Interview mit Niki Popper
Niki Popper hat gemeinsam mit seinem Team ein Programm entwickelt, das dynamische Prozesse wie zum Beispiel die Ausbreitung des Coronavirus unter diesen oder jenen Voraussetzungen simulieren kann. Er arbeitet derzeit eng mit dem Wiener Krankenanstaltenverband (KAV) zusammen: Mit Hilfe seines Programms kann die Ausbreitung des Virus in Österreich simuliert werden. Im Gespräch mit ZackZack erklärt der Wissenschaftler, was wir aus dem Simulations-Programm in der Corona-Krise lernen können.
ZackZack: Sucht man nach „Niki Popper“ im Netz, sind Sie auf einigen Seiten zu finden. Alles hat in irgendeiner Form mit Daten und Simulierungen zu tun. Wie bezeichnet man das, was Sie machen?
Niki Popper: Dynamische Prozesse beschreiben, besser verstehen und Auswirkungen von Maßnahmen besser verstehen können ist die Grundfrage unserer Forschungen. Ein zweiter Aspekt ist die Kommunikation dieser Dinge.
In unserer Arbeit geht es uns auch darum, dass das, was wir mit Daten machen, transparent ist. Wir haben mit den Simulationsmodellen und künstlicher Intelligenz bereits vor zwanzig Jahren begonnen und versucht, dynamische Prozesse zu beschreiben. In den letzten 10 bis 15 Jahren ist das mit der Frage der Datenanalyse zusammengekommen.
Was Sie jetzt zum Beispiel sehen: Da wird von exponentiellem Wachstum gesprochen. Wer sich mit Epidemien beschäftigt weiß, dass das nicht stimmt – exponentielles Wachstum tritt nur am Beginn einer Epidemie auf. Unsere Simulationen machen das sichtbar.
ZackZack: Wie funktioniert das?
Niki Popper: Wir rechnen für den KAV in Wien Modelle, um zu sehen, wie man die Ausbreitung und Erkrankungsentwicklung positiv beeinflussen kann. Auf Basis dieser Ergebnisse helfen wir abschätzen zu können, wie die Ressourcen rechtzeitig und effizient geplant werden können. Das geht in Richtung Strategieberatung, daten- und modellbasiertes Consulting.
Jetzt gibt es viele Entscheidungsträger im Gesundheitssystem, die haben alle nur begrenzte Ressourcen, um Analysen zu machen. Wir arbeiten interdisziplinär, mit unserem Programm bringen wir einerseits die Daten zusammen, um dann den Entscheidungsträgern die optimalen Skills zur Verfügung zu stellen.
ZackZack: Sie haben gesagt, exponentielles Wachstum stimmt nicht.
Niki Popper: Dass es kein exponentielles Wachstum ist, ist einfach zu verstehen: Exponentiell bedeutet unbeschränkt, dann hätten wir in kurzer Zeit 30 Millionen am Coronavirus erkrankte Österreicher – das geht sich nicht aus.
ZackZack: Was lernen wir aus Ihren Modellen?
Niki Popper: Wichtig zu verstehen ist: diese Modelle, die mit so viel Unsicherheiten rechnen, sind keine Prognosemodelle, die absolute Zahlen liefern können. Das hat zwei Gründe:
Erstens setzen wir da nicht eine Ja/Nein-Entscheidung ab, sondern lassen sehr viele Situationen einfließen. Wie entwickelt sich die Lage in Italien und China zum Beispiel, wie sehen unsere Infrastrukturressourcen aus usw. Wir haben sehr viele Unabwägbarkeiten und Unsicherheitsfaktoren. Prognosemodelle sind daher nicht machbar. Eigentlich ist der Kern unserer Tätigkeit die Einschätzung, welche Interventionen welche Effekte generieren. Wir können Maßnahmen einander gegenüberstellen und abschätzen, welche Idee ist schlauer und welche ist völlig sinnlos.
Zweitens: Die Zukunft ist nicht festgeschrieben. „Wir werden da so viele Kranke haben“, stimmt nicht. Wir leben in einer Welt, wo die Handlungen, die ich auf Grund von Prognosen und Analysen setze, meine Zukunft ändern. Diese Analysen sind ein Werkzeug, mit dem ich meine Zukunft für mein System/meinen Prozess gestalten kann: Ich ändere etwas im System, dann ändert sich etwas, und zwei Tage später schaue ich es mir wieder an. Das Simulationsmodell lernt dabei, und wir lernen dabei. Die Werkzeuge, die wir da entwickeln, sind extrem gut geeignet, wenn wir in den Prozessen gut vorankommen wollen.
Nehmen Sie das Klima: Viele sagen, wenn wir so weiter machen, wird es nicht lange gehen. Wir brauchen aber Werkzeuge, die uns zeigen, wo müssen wir die Zukunft ändern, was machen wir im nächsten Schritt. Also ein Werkzeug zur Gestaltung positiver Zukunftsszenarien.
ZackZack: Wie beurteilen Sie die Lage in Österreich angesichts der Ausbreitung von Covid-19 derzeit?
Niki Popper: Das ist natürlich die Hauptfrage, aber sie ist schwierig zu beantworten. Da, wo ich die Meinung teile, wo die Leute Recht haben: Man kann sich das sehr schwer vorstellen. In der Frage, es ist sonnig draußen, es gibt 300 Kranke –
ich tu mir sehr schwer, mir vorzustellen, dass es nächste Woche 3.000 oder 10.000 Kranke und 50 Tote gibt. Ich weigere mich emotional ein bisschen, das wahrhaben zu wollen. Es wird aber in irgendeiner Form so sein. Was ich Ihnen aber nicht sagen kann ist, wie viele es sein werden. Ich kann es nicht sagen.
In den nächsten 3-4 Tagen müssen wir schauen, ob es sich wirklich alle 2,5 Tage verdoppelt. Dann ist es nicht lustig, dann müsste man mehr machen.
Niki Popper und sein Team.
ZackZack: Sie sind mit Ihren Modellen auf Zahlen angewiesen. Wie aussagekräftig können Ihre Simulationen sein, wenn die Zahlen nicht der Realität entsprechen? Was Corona-Erkrankte in Österreich betrifft, beruht die Zahl auf den durchgeführten Tests – mit einer vermutlich sehr hohen Dunkelziffer, wir sehen im Vergleich mit anderen Ländern: Je mehr Tests, desto mehr positiv getestete Fälle. Nicht alle Fälle werden auch getestet: Die Kriterien für einen Test auf der Webseite des Sozialministeriums sind zuletzt am 5. März aktualisiert worden: Demnach wird nach wie vor nur getestet, wer entweder mit einer positiv getesteten Person Kontakt hatte, oder in einer der definierten Problemregionen wie Italien oder China war.
Niki Popper: Wen würden Sie testen?
ZackZack: Alle, die Symptome haben.
Niki Popper: Sagen wir, in dieser Woche mit Grippe und Schnupfen zusammen gibt’s in Summe 100.000 Fälle. Man muss also eine vernünftige Planung machen. Vor wenigen Wochen gab es noch keinen Test. Und jetzt gehen wir völlig normal davon aus, dass wir einen Test haben, der mir innerhalb von 2 Stunden sagt, ob ich das Virus hab‘. Stellen Sie sich das einmal in Relation vor zu 1918 spanische Grippe. Das ist schon bewundernswert. Jetzt haben wir nur wenige Tests, daher brauchen wir eine vernünftige Strategie. Natürlich ist die Frage berechtigt, ist das jetzt noch adäquat? Aber das hat mit zwei Aspekten zu tun.
Das eine ist die Ressourcenfrage, das heißt wie viele Tests kann ich überhaupt durchführen? Das heißt, ich muss anfangen mir zu überlegen, bei wem ich sie durchführe, zum Beispiel bei Gesundheitspersonal, weil ich dort nicht nur schauen muss dass die nicht krank werden sondern auch, dass sie nicht in Quarantäne kommen, sonst fehlen die mir ja.
Der zweite Aspekt ist: Wenn ich 10.000 Patienten habe, wird das nicht mehr realistisch sein. Dann könnte man sagen, man sollte möglichst viele testen, die Symptome haben. Irgendwann werden wir’s nicht mehr testen können, weil es so viele sind. Ich sage Ihnen das jetzt ohne Expertise und ohne Bewertung, da verweise ich auf die Virologen bei der MedUni Wien. Bei der Grippe wird nicht jeder getestet, der schnupft und Fieber hat, weil die Behandlung eh immer die gleiche ist. Man muss unterscheiden: Teste ich, um eine Ausbreitung zu verhindern, oder teste ich, um die Behandlung festzulegen? Wir testen jetzt, um die Verbreitung zu reduzieren.
Bei der Gruppe gibt es ein Sentinel-System: Das heißt, an verschiedenen Punkten werden testweise Abstriche genommen, die werden eingeschickt, ausgewertet, und daraus wird entnommen, wie stark die Verbreitung zu einem gewissen Zeitpunkt ist. Es wird aus den eingeschickten Daten dann ein Bild für die Gesamtbevölkerung erstellt. Das können Sie sich vorstellen wie bei Wetter-Mess-Stationen, die gibt es auch an verschiedenen Punkten und daraus kann ich mir dann ein sehr gutes Bild machen, wie ist die Wetterlage in Österreich. So wird das bei der Grippe gemacht. Covid wird bei diesem Sentinel-System jetzt auch schon standardmäßig mitgetestet. Da müssten Sie aber die Virologen an der MedUni anrufen, ob das schon funktioniert und ob es schon Ergebnisse gibt. Ich bin kein Experte auf dem Gebiet, ich arbeite nur mit den Daten, die ich daraus erhalte.
Aber hier werden wir dann zumindest sehen – das ist jetzt unbefriedigend dass wir nicht jeden Nieser testen, das können wir unmöglich, selbst wenn wir so viele Teststreifen hätten, wie soll sich das ausgehen. Gesunde testen macht außerdem keinen Sinn, weil die haben ja noch keine Viren, die messbar sind.
ZackZack: Aber Kranke.
Niki Popper: Ja, Kranke testen, so viele es geht, aber wenn man dann Ressourcen-Engpässe hat, dann die, wo’s wichtig ist. Und dieses Sentinel-System hilft dann extrem zum Abschätzen, wie sich die Lage gerade verhält.
ZackZack: Wenn kaum Tests durchgeführt werden, entsprechen die Zahlen ja dann nicht der Realität.
Niki Popper: Die Zahlen spiegeln nie die Realität wieder. Das ist genau eine der Sachen, mit denen wir uns in unserem Modell beschäftigen: Genau solche Messungenauigkeiten sind das Spannende – die kommen eben aus mangelnden Tests, aber die kommen auch daher, dass viele infizierte Menschen keine Symptome haben. Wir leben jetzt in einer Welt, wo wir Einzelfälle zählen und monitoren. Aktuell in Wien gibt es 50-60 detektierte Fälle, in unserem Modell rechnen wir aber mit einer zusätzlichen Zahl von ca. 100, die es haben, aber noch nicht wissen. Diese Zahl ist jetzt sehr hoch, in der frühen Phase. Aber wir gehen in unserem virtuellen Modell davon aus, dass 15 Prozent damit herumlaufen, aber es nicht wissen. Nicht Testen ist bei den 15 Prozent aber nicht inkludiert, das muss man schon klar sagen. Da ist nur inkludiert die nicht-Symptomatik und diese Aspekte.
ZackZack: Letzte Frage: Gehen Sie heute noch Hamsterkaufen?
Niki Popper: Nein, ich war nicht Hamsterkaufen, ich hab’ noch nicht einmal fürs Wochenende eingekauft. Fassungslos bin ich, dass Wirtshäuser angeblich zusperren müssen ab 15:00.
ZackZack: Vielen Dank für das Gespräch!
Niki Popper
Der gebürtige Wiener studierte Mathematik, Philosophie und Jazz-Theorie in Wien, Katalonien und den USA. Zurück an der TU Wien, beschäftigt er sich im Speziellen mit der Simulation dynamischer Prozesse. Mehr Infos zu ihm und seiner Tätigkeit finden Sie hier.
Das Gespräch führte Larissa Breitenegger
Titelbild: dwh GmbH