Samstag, Juli 27, 2024

Die Kampagne gegen die SPÖ

Die Sozialdemokratie wird völlig unverhältnismäßig runter gemacht – und Herbert Kickl damit hochgeschrieben.

Manchmal hat man den Eindruck, der österreichische Journalismus möchte unbedingt Herbert Kickl mit aller Kraft ins Kanzleramt befördern. Es ist natürlich ein Eindruck, der täuscht, ganz gewiss. Denn es ist nur bei einer Minderheit der Medien eine Strategie. Man soll, wie das bekannte Aperçu sagt, ja nie einen Plan unterstellen, wenn einfache Dummheit als Erklärung auch ausreicht.

In den vergangenen Tagen und Wochen konnte man die skurrilsten Medienerlebnisse haben. Da war der SPÖ-Chef von Niederösterreich, Sven Hergovich, ins ZiB-2-Studio geladen, und es wurden ihm gefühlt ein bis zwei Dutzend Fragen gestellt, deren Ziel es war, Andreas Babler niederzumachen, und dem Studiogast irgendeine Form der Aussage zu entlocken, dass Babler alles falsch mache. Zum Leidwesen der Interviewerin wehrte sich der Interviewte wacker, zu ihrem wachsenden Missmut erdreistete er sich sogar, sachpolitische Antworten zu geben oder wirtschaftspolitische Alternativkonzepte zur Regierungspolitik anzusprechen, was selbstverständlich völlig unzulässig ist, weshalb sie ihm mit den obligatorischen Einwänden – ich zitiere sinngemäß – dass aber der Babler doch ein völlig unfähiger Trottel sei ins Wort fallen musste. Hergovich verwehrte sich stur und uneinsichtig, auch nur einen gewünschten Halbsatz zu liefern, was aber hinterher nicht daran hinderte, das Video auf ORF-Online unter der skurrilen Titelzeile „Richtungsdebatte lässt SPÖ nicht los“ zu veröffentlichen.

Obsessives Schüren von Streit

Noch eine Prise irrsinniger geriet ein paar Tage vorher im Ö1-Morgenjournal das Interview mit dem neuen Salzburger Bürgermeister Bernhard Auinger, der Tags davor immerhin ziemlich fulminant eine Wahl gewonnen hatte. Trotz bärenstarker KPÖ-Konkurrenz im Mitte-Links-Segment war die Sozialdemokratie bei den Gemeinderatswahlen stärkste Partei geworden, und Auinger hatte dann auch noch die Stichwahl zum Bürgermeister mit knapp 64 Prozent für sich entschieden. Üblicherweise würde man erwarten, dass das ein Anlass ist, über den Erfolg einer Partei zu berichten, doch nicht diesmal: Auinger sollte erklären, warum dieses Ergebnis vor allem ein Misserfolg für Andreas Babler wäre. Die komplexe dialektische Operation, dass ein Sieg der SPÖ eine schwere Niederlage für deren Chef darstellen würde, wollte der Wahlgewinner nicht recht einsehen, wahrscheinlich ist er ein schlichtes Gemüt, dem der Instinkt für die Komplexität von Wahlvorgängen fehlt. Als Zuhörer stellte sich etwa bei der zehnten Wiederholung der Frage, ob denn dieser Wahlsieg nicht ein Fiasko für den Parteichef sei und die SPÖ aussichtslos am Boden liege, ein gewisser Ärger ein, der freundliche Bürgermeister hatte aber offenbar ein wenig Mitleid und gab auf Drängen zu Protokoll, dass er die Dinge so sehe, dass die Sozialdemokratie eher nicht weiter nach links rücken sollte (was ja auch nie jemand vorgeschlagen hatte), da man für Wahlerfolge auch moderate Wähler und Wählerinnen der Mitte brauche – eine Bemerkung, die freudig aufgegriffen wurde, konnte man sie ja zur gewünschten Botschaft verdrehen: „Richtungsstreit lässt SPÖ nicht los.“

Gewiss ist es ein Menschenrecht, jede Frage zu stellen, auch die Vertrotteltste.  Fragen nach dem misslichen innerparteilichen Tohuwabohu in der SPÖ sind nicht nur angebracht, sondern auch journalistisch zwingend, angesichts der bekannten Plaudertaschen von Tirol bis Eisenstadt. Aber drei, vier Fragen würden es wahrscheinlich auch tun.

Eine planmäßige Strategie?

Verstehen Sie mich nicht falsch, ohne Zweifel könnte das Spitzenpersonal der SPÖ – um das humorvoll zu formulieren – noch kraftvoll-geschlossener an einem Strang ziehen, als es das bisher schon tut. Man darf auch die Frage stellen, ob Andreas Babler alles richtig macht, oder ob die Forderung nach der 32-Stunden- oder der Vier-Tage-Woche wirklich eine zentrale Botschaft in Zeiten dramatischer demografischer Imbalance ist; man kann auch anmerken, dass seine Sätze zu lang und zu schnell gesprochen sind, Rhetorik-Feinspitze dürfen durchaus auch darauf hinweisen, dass er am Rhythmus von höheren und tieferen Tonlagen feilen könnte. Möglicherweise ist er auch nicht ganz so charismatisch wie René Benko und vielleicht fehlt ihm auch etwas zum verschlagenen Geschick von, sagen wir, Sebastian Kurz. Das sind alles berechtigte Aspekte. Auch ich bin wahrscheinlich nicht immer mit allem einverstanden, was er vorschlägt – wer ist schon mit jemandem immer gänzlich einverstanden? Persönlich bin ich ja nicht einmal mit mir selbst immer einer Meinung.

Wäre ich Populist oder Verschwörungstheoretiker, würde ich formulieren: Die Etablierten und die herrschenden Mächte tun alles, um die Dominanz der Reaktion zu zementieren, damit die ihren Freunderln und Champagnisierern ihre guten Geschäfte rettet. Leider bin ich kein Populist oder Verschwörungstheoretiker, und da ich ein paar Leute aus den Kreisen der „herrschenden Klassen“ kenne, fällt es mir seit Jahren schon schwer, ihnen die für derartige Operationen nötige verschwörerische und planmäßige Intelligenz zu unterstellen. Wer ihnen einmal begegnet ist, zweifelt notgedrungen an der Fähigkeit „der Reaktion“, irgendeinen Plan auszuhecken, der nicht schon morgen oder übermorgen wieder in sich zusammenbricht, was übrigens auch ein Grund ist, neben anderen, die Nähe zu diesen aufgeblasenen „Stützen der Gesellschaft“ auf das Mindeste zu beschränken, sie taugen dann nämlich nicht mehr zum Feindbild, sondern nur mehr zur Lachnummer.

SPÖ kann Nummer Eins werden

Fakt bleibt dennoch, dass mit geradezu obsessiver Verbissenheit alles getan wird, die Sozialdemokratie und ihren Spitzenkandidaten runter zu schreiben, runter zu reden, runter zu machen. Und zwar mit einer geradezu grotesken Unverhältnismäßigkeit. Da die Sozialdemokratie bei Lage der Dinge die einzige Partei ist, die die FPÖ bei den Wahlen von Platz eins verdrängen kann, ist das eine entweder gewollte oder ungewollte Schützenhilfe für Herbert Kickl. Wie grotesk das alles ist, merkt man, wenn man Österreich verlässt und ins benachbarte europäische Ausland fährt. Während hierzulande die SPÖ unter Andreas Babler im medialen Konsens als unfähige Loser-Partei verunglimpft wird, wundert man sich im Ausland, dass dort die SPÖ insgeheim richtig beneidet wird. Mitten im großen „populistischen Moment“ am Kontinent, in dem nicht nur Mitte-Links-Parteien, sondern quasi alle Kräfte der gemäßigten Vernünftigkeit ordentlich zu kämpfen haben und oft sogar unter die Räder geraten, ist die SPÖ eine Partei, die in Umfragen zwischen 23 und 25 Prozent, bei den meisten davon innerhalb der Schwankungsbreite von Platz eins liegt und absolut intakte Aussichten hat, als stärkste Partei aus den Wahlen hervorzugehen, wenn es sich dann im Wahlkampf zuspitzt. Ich dementiere nicht immer die feste Überzeugung meiner Gesprächspartner, die mich für einen der geistigen Architekten dieses Erfolges halten, weil man dann als Genie behandelt wird, das quasi im Besitz der geheimen Siegerformel ist. Das ist natürlich geflunkert, aber immerhin telefoniere ich alle drei Monate mit Andreas Babler und schreibe ihm alle vierzehn Tage eine SMS, also ist es nur ein bisschen geflunkert. Genügend Leute haben es in der Vergangenheit immerhin zu einem regelrechten Geschäftsmodell gemacht, „Berater“ von Clinton, Obama oder sonst jemanden gewesen zu sein, nur weil sie einmal vor ein paar Jahren mit einem von diesen in einem Raum waren.


Titelbild: Miriam Moné

Autor

  • Robert Misik

    Robert Misik ist einer der schärfsten Beobachter einer Politik, die nach links schimpft und nach rechts abrutscht.

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