fragwürdig sind und politische befangene Auftraggeber und politisch befangene Ersteller haben –, ganz offensichtlich bestimmte Interessen in bestimmten Gruppen nicht mehr von den von ihnen gewählten Abgeordneten vertreten werden. Wenn etwa eine Umfrage behauptet, dass die Mehrheit der ÖVP-Wählerinnen und Wähler für Renaturierung eintreten, wo sind dann die Abgeordneten in Nationalrat, Bundesrat und EU-Parlament, die für diese Meinung eintreten? An dieser Stelle muss Diskurs mit den Menschen stattfinden, der darüber hinausgeht, dass ÖVP-Politiker gebetsmühlenartig die demagogische Floskel von der Überregulierung durch die EU – die im Falle des EU-Renaturierungsgesetzes völlig falsch ist, weil die Staaten die Pläne für ihre Maßnahmen selbst erstellen – äußern.
Der Autor stellt weiter fest:
Wir brauchen kein neues System, das bestehende ist gut. Nicht das System ist das Problem, sondern die handelnden Personen, die den politischen Diskurs mehr und mehr scheuen.
Nun, warum tritt die Spitze der ÖVP zu Teuerung, Renaturierung, Skyshield, Energiefragen und vielem mehr in keinen Diskurs? Weil sie in Wahrheit nur die Interessen einer kleinen Oberschicht von Reichen und Großkonzernen vertritt. Wie in Frankreich ist es die Landbevölkerung, die älter als 50 ist, die für eine Mehrheit von ÖVP und FPÖ sorgt. In ihrer Politik stehen sie aber für die Partikularinteressen einer dünnen Oberschicht und verwandeln Österreich in eine Oligarchie.
Entweder will der Autor in seinem Artikel Parteipolitik machen oder er erkennt die Realität nicht: Täglich sehen wir die Gefahr für die Demokratie. Sie kommt von rechts. Sie kommt von Parteien, die nicht an Partizipation interessiert sind. Dass die bürgerliche Presse da auf die Sozialdemokratie hinhaut ist billig, dumm und falsch, denn sie ist der wesentliche Partner der demokratischen Konservativen (wenn es solche noch gibt) bei der Erhaltung der Demokratie. Gerhard Hofer sollte den Opas gegen Links beitreten. Gut, die müsste man erst gründen. Braucht man aber nicht: Es gibt ja schon die FPÖ und die ÖVP.
Titelbild: ROBERT JAEGER / APA / picturedesk.com